"Hatte vergessen es einzuschalten. So war ich nicht zu orten", sagte sie und packte ihr Handy wieder weg.
"Aber Sie haben ja was bei Ikea gefunden." Er schlug die Kofferraumtür zu. "Ich werde ja nie den Erfolg dieses schwedischen Möbelhauses nachvollziehen. Die Möbel sind mir einfach zu stillos."
"Ich habe mal gehört, dass es die Philosophie des Bauhauses übernommen habe. Aber da bleibe ich skeptisch. Die Möbel sind schlicht und einfach und eben gebrauchsfertig. Aber deshalb mit dem Bauhaus vergleichen, ich weiß nicht."
"Interessante Theorie, kannte ich noch gar nicht."
Ich auch nicht.
Manchmal überraschte Isis sich selbst, wie sie in Sekundenschnelle irgendwelche plausiblen Theorien aus dem Ärmel schütteln konnte.
Professor Winter hatte seine Aktentasche neben die große blaue Tragetasche gelegt gehabt, ohne zu bemerken, dass sie nicht von Ikea gewesen war, sondern vom Baumarkt Max Bahr.
***
Mona konnte es nicht glauben, dass der Mann sie immer noch nicht bemerkt hatte. Sie beide stellten sich relativ plump an, waren sogar in denselben U-Bahn-Waggon gestiegen wie er. Nun folgten sie ihm bereits seit mehreren Minuten zu Fuß. Und noch immer waren sie nicht aufgefallen. Das gab's doch einfach nicht!
Sie wussten immer noch nicht, wie sie ihm das Geld wieder abnehmen sollten. Je mehr sie sich den Kopf darüber zerbrachen, desto leerer wurde er. Also würden sie es einfach auf sich zukommen lassen. Das würde das Beste sein. Hatte Isis das früher nicht auch getan, wenn sie sich zu keiner Entscheidung durchringen konnte?
"Mir tun langsam die Füße weh", maulte Karla.
"Dann wechsele dein Schuhwerk. Darin würden mir auch die Füße wehtun", erwiderte Mona und betrachtete die plateauähnlichen Sohlen.
"Aber wenigstens fallen meine Schuhe nicht auseinander, so wie deine. Bekommst du bei Regen eigentlich nasse Füße oder bleibst du gleich zu Hause?"
"Nein, ich ziehe Gummistiefel an. Und jetzt hör auf Isis nachzuäffen, sonst kündige ich dir irgendwann auch die Freundschaft."
"Oh", Karla wurde hellhörig. "Wem hast du denn schon die Freundschaft gekündigt? Soweit ich weiß, hältst du die männlichen Wesen immer auf Abstand. Wie Isis, seitdem ihre Eltern sich scheiden ließen."
"Erstens bin ich nicht Isis und zweitens kein Scheidungskind. Also habe ich auch kein psychosomatisches Trauma."
"Aber trotzdem hast du jemandem die Freundschaft gekündigt. Vielleicht Isis?"
"Seit wann ist Isis meine Freundin? Freundschaften sind Zweckbündnisse."
"Aha, schön dass ich ein Zweckbündnis bin."
Beide waren so ins Gespräch vertieft, dass sie nicht bemerkten, wie der Mann stehen geblieben war. Und so nahm das Unglück seinen Lauf und Mona lief in ihre Zielperson hinein. Der Aufprall war so gewaltig, dass der Mann ins Stolpern kam und sein Gleichgewicht erst wiederfand, als er einen kleinen Schritt tat und sein Gewicht so verlagerte, um nicht zu stürzen. Mona hatte weniger Glück, denn sie fiel hin. Ihre Beine versagten, als ihr für einen winzigen Augenblick schwarz vor Augen wurde.
"Könnt ihr nicht aufpassen, Schnatterliesen? Achtet lieber auf den Weg als hirnlosen Quatsch zu reden."
Karla plusterte sich vor Wut auf und sah den Mann mit funkelnden Augen an. Was erlaubte sich dieser ungehobelte Kerl? Mona lag am Boden und dieser Wichtigtuer hatte nichts Besseres zu tun, als zu meckern und zu beleidigen.
