Die Rollen des Seth. Helen Dalibor. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Helen Dalibor
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847635529
Скачать книгу
die beiden es wagen, ihren Eltern oder ihrer Mutter zu widersprechen? Eine Frau, die eine Firma leitete, war ein Ding der Unmöglichkeit. Sie war in Claires Alter bereits verheiratet gewesen. Doch Claire schien es vorzuziehen, eine alte Jungfer zu werden. So viele Männer hatten sich um sie bemüht, doch alle hatte sie abgewiesen und ihrer Mutter vor den Kopf gestoßen. Pascal wollte lieber Arzt werden und arbeitete als Tierpfleger. Wie tief musste die Familie noch sinken?

      Madame Justines Gekeife verstummte, als Pascal die Tür des Zimmers schloss, das nun Johanns neues Reich sein sollte.

      "Kümmere dich nicht darum und ignoriere meine Mutter einfach. Irgendwann wird sie schon aufhören. Und nun willkommen in deinem neuen Reich."

      26

      Johann hatte sich schnell eingelebt. Selbst Madame Justine konnte seine Freude über sein neues Leben nicht trüben. Bereits nach einigen Tagen hatte er erkannt, dass sie gar nicht so schlimm war, wie er sie bei seiner Ankunft kennengelernt hatte. Sie war sogar äußerst liebenswürdig und kümmerte sich rührend um ihn. Manchmal wurde es ihn allerdings zu viel und dann flüchtete er auf sein Zimmer. Er hatte erkannt, dass Madame Justine nur in Gegenwart ihrer Kinder so kratzbürstig war. Anscheinend hoffte sie immer noch, dass Pascal und Claire ihren wahren Bestimmungen folgen würden.

      Wenn sie so mit den Entscheidungen ihrer Kinder haderte, warum hatte sie nicht bestimmt, sondern deren Willen geschehen lassen? Das verstand er nicht, wagte aber auch nicht zu fragen. Vielleicht würde man ihn für neugierig halten. Außerdem war es sicherlich eine Familienangelegenheit. Und zur Familie konnte er sich nun gleich gar nicht zählen, so freundlich er auch behandelt wurde.

      Heute war Sonntag und Pascal hatte Johann versprochen, dass er mit in den Tierpark dürfe. Vor lauter Freude hatte er Pascal umarmt, war in die Luft gesprungen und hatte gejubelt. Nur langsam hatte er sich wieder beruhigen können.

      "Kommt denn Claire auch mit?", hatte er wissen wollen.

      "Wenn sie will und Zeit hat. Wenn sie kommt, kannst du sie fragen. Vielleicht hast du Glück."

      Er hatte Glück gehabt. Nun standen er und Claire am imposanten Eingangstor und warteten auf Pascal.

      Fasziniert sah Johann am Tor auf die Figuren. Zwei Elefantenköpfe mit Laterne im Rüssel hingen links und rechts über den beiden Torgittern. Ein Indianer, Eisbären und Robben befanden sich oben auf beiden Torseiten. Naturgetreu und lebensecht sahen sie aus.

      Gleich hinter dem Eingangstor warteten Ponys, eine kleine Eisenbahn und ein Reitelefant auf die großen und kleinen Besucher.

      Die Besucher, meist Familien, die am Sonntag einen gemeinsamen Ausflug unternahmen, strömten an ihnen vorbei. Langsam wurde Johann ungeduldig. Was machte Pascal nur, dass er nicht kam und sie abholte?

      "Er wird uns schon nicht vergessen haben", sagte Claire, die seine Gedanken gelesen haben musste. "Wahrscheinlich hat er noch etwas zu erledigen. Die Arbeit geht vor. Wenn er fertig ist, wird er sicher kommen."

      Hatte er da einen skeptischen Unterton in ihrer Stimme gehört? Zweifelte sie daran, dass Pascal kommen würde? Warum hatte er sie zu einem Tierpark-Besuch eingeladen, wenn er nicht käme?

      "Wir warten noch ein bisschen. Pascal war noch nie pünktlich."

      Würden sie eben noch warten müssen. Dabei wollte er doch zu Masut und ihm von seinem neuen Leben erzählen. Wieso nur war Geduld so anstrengend?

      "Entschuldigt, aber Jette wollte mich nicht gehen lassen. Hat eben einen Dickkopf die Schöne. Wenn sie was will, kriegt sie es auch. Aber dafür hat sie einen besonderen Charakter", sagte Pascal und blieb atemlos vor seiner Schwester und Johann stehen.

      "Ist das deine Freundin?", wollte Johann wissen, der den Namen schon einmal gehört hatte.

