Er legte das Telefon griffbereit auf den Nachttisch zurück und schaltete das Licht aus. Sein Herz klopfte hart.
Wer wusste, dass er hier war? Al, Kim... und derjenige, der ihn beobachtete?
HALT DICH RAUS!
Nein, ich halte mich nicht raus. Jetzt ganz sicher nicht mehr.
Kapitel 15
Das erste Bild, das sich Shane am Morgen einprägte, war der silbrig glänzende Pazifik. Es regnete. Gleichmäßig und stetig. Er stand mit einem Becher Kaffee in der offenen Balkontür. In der Nacht hatte niemand mehr angerufen. Aber er hatte es wieder geträumt: wie sie diese verdammte Straße hinunter gingen, er und Jack und Evans und Hawking, der Mond, die Stimmen, die Schüsse. Jede Nacht dasselbe. Jede Nacht wurde er von Kugeln durchsiebt.
Um acht war er geduscht, so weit es möglich gewesen war, angezogen – und bewaffnet. Er verließ die Wohnung, nahm den Aufzug in die Tiefgarage. Sanft und geräuschlos glitt die Kabine nach unten, und als sich die Türen öffneten, war es ihm als habe er sich gar nicht von der Stelle bewegt. Er hinkte mit seinen Krücken durch einen hell erleuchteten, fensterlosen Schacht aus Beton. Rechts befand sich eine Metalltür, wohl ein Maschinenraum, mit einem Eintritt Verboten - Schild. Gegenüber eine weitere Tür mit dem gleichen Schild. Die dritte Tür war weit geöffnet und führte in die schlecht beleuchtete Garage. Vielleicht lag es an der nur mit einer rotweißen Schranke verschlossenen Einfahrt, durch die das grelle Sonnenlicht fiel, dass die Planer geglaubt hatten, die Beleuchtung genüge.
Er hinkte über die etwas zur Hälfte besetzten Parkplätze zu seinem weißen Corolla, der in einer Reihe von vier Wagen an der Wand stand. Warum musste ausgerechnet neben seinem Auto auf der Fahrerseite ein Auto parken?, ärgerte er sich, und schob sich umständlich zwischen die Wagen. Er schloss auf, warf die Krücken auf den Beifahrersitz und ließ sich unter einer Verrenkung, auf den Sitz fallen. Er sträubte sich dagegen, blieb unbeweglich sitzen, zwang sich, es nicht zu tun. Auf das Display des Handys sehen. Nichts. Keine Nachricht. Er steckte es wieder zurück. Entschlossen drehte er den Zündschlüssel. Er rangierte hinaus, steckte die Chipkarte ins Lesegerät neben der Schranke, nahm sie wieder entgegen und fuhr hinaus ins hellgraue Licht.
Die Catering Firma Nice & Cool lag nur wenige Kilometer entfernt in der Richtung aus der er gestern gekommen war. Shane hatte das Neonschild auf dem rosafarbenen flachen Gebäude bereits auf der Hinfahrt gesehen. Der Berufsverkehr, auch wenn er sich hier in Grenzen hielt, hatte bereits eingesetzt, und Urlauber, erkennbar an vollgepackten Autos, Kennzeichen aus New South Wales, an Bootanhängern oder Wohnwagen, waren bereits oder noch zu ihren Weihnachtsdomizilen unterwegs. Es ging nur langsam auf der Straße voran, Jogger, die sich nicht vom Regen abhalten ließen, und Menschen, die ihre Hunde ausführten, waren schneller als er im Auto. In den Vertiefungen der Straße standen Pfützen.
Endlich, drei Straßenecken hinter McDonalds und nach knapp fünfzehn Minuten, die er für drei Kilometer gebraucht hatte, erkannte er den türkisblauen Schriftzug Nice & Cool auf dem art-deco-rosafarbenen Flachbau. Er musste warten, bis einer der entgegenkommenden Wagen ihn auf den Parkplatz abbiegen ließ. Schließlich hielt ein goldener BMW, und er schlüpfte rasch durch die Lücke und parkte zwischen einem roten Volvo und einem weißen Van mit dem Namen des Cateringservices auf der Schiebetür.
Die Glastür war sein erstes Hindernis. Mit zwei Krücken war es äußerst schwierig eine sich nach außen öffnende Tür aufzuziehen, die noch dazu, wie viele Eingangstüren, mit einem Mechanismus versehen war, der sie von selbst wieder zufallen ließ. Eine tief gebräunte, ganz in Weiß gekleidete, junge Frau mit blondem Pferdeschwanz, eilte ihm von innen zu Hilfe.
