Die Rollen des Seth. Helen Dalibor. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Helen Dalibor
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847635529
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aber heute war ein guter Tag gewesen und sie hatte weder in die Sonne gesehen, noch ewig in einem Buch gelesen.

      "Ja, sind sie. Wahrscheinlich 18. Dynastie, Regierungszeit von Echnaton. Aber ich verstehe nicht, wie jemand hinter der Vase und der Kette so her sein kann, dass er über Leichen geht."

      "Sagtest du nicht, diese Horusgesellschaft sorge dafür, dass etwas im Gleichgewicht bleibt, weshalb sie auch nicht vor Mord zurückschrecken?"

      "Das ist doch lächerlich. Selbst wenn es diese Geheimgesellschaft tatsächlich gegeben hätte, dürfte sie heute nicht mehr existieren. Das alte Ägypten endete spätestens 30 vor Christus. An dem Tag, als Kleopatra VII. aus dem Leben schied, um nicht Oktavian in die Hände zu fallen. Diese Geheimgesellschaft kann es nicht mehr geben."

      "Vielleicht agierten die Mitglieder im Verborgenen weiter, so dass sie heute noch existieren."

      "Welche Weltordnung oder Maat wollen sie wiederherstellen? Es gibt keinen Pharao mehr, auch wenn Mubarak sich gerne so darstellen lässt. Sie existieren nicht... mehr."

      Isis wurde nachdenklich. Ein Juwelier war ums Leben gekommen, da er Fotografien von der Kette besessen hatte. Obwohl, der Grund war nicht genannt worden, aber dieses Schmuckstück fehlte angeblich. War der Mann, dem sie die Gegenstände abgekauft hatte ein Mörder? Nein, sie verwarf den Gedanken sofort wieder. Die Gegenstände waren eher in dem Forum angeboten worden, als der Juwelier getötet wurde. Er musste die Kette kurz zur Ansicht da gehabt haben und in der Zeit hatte er Fotos gemacht. Wie es nun aussah, waren ihm diese Bilder zum Verhängnis geworden und er hatte es teuer mit seinem Leben bezahlt. Wie war der Juwelier ums Leben gekommen? Sie versuchte sich an den Zeitungsbericht zu erinnern. Er war nicht erschossen worden, was eher zu einem Raubüberfall gepasst hätte. Stattdessen hatte man ihn erwürgt. Ein Detail, das ihr im Kopf geblieben war, weil sie es so ungewöhnlich fand. Und der Mann, von dem sie die Gegenstände hatte, war auch erwürgt worden. Obwohl, ihm hing ein Seil um den Hals, da nannte sich das erdrosseln und nicht erwürgen. Aber wie hatte ihm das Seil um den Hals gelegen? Wie die Ägypter immer ihre Gefangenen dargestellt hatten. Es handelte sich um die gleichen Knoten.

      Isis durchfuhr es heiß.

      Das konnte doch nicht möglich sein. Existierten die Hüter des wahren Horus tatsächlich noch immer? Wenn das stimmte, musste sie auf der Hut sein.

      25

       Stellingen, 1912

      Der Weg vom Tierpark zum Haus von Pascal und seiner Schwester Claire war nicht so weit, wie er gedacht hatte. Dennoch war Johann vollkommen erschöpft, als er im Hausflur stand. Der Tonkrug war schwerer gewesen, als er ausgesehen hatte. Pascals Hilfe hatte er abgelehnt, obwohl er sie gerne angenommen hätte. Doch er hatte Masut versprochen, dem jungen Tierpfleger nichts zu sagen. Und Johann hielt Versprechen.

      Atemlos stand der blonde Junge in der Eingangshalle des Hauses. Sie war groß und von ihr ging es in alle Räume des Erdgeschosses.

      "Prachtvoll und riesig", stellte er fest.

      "Und im Winter unglaublich schlecht zu heizen", fügte Pascal hinzu.

      Eine ältere Frau schritt würdevoll die Treppe hinunter. Johann bemerkte sie erst, als Pascal sie ansprach.

      "Maman, das ist Johann."

      Der blonde Junge machte einen Diener. Seine Mutter hatte es ihm beigebracht, obwohl er sich immer gefragt hatte, wofür es nützlich sein mochte. Wie oft hatte ihm seine Mutter dann gesagt, dass jeder, der etwas auf sich halte, die Etikette beherrsche.

      Was Etikette sein mochte? Er hatte nie gewagt zu fragen. Heute hatte sich ihr Drängen zur Beherrschung der Gesellschaftsnormen bewährt. Dankbar wandte er für einen kurzen Moment seinen Kopf zur Decke und gedachte seiner Eltern, die von oben auf ihn hinabsahen.

