"Überlegen Sie mitzubieten?", fragte Isis entsetzt.
Die junge Ägyptologin fürchtete, dass es sich um Diebesgut, also Hehlerware handelte, die jemand aus dem ägyptischen Sand ausgegraben und anschließend aus Ägypten illegal nach Deutschland eingeführt hatte. Sie hörte schon die wütenden Proteste des Leiters der Altertümerverwaltung, der von nichts eine Ahnung hatte, sich aber immer gut in Szene zu setzen wusste.
Wenn sie sich nur an die Identifizierung der Mumie der Hatschepsut erinnerte. Ein Zahn, der in einem Kästchen gefunden worden war, wo Hatschepsuts Name draufstand, hatte es entschieden. Die DNA-Analysen waren noch nicht vollständig abgeschlossen, doch es gab kaum Zweifel. Nur Isis zweifelte an der Richtigkeit der Untersuchung und des Ergebnisses. Wenn sie so was schon hörte, die Mumie hätte königliche Züge, wurde sie wütend. Tutanchamun sah auch nicht gerade königlich aus oder Thutmosis III., um in der Familie der Thutmosiden zu bleiben, zu denen auch Hatschepsut gehörte. "Sie wissen, was das für Risiken bergen kann?"
"Dieser Schlapphut von Mahmud, oder wie auch immer, Hosseni soll erst einmal beweisen, dass es illegal aus Ägypten ausgeführt wurde. Um Nofretete hat er sich auch vergeblich bemüht. Der soll toben bis er platzt oder endlich abgesetzt wird."
Die harten Worte erstaunten Isis, vor allem aus dem Munde Professor Winters, der sich immer mit der Kritik über den Lieblingsfeind der Ägyptologen zurückgehalten hatte. Sie wusste, wie man hinter vorgehaltener Hand über diesen Wichtigtuer sprach, der sich nur im Erfolg sonnen wollte, der eigentlich anderen gebührte.
"Bevor irgendein Sammler die Gegenstände ersteigert und sie anschließend für Jahrzehnte hinter Tresormauern verschwinden, wollen wir sie haben. Nur wie wir das finanzieren sollen, weiß ich noch nicht."
Seitdem beschlossen worden war, dass das Departement Ägyptologie geschlossen und abgeschafft werden sollte, wurde es immer schwerer Geld zu bekommen. Dass Isis nach dem Ende ihres Studiums im Sommersemester 2008 als wissenschaftliche Mitarbeiterin von Professor Winter übernommen wurde, war verwunderlich gewesen, wurden die Stellen doch nach und nach abgebaut, da die Studenten des letzten zugelassenen Jahrgangs im Sommersemester 2005 sich dem Ende ihres Studiums näherten. Offiziell hieß es, dass der Studiengang so lange erhalten bliebe, bis der letzte Student mit dem Magister abgeschlossen hatte. Doch jeder wusste, dass spätestens 2012 Schluss war. Eigentlich wurde schon damit gerechnet, dass es in zwei Jahren so weit sein würde. Die Stellen wie auch die Seminare wurden abgebaut. Selbst Isis hatte gegen Ende ihres Studiums Probleme gehabt, Seminare zu finden, die sie interessierten. Die Auswahl wurde immer magerer, weshalb sie die Studenten bedauerte, die noch an diesem Ort studierten. Sie bot zum ersten Mal ein Seminar an, das bald aus allen Nähten platzte, vielleicht aus dem Grund, weil es das interessanteste Thema des ganzen Semesters war.
"Zur Not werden wir das selbst bezahlen. Es sind schon zu viele Objekte im Ausland gelandet, weil in Deutschland kein Geld vorhanden war."
Isis ärgerte sich jedes Mal darüber, wenn sie hörte, dass einem deutschen Museum etwas angeboten worden war, doch das nötige Geld gefehlt hatte, weshalb es im Ausland landete. Wenn einem deutschen Institut schon etwas angeboten wurde, und die nötigen Geldmittel nicht vorhanden waren, sollte es entweder einen großen Geldtopf dafür geben, oder die Institute sollten sich zusammensetzen und ihr Geld zusammenlegen, um das Objekt gemeinsam zu finanzieren. Doch wo kein Nutzen gesehen wurde, blieb der Geldhahn zu. Ein gutes Beispiel war das Troja-Projekt, wo die Finanzierung ausgelaufen war. Die Ausgrabungen hätten eingestellt werden müssen, wenn nicht ein privater Sponsor eingesprungen wäre. Die Zahlungen waren nicht verlängert worden, da keine Ergebnisse, kein großer Fund gemacht wurde. Immer mussten den Taten Ergebnisse folgen. Wenn dies nicht geschah, wurden eben die Zahlungen eingestellt. Früher war es nicht anders gewesen, doch damals hatte man mehr Ausdauer besessen. Das Grab des Tutanchamun wäre nie gefunden worden, wenn Lord Carnavon nach zwei enttäuschenden Grabungszeiten die Zahlungen eingestellt hätte.
