Undercover. Manuela Martini. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Manuela Martini
Издательство: Bookwire
Серия: Ein Shane O'Connor Krimi
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742759382
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als an der Gold Coast, nicht zwanzig oder dreißig sondern höchstens sechs Etagen zählten und im Erdgeschoss, in einer Arkadenreihe, kleinen, meist chicen Geschäften für Strandbekleidung, aber auch Cafés und Restaurants Platz boten. Touristen in bunten Shorts und T-Shirts schlurften gemächlich über die Straße oder saßen unter den Sonnenschirmen der Cafés bei Kaffee oder Eis. Rechts der Straße begrenzte eine niedrige Mauer eine schmale gepflegte Grünanlage mit Palmen und Grillplätzen. Darunter erstreckten sich der feinsandige Strand und der Ozean. Ein gemütlicher Strandort war Mooloolaba. Das Richtige für Leute, die bei gutem Wetter und in gepflegten Restaurants und Cafés ausspannen wollten.

      Er aber würde sich sicher nicht entspannen können, wusste er.

      Die zweistündige Fahrt über die Motorway hatte Shane mehr erschöpft als gedacht und die schwüle Hitze, die zwar hier am Meer besser zu ertragen war als in der Stadt, hatte ihm den Rest gegeben. Er war noch lange nicht wieder gesund, da machte er sich nichts vor. Nur, hoffte er, bald auf die lästigen Krücken verzichten zu können.

      Den Schlüssel für das Apartment und die Karte für die Tiefgarage hatte Frank ihm beim Pförtner an der Empfangstheke, über die das gepflegte und noch neue sechsstöckige Haus direkt an der Esplanade verfügte, hinterlegt. Shane war ihm dafür sehr dankbar, denn jedes Gespräch hätte ihn jetzt überfordert. Er stellte den Wagen in der Tiefgarage ab und fuhr, seine leichte Reisetasche umgehängt, mit dem lautlosen Aufzug hinauf in den fünften Stock. Ein angenehmer, dezenter Duft nach Blüten und Vanille hatte ihn schon beim Eintreten in die Lobby eingehüllt, er schien den Wänden und Teppichen, ja sogar der metallenen Aufzugkabine zu entströmen und erweckte den Eindruck, das ganze Gebäude sei nichts anderes als feste Materie gewordene duftende Luft. Ein weicher, tabakbrauner Teppich nahm seinen Schritten und seinen Krücken jegliches Geräusch als er auf die Tür mit der Nummer 512 zusteuerte. Es war still. War dies alles überhaupt die Wirklichkeit? Oder nur ein Traum, der zu seinem Alptraum gehörte...? Ärgerlich aber bestimmt schüttelte er seine Gedanken ab und schloss auf.

      Warmes, durch Jalousien gefiltertes Licht empfing ihn und eine leichte Meeresbrise, die irgendwo durch ein geöffnetes Fenster hereinwehte. Frank hatte Geschmack – oder einfach Geld. Shane befreite sich von der Reisetasche und seinem Jackett, das er trotz der Hitze angezogen hatte, um es nicht auch noch in der Tasche verstauen zu müssen, und atmete auf. Auch hier der Blütenvanille-Duft.

      Sein Blick fiel auf das schlichte Sideboard aus dunklem Holz. Dort stand eine Figur, eine Giraffe aus blauem Glas. Daneben lag ein Buch. Er ging näher. Der Katalog der Immobilienfirma, die das Gebäude erbaut hatte und die Apartments verkaufte. Pacific nannte sie sich, und schrieb ihren Namen über das Bild auslaufender Wellen am Strand. Das Foto verlockte ihn, weiterzublättern.

      „Leben beginnt an der Schwelle des Ozeans“, hieß es auf einer anderen Seite, unter dem Bild eines Strandes im Morgengrauen. Was meinte man damit? Das Herauskrabbeln der Amphibien, die zu Dinosauriern wurden und dann verhungerten? Das kurze Leben der Meeresschildkröten und Sandkrabben, die in jeder Sekunde den tödlichen Angriffen hungriger Möwen ausgeliefert waren? Auch der Tod beginnt an der Schwelle des Ozeans, hätte man ehrlicherweise hinzuschreiben müssen. Aber mit diesem Slogan würde man keine Wohnungen verkaufen. „Aus Träumen geboren“, hieß es weiter, sei die Wohnanlage an der Promenade von Mooloolaba. Dabei waren es ganz normale Apartmenthäuser, aus weiß gestrichenem Beton. Zugegeben, etwas besser als normal. Doch Träume? Kostspielig waren diese Träume in jedem Fall. Selbst ein Laie wie er erkannte, dass die bequemen Sitzkissen der tabakfarbenen Ledercouch mit hochwertigem Material gefüllt sein mussten, dass der naturfarbene Leinenstoff der Kissen robust und dennoch zart war, dass es sich beim Holz des dunkel lackierten Parkettbodens um keine Billigware handelte, ebenso wenig wie bei dem hellen Wollteppich unter der Sitzgruppe und der unauffälligen Anrichte, auf der sich dekorativ drei großformatige Kunstbücher stapelten. Er humpelte in die Küche. Modern und funktionell, auch dieser Raum.

