Endlich war die Gruppe Beduinen an ihrem Zielpunkt angelangt. Masut fühlte sich erschöpft, ihm war schwindlig und er hatte Probleme, sich auf den Füßen zu halten. Zudem fror er, obwohl die Sonne vom Himmel schien. Johann hatte ihm von dem relativ gemäßigten Wetter erzählt. Doch dass es so schlimm sei, hätte er nicht gedacht. Bibbernd stand er mit den anderen auf dem großen Platz und harrte der Dinge, die da kämen. Niemand wusste, was nun geschehen würde. Johann hatte ihm gesagt, dass ein Arzt sie untersuchen wolle, ob sie gesund seien. Masuts kleiner Freund fürchtete sich davor untersucht zu werden. Der Arzt würde sofort erkennen, dass er kein Ägypter sei, sondern sich nur verkleidet hatte. Johanns Angst war berechtigt, dass wusste Masut, doch was sollte er tun, damit Johanns Tarnung nicht auffiel?
"Versteck dich."
Johann sah sich die Umgebung an. Sie standen in der Mitte des Platzes. Schützendes Buschwerk oder ein Gebäude waren zu weit weg, als dass er sich unerkannt verstecken konnte.
"Das geht nicht. Man wird mich entdecken."
Verzweifelt sah der kleine blonde Junge mit dem geschwärzten Gesicht ihn an. Nun lag es an Masut, seinem Freund zu helfen. Doch was sollte er tun? Einen Streit anfangen? Das würde nicht nur die Abneigung der anderen gegen ihn steigern, sondern auch das Misstrauen der Deutschen wecken. Schlimmstenfalls würden sie ihn wieder nach Hause schicken.
Bevor er weiter über eine Lösung nachdenken konnte, wurde ihm schwarz vor Augen. Alle Kraft wich aus seinen Beinen, er sank auf die Knie und fiel mit dem Gesicht in den Sand. Kurz bevor ihm die Sinne schwanden, merkte er, wie ihm jemand den Krug aus dem Arm nahm. Er wollte sich aufbäumen, die Person festhalten, die ihm das Gefäß nahm. Doch er hatte keine Kraft und versank in einer tiefen Dunkelheit.
"Unserem jungen Freund scheint die Fahrt nicht bekommen zu sein. Sein Kreislauf ist abgesunken. Die Blässe ist trotz seiner dunkleren Hautfarbe zu sehen. Wahrscheinlich wird er zu wenig getrunken haben und ist wegen des Flüssigkeitsmangels ohnmächtig geworden."
"Also hat er keine ernsthafte Krankheit, Doktor?" Der Mann wirkte erleichtert, blieb aber weiterhin skeptisch. "Wenn Sie sich täuschen und der Junge eine ansteckende Krankheit hat, wird das für uns alle, besonders für den Tierpark und die Völkerschauen, schwere Konsequenzen haben. Denken Sie nur an die Völkerschau, wo alle Mitglieder an den Pocken verstarben. Das war höchst ärgerlich für uns."
Der Arzt musste seine aufsteigende Wut unterdrücken. Wie konnte seine Diagnose von einem Laien angezweifelt werden?
"Deshalb werden die Probanden seitdem auch bei ihrer Abreise gegen Pocken geimpft, damit so etwas nicht ein zweites Mal passiert. Deshalb können wir die getrost ausschließen. Ich bin nicht erst seit gestern Mediziner und werde wohl noch wissen, was er hat", versuchte er gute Miene zum bösen Spiel zu machen. "Wenn er eine ansteckende Krankheit hätte, wäre das sicherlich schon während der Überfahrt aufgefallen, da er alle anderen, samt der Schiffsbesatzung angesteckt hätte. Hat die Schiffsbesatzung über irgendwelche Krankheitssymptome geklagt? Haben die anderen Ägypter sich krank gefühlt oder ist jemand von ihnen ernsthaft erkrankt? Ist die Überfahrt anders verlaufen als sonst?"
Der Mann wusste nicht, was er sagen sollte. Kleinlaut blickte er zu Boden.
"Ich habe nicht gefragt. Aber das wäre mir wahrscheinlich auch gesagt worden."
"Sie sind auf dem Schiff gewesen, also müsste Ihnen aufgefallen sein, wenn eine Krankheit unter den Ägyptern oder der Schiffsbesatzung grassierte. Da nichts Ihre Aufmerksamkeit erregt hat, wie mir scheint, wird niemand ernsthaft erkrankt sein. Der junge Mann hatte einen Schwächeanfall. Es gibt viele, die eine stundenlange holprige Fahrt nicht vertragen. Er ist kerngesund."
