Quallen, Bimm und Alemannia. Ha-Jo Gorny. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ha-Jo Gorny
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738029468
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sprach er in begeistertem Tonfall. Unhöflich komplimentierte er einen Patienten hinaus, der dann seinen Leibesumfang mühevoll die Stufen hinunter schaffte.

      „So, nun komm rein und ich zeige dir wie das geht“ meinte der Arzt aufmunternd.

      Nur zögerlich stieg Bimm in den Bus, verwundert, weshalb er zu ihr so freundlich und gegenüber dem Mann so abweisend war. Der Arzt machte ihr vor, wie sie den Arm in ein lichtdurchflutetes Gerät zu legen hatte.

      „Nur fünf Minuten und die Wunden sind versiegelt und brennen nicht mehr“ erklärte er noch. Misstrauisch, den Arzt nicht aus den Augen lassend, tat Bimm wie geheißen. Sie hatte nicht nur ihre Hosenbeine gekürzt, sie hatte auch die Ärmel ihres Hemdes abgetrennt, was im Sommer und beim Rennen bestimmt praktisch war.

      Bewundernd betrachtete der Arzt ihre Haut an Armen und Beinen, sah in ihr schönes Gesicht und grinste linkisch. Dann konnte er nicht mehr anders und er fuhr mit seinen Fingern ihren schlanken Oberarm entlang. Bimm zog den Arm zurück, spritzte auf und schon war sie draußen und auf und davon. Halmschor sah sie davonsprinten, verdächtigte gleich den Arzt, dass er ihr zu nahe gekommen war und ahnte, dass sie sich hier nicht mehr blicken lassen würde.

      Seine Versetzung ließ weiter auf sich warten, denn ihm wurden zwei neue Arbeiter zugeteilt die er schulen musste. So war er drei weitere Monate an die öde Barackenansammlung gefesselt, sah nichts von den prächtigen alten Bäumen, nichts von dem idyllischen alten Dorf und nichts von der lebendigen Bimm. Auch bei ihm zuhause ging es eher unlustig zu. Sein Sohn Sarus entpuppte sich als unwilliger Schüler der nur spielen im Kopf hatte und im Unterricht nur wenig Punkte zusammenbrachte. Seine Frau, die wie er und ihr Kind einen endlosen Kampf gegen die Fettleibigkeit fochten, bestand auf eine zweite Haut, denn sie wollte unbedingt ihre unebene Körperoberfläche kaschieren.

      Eine zweite Haut war rein optisch eine feine Sache, wenn sie nur nicht so teuer wäre. Das hauchdünne künstliche Gewebe konnte nahtlos auf dem ganzen Körper aufgebracht werden, haftete problemlos und endete in der Regel an den Fingern und Zehen, denn ab dort wurde es zu kompliziert. In der Bevölkerung und besonders bei älteren Frauen, war die künstliche Haut weit verbreitet und gehörte zum guten Ton. In der Oberschicht war es ab einem gewissen Alter undenkbar die eigene Haut zu Markte zu tragen. Keiner der Reichen, egal ob Frau oder Mann, würde sich trauen mit Altersflecken in der Öffentlichkeit zu zeigen. Auch Angehörige der Beamtenoberschicht legten auf eine perfekte Haut viel wert.

      Bevor diese Haut aufgetragen werden konnte, musste der Körper zuerst mit einer Salbe eingerieben werden, die die Behaarung auflöste. Die neue Haut straffte dann die Körperoberfläche, überspannte Falten und Narben und verdeckte sämtliche Pigment-und andere Flecken. Weil sie täglich, um den sprießenden Haarwuchs aufzulösen, eingecremt werden musste, fühlte sie sich auch noch fantastisch an. Das Ergebnis war eine makellose gleichmäßige Haut. Eine so verjüngte Frau bedeutete für den Mann auch einen Lustgewinn. Wer über wenig Geld verfügte, beschränkte die zweite Haut auf das Gesicht und versteckte den Rest unter seiner Kleidung. Für die Familie Drohsdal würde diese Ausgabe bedeuten, ihren Jahresurlaub mangels Geld im eigenen Land verbringen zu müssen, was sehr ärgerlich war, denn sie bekamen jährlich eine Ausreisegenehmigung, um in Italien, Spanien oder Paris Urlauben zu können. Und diese Haut hielt nur wenige Jahre, dann war die nächste fällig.

      Den drei Monaten der Schulung, folgte der dreiwöchige Jahresurlaub in einem Heim des Syndikats am Bodensee. Bei dieser Gelegenheit ließ sich Marlesa auch mit einer künstlichen Haut einkleiden. Zu ihrem Unglück verpasste sie dadurch eine Reihe von Sonnentagen, derer sich die anderen Feriengäste erfreuen konnten, wo doch im Sommer die meiste Zeit der Himmel wolkenverhangen war. Die künstliche Haut war nämlich nicht besonders UV-fest. Wie bei allen Feriengästen endete das tägliche Fastenbemühen abends am Büffet und sie kamen genauso übergewichtig nachhause wie sie gegangen waren. Aber anschließend durfte Halmschor endlich auf seinen Wunscharbeitsplatz.