      Aus dem hohen, alufarbenen Kühlschrank, den Frank oder vielleicht auch Kim - mit zwei Sixpacks FourX-Gold-Bier und ein paar Fertiggerichten gefüllt hatte, nahm er ein Bier und fand neben einer schicken Kaffeemaschine drei Neoprenmanschetten mit dem Werbeaufdruck von Franks Reifenfirma: Frank’s Indestructible Tyres. Indestructible – unverwüstlich, dachte er, das passt wohl auch zu mir. Mit einem plötzlichen Anflug von Sympathie für Frank steckte er die Bierflasche in eine der Manschetten, humpelte mit den Krücken hinaus auf den Balkon und stützte die Arme auf das Metallgeländer das über der Betonbrüstung entlang lief – und es Selbstmörder schwerer machte, sich hinunterzustürzen. Direkt vor ihm, hinter der Esplanade, der verkehrsberuhigten Uferstraße und dem schmalen Parkplatz, dehnte sich endlos der blaue Ozean aus. Über den Himmel zogen sich dunstige Schleier, und der Wind war – typisch für den Nachmittag – stärker geworden. Touristen mit Badetüchern, Sonnenschirmen und Surfboards kehrten vom Sandstrand zurück, wo eine handvoll Surfer in der Abenddämmerung die letzten Ritte über die Wellen machten. Von unten aus den Restaurants und Cafés in den Arkaden drangen Gelächter und Geschirrklappern.

      Auf einmal fühlte sich Shane unendlich erschöpft. Das Leben spielte sich dort ab. Er war überflüssig. Übrig geblieben. Vielleicht hätte ich gar nicht übrig bleiben sollen? Vielleicht war es ein Versehen, eine Verwechslung? Nicht Jack, sondern ich hätte sterben müssen, dachte er. Dem Schicksal war ein Fehler unterlaufen. Jacks Tod war nichts weiter als ein tragischer Irrtum... Hör auf, Shane!, ermahnte er sich.

      Draußen auf dem Meer bemerkte er zwei Fischerboote, die ihre Netzte auswarfen. Er ging zurück in die Wohnung. Das Bad hatte man genauso schlicht und edel gestaltet wie die übrige Wohnung, und das Schlafzimmer bestand aus einem einladend geräumigem Bett und einem unaufdringlichen Wandschrank ohne Spiegel, was er beruhigt zur Kenntnis nahm. Er hasste nichts mehr als Spiegelschränke im Schlafzimmer. Die hatte er auch schon gehasst, als er noch jünger und besser in Form gewesen war. Da entdeckte er neben dem Schrank ein Fernrohr. Ich könnte es aufstellen und die Fischerboote beobachten, oder die Menschen am Strand und auf der Straße. Tja, so bin ich, der ewige Bulle. Er ließ das Fernrohr erst mal dort wo es war, humpelte zurück ins Wohnzimmer, setzte sich auf die bequeme Couch und wählte auf seinem Handy Kims Nummer. Es schaltete sich jedoch nur der Anrufbeantworter ein. Er hinterließ eine Nachricht und kündigte für den nächsten Tag seinen Besuch an. Anschließend rief er Ann zu Hause an. Die Nummer wusste er auswendig. Wie oft hatte er Jack abends nach Dienstschluss oder nachts angerufen. Als niemand abhob, versuchte er es im Krankenhaus. Ann war gerade nach Hause gegangen, hieß es, aber dem kleinen Jack ginge es gut. Er legte auf. Wieder hatte Klein-Jack einen Tag dem Leben abgetrotzt, er war stolz auf ihn. Eine Weile blieb er noch auf der Couch sitzen und starrte durch die offene Balkontür in den dunkler werdenden Himmel. Morgen würde er seine privaten Ermittlungen aufnehmen. Zum Fernsehen fühlte er sich zu müde. Schon um halb acht legte er sich in das duftende, mit weißen, kühlen Laken bezogene Queensize-Bett. Sein Bein schmerzte. Er nahm eine Tablette und wartete darauf, einzuschlafen. Schon war er weggedämmert als ihn ein Geräusch aufrüttelte. Sein Handy! Ann! Das Baby! Hektisch tastete er im Dunkeln über den Nachttisch, fand es. „Ja?“

      Doch die Leitung war stumm. Er sah auf das orangefarbene Display. Der Briefumschlag. Es hatte ihn niemand angerufen. Jemand hatte ihm eine SMS geschickt. Wo war nur der verdammte Lichtschalter? Endlich fand er ihn, knipste die Lampe an. Weißes Licht strahlte taghell. Und für einen Augenblick fragte er sich, ob er geträumt hatte. Doch das Display leuchtete. Er drückte die Taste.

       HALT DICH RAUS. DAS IST EINE WARNUNG.

      Die aufleuchtende Telefonnummer war keine Mobil-, sondern eine Festnetznummer. Er wählte die Nummer, wartete. Niemand nahm ab. Was hatte er auch erwartet? Die Leuchtziffern des Weckers zeigten 22:28.

      Wieder wählte er. Beth war nicht da, hatte frei, sagte ihm ihre Kollegin, die seinen Namen jedoch auch kannte. In wenigen Sekunden hatte sie die Nummer eingegeben.

      „Die Nummer ist die des öffentlichen Fernsprechers in Maroochydore, Parkplatz 4 des Einkaufscenters Sunshine Plaza“, sagte sie.

      Er hätte sich denken können, dass niemand von zu Hause eine solche Meldung verschickte. Entweder erlaubte sich jemand einen Spaß, oder Jacks Mörder hatte Kontakt zu ihm aufgenommen.