Der Mann sagte nichts mehr. All seine Zweifel waren von dem Arzt revidiert worden. Der Ägypter schien keine ernsthafte Krankheit zu haben, dennoch sollte er ihn weiter unter Beobachtung stellen. Das ließe sich machen. Er wüsste schon jemanden, der die Arbeit für ihn erledigen würde.
"Wenn Sie mich nun meine Arbeit machen lassen. Ich muss mich noch um die restlichen Neuankömmlinge kümmern."
"Natürlich, Zeit ist kostbar", sagte der Mann und verließ den Raum.
Masut öffnete langsam die Augen. Wo er war, konnte er nicht sagen, auch nicht, was geschehen war. Als er sich vorsichtig aufrichtete, sah er einen ihm unbekannten Mann und erschrak. Verängstigt sah er den Mann an, zugleich suchte er nach seinem Beutel, wo sich der Familienfluch drin befand.
"Keine Angst, junger Freund, dir geschieht nichts." Der Mann sprach langsam, doch Masut konnte ihm nicht folgen. Er hörte harte Silben, die aneinandergereiht eine harmonische Melodie ergaben. Was die Worte bedeuteten, wusste er nicht, obwohl sie an sein Ohr drangen und er sie kannte. "Du bist ohnmächtig geworden."
"Meine Sachen", sagte Masut auf Arabisch, das durch den ägyptischen Slang stark verwaschen klang. "Wo sind meine Sachen?"
Der Mann wirkte verwirrt, doch lächelte er weiter.
"Ich verstehe dich nicht, aber du brauchst keine Angst zu haben. Dir wird nichts geschehen."
Der Arzt hatte schon viele Menschen untersucht, die ihre Heimat verlassen hatten. Sie waren verängstigt und voller Misstrauen.
Masut war aufgesprungen, durchmaß den Raum und suchte unter der Liege nach dem Krug. Wäre er nicht von dem Arzt festgehalten worden, hätte er sich als nächstes die Schränke vorgenommen. Er hatte die Hand schon am Türknauf gehabt, als ihm der Arm nach hinten gerissen wurde. Er versuchte sich loszureißen, was ihm nicht gelang. Der Arzt war kräftiger als er ausgesehen hatte.
"Es reicht, Bürschchen!", wurde er angefahren. Das Gesicht, das ihn zuvor noch lächelnd angesehen hatte, war zu einer wütenden Fratze verzerrt. Der Griff um seine Hände lockerte sich, dann wurde er am Kragen gepackt und nach draußen geschleift. "Ich habe doch gesagt, dass du vollkommen gesund bist. Dass man mit euch immer solchen Ärger haben muss", hörte er noch, bevor er zu Boden fiel und sein Gesicht hart auf dem Boden aufschlug.
Langsam hob er seinen Kopf, spuckte die Erde aus, die in seinen Mund gekommen war und knirschende Geräusche von sich gab, wenn er die Zähne aufeinander biss. Niemand eilte zu Masut, um ihm aufzuhelfen. Mühsam richtete er sich allein auf und rieb sich seine schmerzenden Knie. Seine Hände hatte er sich aufgeschürft, doch die Schmerzen spürte er nicht. Als er aufsah, konnte er niemanden entdecken. Vollkommen allein stand er auf dem Platz. Wo waren die anderen? Hatte man sie fortgeführt und ihn vergessen? Ihn bei diesem Mann gelassen und seinen Krug und die Kette mitgenommen? Sie wussten nicht, was sie damit getan hatten. Der Hauch des Todes hing über ihnen. Und wo war Johann? War er mit den anderen gegangen oder hatte er sich unentdeckt entfernen können?
Aufgeschreckt fuhr er herum, als er es im Gebüsch rascheln hörte. Gebannt starrte er auf das Buschwerk. Die Blätter bewegten sich, Äste wurden auseinander geschoben und Johann trat aus dem Gebüsch. Lachend sah er Masut an, der wie angewurzelt ihn anstarrte und sich nicht von der Stelle bewegte.
"Damit hast du nicht gerechnet. Als du umgefallen bist, habe ich den Moment der Verwirrung genutzt und bin im Gebüsch verschwunden.
"Die anderen?", fragte Masut, der noch nicht ganz realisieren konnte, was geschehen war.
"Die wurden auf die andere Seite des Hauses gebracht. Dort sollen sie untersucht werden und kommen dann wieder her, wenn sie gesund sind. Aber die sehen recht gesund aus." Johann schwieg. Dann sah er Masut an, als wolle er ihn etwas fragen, doch traue er sich nicht. Betreten sah er zu Boden, zeichnete mit seinen Schuhen ein Muster in die fest getrampelte Erde, indem er die Oberfläche aufraute. "Hast du nicht das getan, was von dir verlangt wurde oder warum hat der Arzt dich so vor die Tür gesetzt?"
Masut konnte seinem Freund