      "Jette?", Pascal begann zu lachen. "Nicht wirklich. Aber wen sie mag, der kann sich schon als ihr Freund bezeichnen. Ich werde sie euch nachher zeigen."

      "Jette ist ein Elefant, genauso wie Bertha, seine ganz besondere Freundin", fügte Claire schmunzelnd hinzu.

      Johann machte große Augen und senkte den Kopf, damit man nicht sah, wie er rot anlief.

      "Du brauchst nicht beschämt sein. Pascal redet von seinen Elefanten immer als seien es Menschen."

      "Na und, die sind schlauer und sensibler als du denkst."

      "Ja, ja, bleib du bei deinen Elefanten und ich bleibe bei meinen Zahlen. Jedem sein Spezialgebiet."

      "Gehen wir?", fragte Johann ungeduldig. Die Kabbeleien der Geschwister gingen ihm allmählich auf die Nerven.

      "Schon gut, du willst zu Masut", sagte Pascal und gab ihm einen freundschaftlichen Klaps auf den Hinterkopf. "Aber zu deinem ägyptischen Freund gehen wir später. Der läuft uns nicht weg."

      "Dann zeig mir deine Bertha, ich will sie sehen."

      Pascal lachte und sie betraten durch das Eingangstor den Tierpark.

      27

      Pascal hatte sie durch den Park geführt, an der Raubtierschlucht und den Löwen vorbei, die auf die Zebras gucken konnten. Sie hatten die Robben bewundert und ehrfürchtig die Eisbären betrachtet und sich gefragt, ob schon einmal ein Rentier ins Eisbärengehege gefallen war. Betrachteten das erst vor kurzem eröffnete Südpolar-Panorama. Die Geschwister erinnerten sich an eine Rutsche, die kurze Zeit später wieder geschlossen wurde, da einige Besucher sich verletzt hatten. Alle drei amüsierten sich über den watschelnden Gang der Pinguine, betrachteten die Papageien auf ihren Stangen entlang der Allee und beobachteten die vielen Paviane auf dem Affenfelsen.

      Jetzt standen nur noch die Elefanten an und die Völkerschau am Nil. Claire taten bereits die Füße weh, da ihre Schuhe drückten. Zwar hatte sie sich schon ihre bequemsten angezogen, doch auch die waren für eine Wanderung oder einen langen Spaziergang nicht geeignet. Aber sie biss die Zähne zusammen, um Johann seinen Ausflug nicht zu vermiesen. Wenn sie wieder zu Hause waren, würde sie Hermine bitten, ein Fußbad für sie vorzubereiten. Das würde hoffentlich für Linderung sorgen.

      "Was für ein großes Haus und wie viele Elefanten das sind."

      Fasziniert lief Johann vom Eingang ins Innere des Hauses, drehte sich einmal im Kreis und rannte an die Absperrung, die Besucher vom Graben und den Dickhäutern trennte. Davor blieb er stehen. Ein Rüssel schnellte nach vorne und berührte seine Hand. Erschrocken zog er sie zurück und blickte auf in die kleinen, braunen, freundlichen Augen eines Elefanten.

      "Wer bist du denn?"

      "Pass auf, Johann, die können ihren Rüssel nie voll genug kriegen", rief Pascal ihm lachend zu.

      "Ich habe nichts", sagte Johann zu der Elefantenkuh, denn sie hatte keine sichtbaren Stoßzähne. Beleidigt steckte sie sich den Rüssel ins Maul. "Hast du so einen Hunger? Bekommst du nicht genug zu fressen?"

      "Die bekommt schon genug, aber eine kleine Leckerei zwischendurch schadet nicht."

      "Hätte ich das gewusst, hätte ich was mitgebracht."

      "Aber nur Gemüse, vom Rest kriegen sie genug."

      "Achtest du etwa auf die Figur deiner Lieblinge?", wollte Claire wissen und ein schelmisches Lachen zeichnete sich auf ihrem Gesicht ab.

      "Einer muss es ja tun. In freier Wildbahn kriegen sie auch nicht so schöne Leckereien. Da müssen sie sich alles mühsam zusammensuchen."

      Was interessierte Johann, was Pascal alles wusste? Er wollte endlich zu Masut, der gewiss auf ihn wartete.

      "Und wo ist deine Freundin?", fragte er ungeduldig.

      "Wer?", fragte Pascal überrascht, dann fiel ihm ein, wen Johann meinte. "Du meinst Bertha." Er sah zu den einzelnen Elefanten, konnte die Dickhäuterin aber nicht entdecken, auch in ihrer Einzelbox war sie nicht. "Scheint nicht da zu sein. Vielleicht ist sie rausgenommen worden, damit sie einen der anderen Dickhäuter