Er war froh, dass sie ihm nicht mit dem mitleidigen Lächeln bedachte, das er in den vergangenen Tagen zur Genüge kennen gelernt hatte. Josie, stand auf ihrem Namensschild. Ihre Nase passte nicht zu ihrem durchschnittlichen, unauffälligem Gesicht. Sie war gebogen und knochig, und erinnerte ihn an einen scharfen Feuerstein.
Sie sah auf sein Bein. „Oh, je, da hat man Ihnen aber gründlich die Weihnachtsferien verdorben, was?“
Wenn sie wüsste, in welchem Ausmaß sie mir verdorben waren, wäre sie sicher kreidebleich unter ihrer hübschen Sonnenbräune geworden, dachte er, sagte jedoch: „Da haben Sie recht.“
Sie deutete in dem nicht allzu großen, sonnengelb gestrichenen Raum, in dem zwei unbesetzte Schreibtische standen, auf eine großzügige Rattansitzgruppe mit kanarienvogelfarbenen Kissen.
„Bitte, setzen Sie sich doch.“
Er wusste, dass er aus dem tiefen Sitz nur mit Mühe würde aufstehen können und lehnte ab.
„Oh, ich kann Ihnen auch gern einen Stuhl bringen.“ Sie machte schon Anstalten, sich umzudrehen.
„Nein, vielen Dank“, sagte er schnell, „es geht so.“ Er wollte sich nicht noch hilfsbedürftiger vorkommen, und vor allem wollte er nicht, dass sie sich um ihn kümmerte.
„Was kann ich für Sie tun? Ich muss Ihnen gleich sagen, jetzt vor Weihnachten sind wir ziemlich ausgebucht, Silvester ist ganz schlecht, aber vielleicht kriegen wir noch was hin!“
Sie hatte ein schönes Lächeln. Er hatte sich an ihre Nase gewöhnt, ja, fand sie sogar auf erfrischende Weise anders als die unauffälligen Null-Acht-Fünfzehn-Nasen.
Nein, er zückte nicht seinen Dienstausweis und fragte: Was wissen Sie über Darren Martin? Er war nicht mit den Ermittlungen beauftragt, er war krank geschrieben, also ging er diesmal einen anderen Weg, der manchmal durchaus Vorteile mit sich bringen konnte, und sagte:
„Es geht erst um eine Feier nach Silvester. Unsere Tochter heiratet.“
Warum musste Pam herhalten?
„Das ist ja wunderbar!“
Josie atmete auf und rupfte aus dem Halter an der Tür eine Broschüre. Kaum fünf Minuten später hatte er, was er wollte: Sie sagte ihm zu, dass ein Kollege von Darren Martin, der leider tödlich verunglück sei, bei Shane vorbeikommen und sich vorstellen würde. Gut, dachte er, das ist immerhin ein Anfang.
Er steckte gerade den Schlüssel ins Türschloss als der gleichmäßige Regen in einen Platzregen überging.
Kapitel 16
Josh wusste nicht, ob er sich über den Regen ärgern oder freuen sollte. Bei Regen konnte er nicht arbeiten, das Gras war klumpig und fiel zusammen, Mähen war unmöglich. Doch dann müsste er die Arbeit auf einen anderen Tag verschieben. Schließlich packte er bei den Helmers in Buderim seinen Rasenmäher ein und versprach, in den nächsten zwei Tagen wieder vorbei zu kommen. Der Regen war zu stark geworden.
„Ich brauche Sie wirklich dringend, Josh!“, hatte Mrs. Helmer ihn angefleht, „dringend!“
Kurz vor Weihnachten erfasste die Menschen eine wahre Hysterie: Unter allen Umständen mussten die Gärten hergerichtet sein. Dabei interessierte sich an Weihnachten wahrscheinlich keiner der Partygäste für den Garten, viel zu schnell wären sie betrunken.
Josh fuhr nach Hause und setzte sich auf die von einer Pergola überdachten Terrasse mit dem alten Plastiktisch und den Plastikstühlen, in deren Ritzen Spinnweben hingen, die zu entfernen er nie Zeit hatte, und trank Tee. Er hörte dem Regen zu, der laut aufs Dach trommelte, und beobachtete, wie das Wasser in Strömen an der vorderen Kante hinunter lief und klatschend in den Pfützen auftraf, die sich auf dem Rasen bildeten. Aus den Palmen vor dem Bretterzaun hatte der Wind die alten Äste gefegt, die nun wie die Reste einer primitiven Behausung vor ihm im Gras lagen. Garbo schlief auf seiner Decke, den Kopf auf einem abgenagten Knochen.
„Du bist verrückt, Junge“, hatte sein Vater zu ihm gesagt und dröhnend gelacht, wenn er auf die Frage, was er denn mal werden wolle, geantwortet hatte: Pilot. Seine Mutter hatte sanft gelächelt und weiter gehäkelt. In seiner Erinnerung sah er sie immer weiße, feine Deckchen