      Am Montagmorgen nach den Ferien fuhr er noch wie gewohnt mit seinen alten Kollegen zum Barackendorf. Kurz nach ihnen erschienen Bus und Lastzug von Albritz` Truppe, die bei der Halle anhielt. Dr. Albritz persönlich stieg mit einem Paket in der Hand aus und rief nach Drohsdal. Halmschor ging erwartungsvoll auf ihn zu und der Alte reichte ihm das Paket, das bei näherem Hinsehen aus drei Overalls bestand. Alle Arbeiter und auch das medizinische Personal trugen bei der Arbeit hinter der Mauer die gleichen schwarzen Overalls. Nur hatte jede Gruppe ein anderes Emblem, deshalb wusste Halmschor gleich, als er die neuen Overalls sah, dass er nun nach hinten mitfahren durfte. Endlich wieder im Wald. Artig wünschte er mit freudigem Gesicht seinen Ex-Kollegen einen schönen Tag, bestieg den Bus zu dem er in Zukunft gehörte und begann im Innern gleich mit dem Kleidungswechsel.

      „Na, bist du jetzt wo du hinwolltest?“ begrüßte ihn Dolora.

      „Es ist immer wieder schön hier zu sein“ zwinkerte er ihr zu und begab sich in die Toilette.

      Während der Mittagspause, als er zum Pinkeln an einem seiner geliebten Riesenbäume stand, wurde er von hinten angesprochen.

      „Bist du auch mal wieder da“ sagte Bimm mit ihrer klaren Stimme. Als Hal sich umdrehte war er schockiert. Seit einer Ewigkeit sah er sie mal wieder aus der Nähe. Sie war nun genauso groß wie er, sehr schmal im Gesicht und er musste an ihr herunterschauen. Unter ihrem weiten Hemd waren nun deutlich zwei Beulen zu erkennen, sie war richtig schlank, eigentlich richtig dünn und ihre ebenso weite Hose wurde, da es nur Klamotten für Dicke gab, von einer Liane gehalten die sie sich wohl irgendwo abgerissen hatte.

      „Du hast aber einen schönen Gürtel“ sagte er in seiner Verlegenheit. „Und gewachsen bist du auch“.

      „Bald bin ich so groß wie der Dr. Albritz“ meinte sie selbstbewusst. Albritz war nicht nur der einzige magere innerhalb der Mauer, er war mit 1,75 auch bei weitem der größte.

      „Wenn du so groß wirst wie er, verhedderst du dich im Dickicht“ wollte Hal witzig sein.

      „Was heißt verhedderst?“ fragte sie sofort.

      Er fummelte mit seinen Armen herum. „So halt, sich in den Lianen verfangen“.

      „Ich renn doch nicht im Unterholz rum, da verkratzt man sich bloß. Wie lang bleibst du diesmal?“

      Hal musste immer wieder auf ihr Hemd schielen und fragte sich, ob sie bei Hitze, wie die anderen Sklavinnen, auch oben ohne herumliegen würde.

      „Ich bleibe nun hier bis zu meiner Rente“ erwachte er aus seinen Träumen.

      „Ach, das ist doch genauso, wenn wir in das Dorf für Alte umziehen“ machte sie aufgeklärt.

      „Genau so“, pflichtete er ihr schnell bei, weil er wusste, dass er zu viel gesagt hatte.

      „Du siehst fast wie meine Mutter aus. Aber mein Vater kannst du nicht sein. Dolora meint, der müsste schwarze Haare haben“, sprach sie nun leiser.

      „Du hast doch nicht geglaubt, dass ich dein Vater bin?“ fragte er betroffen.

      „Was weiß ich, was hier alles möglich ist“, meinte sie bockig.

      Deshalb hatte sie seine Nähe gesucht und sogar ihre Haare von ihm schneiden lassen.

      Halmschor überlegte fieberhaft wie er sie zum Lachen bringen konnte, um aus dieser Situation herauszukommen und um nochmal ihr bezauberndes Lächeln zu sehen. Doch sie sagte: „Die Pause ist um“ und begab sich in Richtung Felder.

      Als er am Bus vorbei kam, stieg gerade der Chef aus und musterte ihn eingehend. Halmschor sah sich verpflichtet eine Bemerkung zu machen.

      „Das wird ja ein Mannequin und das in dieser Umgebung.“

      „Da staunen sie, was?“ meinte Dr. Albritz.

      „Ist sie öfters hier?“ fragte Hal einer Ahnung folgend. „Sie kennt viel mehr Wörter als die Dicken“.

      „Während unserer Mittagspause ist sie immer in der Nähe. Und ich glaube sie belauscht uns“. Er riss die Augen auf und hob seine Brauen.

      „Früher oder später wird