"Wir sollen aufpassen?", fragte sie und blickte die Zielperson scharf an. Dieser versuchte dem Blick standzuhalten, was ihm nicht gelang und er zur Seite sah. "Passen Sie doch auf! Was stellen Sie sich hier mitten in den Weg? Kann doch keiner ahnen, dass Sie plötzlich stehenbleiben." Der Mann wollte etwas erwidern, doch ihm fehlten die Worte. Solch einen Wutausbruch bei einer Frau hatte er noch nie erlebt. Dass ihm die Meinung gesagt wurde, hätte er sich nie vorstellen können. Dieses Weibsbild hatte sich richtig in Rage geredet. "Sehen Sie nur meine arme Freundin dort am Boden liegen."
Karla zeigte auf Mona. Die lag immer noch benommen auf dem gepflasterten Weg. Und da kam Karla ein Geistesblitz. Jetzt wusste sie, was zu tun war, um doch noch ans Geld zu kommen. Wie es aussah, schien der Mann hier zu wohnen. Sie mussten in seine Wohnung, um ihm das Geld unauffällig abzunehmen. Zwar gefiel ihr der Gedanke nicht, in die Wohnung dieses Mannes zu gehen, aber es war die einzige Gelegenheit, die sich ihr bot. Glücklocherweise war sie nicht allein, auch wenn sie sich nur schwer vorstellen konnte, dass der Mann sie irgendwie angrapschen würde. Und falls er es doch versuchen würde, bekäme ihm das schlecht.
Schnell bückte sie sich zu Mona, als diese die Augen öffnen wollte.
"Augen zu!", zischte sie leise.
Der Mann starrte auf das seltsame Gespann. Was wollten die zwei von ihm?
"Sehen Sie genau hin. Meine Freundin kann hier doch nicht liegenbleiben. Sie muss sich erholen und braucht ein Glas Wasser."
Der Mann wollte sich abwenden, doch Karla sah ihn so durchdringend an, dass er sich einen Ruck gab.
"Gut, sie kann sich auf meinem Sofa erholen. Aber wenn sie was schmutzig macht, müsst ihr das wegmachen."
Karla zwickte Mona in den Arm, die zusammenzuckte und die Augen aufschlug. Grimmig sah sie ihre Freundin an.
"Tu ganz schwach."
"Das kriegt Isis alles zurück. Mein Kopf brummt, wie damals nach dem Abi-Ball."
"Kann sie aufstehen?"
"Ja, danke, geht schon." Karla zog Mona hoch, die sich schwer machte wie ein nasser Sack. Die plötzliche Hilfsbereitschaft machte sie misstrauisch. Sollte sie sich doch getäuscht haben? Ein Glück, dass sie noch ein paar Karategriffe konnte, die Isis' Bruder Knut ihnen vor langer Zeit beigebracht hatte.
"Mach dich nicht so schwer!"
"Ich bin betäubt."
"Wenn schon benommen. Aber du bist keine Feder."
"Ist ja schon gut."
Mona ließ sich von Karla stützen und fand, dass sie die Rolle der Geschädigten ganz gut spielte. An ihr war eine Schauspielerin verloren gegangen.
Sie folgten dem Mann auf der Treppe und gingen mehrere Stockwerke hoch. Schließlich öffnete der Mann seine Haustür und wies Karla und Mona den Weg.
"Den Flur durch und links. Und wehe, deine Freundin kotzt mir das Sofa voll."
"Das macht sie nicht."
Langsam betraten sie die Wohnung. Jetzt begann der schwierigste Teil ihres Plans. Der Anfang war gemacht.
21
Die Worte hallten ihr durch die Ohren, obwohl es eine SMS gewesen war. Doch Isis hatte das Gefühl, als hätte sie den Hilferuf gehört.
Hol uns raus!!, hatte in der SMS gestanden und eine Adresse.
Isis war sofort losgefahren, hatte mitten auf der Julius-Vosseler-Straße gewendet und die Fahrbahn gewechselt. In halsbrecherischer Weise gab sie die Straße in ihr Navigationsgerät ein und ließ die Strecke berechnen. Dies tat sie in voller Fahrt. Selten hatte sie so unüberlegt gehandelt, vor allem nicht im Straßenverkehr. Aber diese SMS hatte sie völlig durcheinander gebracht. Vor Jahren hatten sie ausgemacht, dass sie eine SMS mit zwei Ausrufezeichen beendeten, wenn sie sich in Gefahr befanden. Das war noch nie eingetreten - bis jetzt.
Was war nur geschehen? Isis machte sich furchtbare Vorwürfe, dass sie Mona und Karla in diese Situation gebracht hatte. Ihren eigenen Vorteil hatte sie nur gesehen. Hatte sich egoistisch verhalten, als sie ihre Freundinnen dazu gedrängt hatte, ihr eigenes