      "Was für ein höflicher Junge", flötete die Dame. "Lass dich ansehen, mein Kleiner." Diese Zurschaustellung hasste Johann wie die Pest. Angeblich sei es so, wenn die Großmutter oder Tante zu Besuch komme. Doch eine Großmutter hatte er nicht und seine Tante war raffgierig gewesen. Sie hatte ihm höchstens am Ohr gezogen. "Er ist Richard Mellinghoff wie aus dem Gesicht geschnitten. Der kleine Richard war ein ganz lieber Junge bis er aus dem Geschäft schied. Aber da war er dann bereits erwachsen, vom Gesetz her, denn benommen hat er sich wie ein törichter Junge. Wegen so einem Luder alles aufzugeben, dass..."

      "Maman, es reicht!", unterbrach Claire die ausufernde Rede ihrer Mutter. Seit dem Tod des Vaters war Madame Justine geschwätzig geworden. Manchmal hatten ihre Kinder Mühe sie zum Schweigen zu bringen, ohne dass sie sich beleidigt zurückzog.

      Es war nicht zu übersehen, dass sie einsam war und die Aufgaben des Hauses sie nicht ausfüllten. Sie brauchte jemanden zum Reden, doch war nie jemand da mit dem sie wirklich reden konnte. Claire musste sich um das Geschäft kümmern und hatte meist nur Zahlen im Kopf. Pascal musste für sein Medizinstudium lernen und war kaum zu Hause, da er sich entweder im Tierpark oder an seinem Studienort aufhielt. Sie hatten eine Köchin, die zugleich die Wäsche machte. Eine ungewöhnliche Kombination, die nur daher rührte, dass sie nicht genügend Geld hatten, um sich mehr Personal leisten zu können. Wenn man es recht besah, wurden von ihrer Köchin sämtliche Aufgaben, die im Haushalt anfielen, erledigt.

      Hermine hätte fortgehen können, doch die Stelle war sicher, solange sie sich nichts zuschulden kommen ließ. Ihr Geld bekam sie jeden letzten Tag im Monat, nicht pro Woche. Hauptsache, es wurde pünktlich gezahlt, was geschah, und so blieb sie, denn sie mochte die Familie, die arg schwer vom Schicksal gebeutelt war.

      Seit dem Tod des Vaters war Pascal das Familienoberhaupt der Justines. Er war noch jung an Jahren, doch die Last lag nun auf seinen Schultern. Claire, seine Schwester, versuchte ihm so viel abzunehmen, wie sie konnte. Seitdem sie in Vater Francks Fußstapfen getreten war, ging es ein wenig mit der Firma bergauf, doch gerettet war sie noch lange nicht. Das würde noch eine ganze Weile dauern.

      "Johann wird für einige Zeit bei uns wohnen bis wir seinem Großvater schonend beigebracht haben, dass sein Sohn tot ist, aber sein Enkel lebt."

      "Der arme Richard. Ein so lieber Junge. Aber das kommt davon, wenn man sich gegen seine Vorbestimmung stellt."

      "Mutter!"

      Pascal sog scharf die Luft ein. Diesen Seitenhieb hätte sie sich wirklich sparen können. Missmutig sah er sie an. Ständig erinnerte sie ihn daran, dass er als ältester und einziger Sohn der Familie nicht der Tradition gefolgt war, um später in die Firma einzutreten und sie zu leiten. Stattdessen hatte er den Wunsch geäußert Arzt werden zu wollen. Ein Kaufmannssohn, der lieber Quacksalber werden wollte, wo hatte es das schon gegeben? Claires Intervention war es zu verdanken, dass er doch Medizin studieren durfte.

      Allerdings hatte seine Mutter nicht die Absicht gehabt, ihn zu unterstützen. Die Firma war auf jeden Pfennig angewiesen, weshalb er dort nicht aushalf. Sehr wahrscheinlich hätte er nur mehr Arbeit gemacht als sich nützlich zu tun. Auf Bestreben seines Mentors hatte er eine Stelle als Tierpfleger bei Hagenbeck bekommen. Dies lag günstig zu seinem Wohnhaus und er konnte seinen Mentor bei der Arbeit unterstützen, wenn dieser wieder Menschen für eine neue Völkerschau untersuchen musste.

      So hatte er damals auch den Auftrag erhalten, Masut zu bewachen, ob dieser nicht doch noch irgendwelche Krankheitssymptome zeigen würde. Deshalb war er auf Johann aufmerksam geworden, der ihm so gar nicht ägyptisch erscheinen wollte. Das hatte vielleicht auch daran gelegen, dass er ihn kaum arabisch reden gehört hatte. Selbst Masut unterhielt sich auf Deutsch mit ihm. Und als er eines Tages Johann ohne Verkleidung gesehen hatte, war er zuallererst erstaunt gewesen. Der falsche Ägypter war in Wirklichkeit ein blonder Junge.

      "Ich sage nur, was ich denke."

      "Was du meist für dich behalten könntest", erwiderte Pascal und schob Madame Justine zur Seite. "Es kann nicht immer alles nach deinem Willen gehen. - Komm, Johann, ich zeige dir dein Zimmer."

      Johann nahm den verhüllten Krug und folgte dem jungen Tierpfleger die Treppe hoch. So entging ihm der Wortschwall, den Madame Justine losließ.

      Sie