"Mein Gehalt ist nicht hoch, aber für diese Objekte gebe ich es gerne, damit wir sie näher untersuchen können."
Professor Winters Mund verzog sich zu einem Lächeln. Damit hatte er gerechnet. Er kannte Isis' Meinung zu Forschungsobjekten, die in ausländischen Instituten landeten, weil in Deutschland niemand das Geld dafür hatte.
"An erster Stelle steht der Forscherdrang. Doch nein, Ihr Angebot kann ich nicht annehmen."
"Gut, ich akzeptiere es, aber mein Angebot bleibt bestehen. Bevor solche Objekte ins Ausland verschwinden, gebe ich lieber mein letztes Geld."
Nicht dass Isis am Hungertuch nagte. Das Gehalt, das sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin verdiente, war ein nettes Zubrot. Den größten Gewinn zog sie aus ihren Anteilen am Familienunternehmen 'Mellinghoff, Justine & Co.', das ihr Großvater erfolgreich ausgebaut hatte.
"Wurmt es Sie also immer noch, dass die meisten Objekte ins Ausland oder an Sammler gehen."
"Ich finde es skandalös, dass deutsche Archive ihre Schätze verkaufen, weil sie oder die Stadt Geld brauchen. Dass Objekte nicht gekauft werden können, obwohl sie als erste das Angebot bekommen, weil eine Finanzierung nicht zustande kommt und das Objekt im Ausland verschwindet." Isis merkte an Professor Winters Gesichtsausdruck, dass sie sich in Rage redete und versuchte auf ein anderes Thema zu lenken. Jeder wusste, was sie vom Ausverkauf der Archive hielt und den schlechten Finanzierungen der Institute, Universitäten und Museen. Und niemand wollte es mehr hören, obwohl ihr alle insgeheim zustimmten, doch nicht die radikale Sichtweise vertraten wie Isis. "Wie lange gilt das Angebot noch?"
"Ein festes Datum ist nicht angegeben, auch kein Festpreis. Man soll ein Angebot abgeben und wenn es das höchste war, bekommt man den Zuschlag."
"Also dem Baugewerbe ähnlich?"
"Richtig, nur das bei Ausschreibungen das niedrigste Gebot gewinnt.
Isis machte Anstalten zu gehen. Ihr war auf einmal eine Idee gekommen.
"Wenn ich nicht mehr gebraucht werde. Ich muss die nächste Seminarsitzung vorbereiten."
Sie hatte bereits die Türklinke in der Hand, als Professor Winter noch einmal das Wort ergriff.
"Wie sieht es eigentlich mit Ihrer Promotion aus? Haben Sie ein Thema gefunden?"
"Ich suche noch, kann mich einfach nicht entscheiden, ob ich etwas über Hatschepsut oder über Echnaton und Semenchkare schreiben möchte. Beide Herrscher oder die drei Herrscher bieten eine Fülle von Themen."
"Es ist aber auch schon viel geschrieben worden. Bedenken Sie das, Isis. Vielleicht sollten Sie sich mit Professor Theiding von der FU Berlin in Verbindung setzen, der kann Ihnen sicherlich weiterhelfen."
Es war, als hätte Isis einen Schlag ins Gesicht bekommen.
Theiding, diesen Namen hatte die junge Ägyptologin seit sechs Jahren nicht mehr gehört, seitdem sie ihn in Ägypten getroffen hatte. Er hatte seinen Halbbruder begleitet, der eine schwere Krankheit überwunden hatte. Isis hatte diese Reise zu ihrer Volljährigkeit geschenkt bekommen. Eine Reise, die unglaublich gewesen war, doch als sie nach Deutschland zurückkehrte, hatte sie ihr geordnetes Leben in Scherben zerbrochen vorgefunden. Ihr Bruder starb nach einem Autounfall und ihre Eltern ließen sich scheiden. Nichts war mehr so, wie es einmal gewesen war. Dass sich nun ihr Weg wieder mit Professor Theiding kreuzen sollte, ließ all die Erinnerungen an die Reise, die guten, wie die schlechten, wieder hochkommen. Isis musste kämpfen, um die Flut an Bildern wieder aus ihrem Kopf zu verdrängen.
"Ist Ihnen nicht gut, Isis?", fragte Professor Winter besorgt und riss Isis aus ihren Gedanken.
"Nein, alles in Ordnung."
Isis drückte schnell die Türklinke herunter, öffnete die Tür und verließ das Zimmer, bevor Professor Winter etwas erwidern konnte. Sie wollte jetzt einfach nicht über Professor Theiding sprechen.
Erleichtert lehnte sie sich an die Wand neben dem Zimmer Professor Winters und holte tief Luft. Sie war mit Erinnerungen konfrontiert worden, die sie vergessen geglaubt hatte. Wie damals waren sie heute noch genauso