„Nachdem ihr geflohen ward, schickte euer Vater nach dem Notar. Er verfügte, dass das restliche Vermögen, das er euch nicht hatte mitgeben können, verteilt werden sollte. Wir Bediensteten erhielten einen kleinen Teil, der es uns ermöglicht, sorglos zu leben. Den Großteil jedoch überschrieb er euch, seinen Töchtern und Erben. Er bat mich, hier auf euch zu warten, da er hoffte, dass ihr eines Tages zurückkommen würdet. Er trug mir aber auch auf, dass ich, sollten Jahre vergehen, bis ihr kommen würdet, einen vertrauensvollen Nachfolger benennen sollte, der die mir übertragene Aufgabe übernehmen sollte“, er lächelte sie beide an, „gut dass ihr jetzt gekommen seid, so kann ich meine Aufgabe selbst erfüllen.“
Soleil sah zu ihm auf. „Um was hat dich unser Vater gebeten?“
„Er bat mich euch etwas zu sagen“, er blickte von einer zur anderen. „Dass eure Eltern ein erfülltes Leben hatten, denn ihr habt es dazu gemacht. Als sie sich entschlossen hatten aus dem Leben zu treten, taten sie es ohne Bedauern. Sie haben einander und euch über alles geliebt. Sag meinen Mädchen, dass sie nicht um uns trauern sollen, sagte er zu mir. Und das ihr hinaus in die Welt gehen sollt, um euer Leben in vollen Zügen zu genießen.“
Soleil und Marguerite blicken ihn aus tränenverschleierten Augen an.
„Ich habe auch noch etwas für euch.“ Er ging zu einer kleinen Kommode, öffnete die unterste Schublade und holte eine große Ledermappe hervor. „Euer Vater, gab mir dies zu treuen Händen.“
Er überreichte die Mappe Marguerite. „Was ist das?“
„Das sind alle Dokumente und die Besitzurkunde die ihr benötigt um euch als Erben von dem Landgut und den Ländereien zu legitimieren. Es ist auch ein Brief für euch dabei.“
„Was sollen wir damit anfangen?“ Sie sah ihre Schwester ratlos an.
„Was immer ihr wollt. Ihr könnt das Land verkaufen oder das Landgut wieder aufbauen und hier leben. Es gehört euch, tut was ihr für richtig haltet.“
„Darüber müssen wir erst mal nachdenken“, sagte Soleil und Marguerite nickte zustimmend.
„Was habt ihr jetzt vor?“
„Ich würde vorschlagen, dass wir ein paar Tage hierbleiben, uns in Ruhe überlegen was wir machen wollen und dann entsprechend alles regeln. Was meinst du?“, wandte sich Marguerite an ihre Schwester.
„Ja, du hast Recht.“
„Dann nehmt euch doch hier ein Zimmer“, schlug Antoine vor, „und… vielleicht könnten wir uns ja noch einmal sehen“, sagte der alte Mann hoffnungsvoll.
Soleil drückte Antoine an sich. „Wir werden uns jeden Tag sehen“, versprach sie und brachten ihn damit zum lächeln.
Marguerite stand neben den beiden und drückte die Mappe fest an sich. „Wir werden jetzt erst mal fragen ob noch Zimmer frei sind. Vielleicht hättest du nachher Zeit uns auf einem Spaziergang zu begleiten?“
„Das mache ich gerne“, freute sich Antoine.
Die Schenke hatte noch Zimmer frei und so mieteten die Schwestern eins der größeren. Kaum das sie in dem Zimmer allein waren, wollten beide wissen, was ihr Vater ihnen geschrieben hatte. Also las Soleil den Brief ihres Vaters laut vor. Er bestand nur aus wenigen Zeilen
Meine lieben Kinder,
wenn ihr diese Zeilen in Händen haltet, dann weilen wir, eure Eltern, nicht mehr unter den Lebenden. Meine geliebte Agnès, eure geliebte Mutter, ist schon seit vielen Monaten sehr krank. Wir haben es vor euch geheim gehalten, weil wir euch nicht beunruhigen wollten.
Weil ich es nicht ertragen könnte, ohne eure Mutter zu leben, haben wir uns entschieden, gemeinsam aus dem Leben zu treten. Zu wissen, dass ihr gut versorgt seid und euch auf Grund eurer Andersartigkeit ein langes, und so hoffen wir, glückliches Leben bevorstehen wird, fiel uns diese Entscheidung leicht.
Lebt meine schönen Töchter und denkt nicht in Traurigkeit an uns, denn wir hatten ein erfülltes Leben.
Ihr ward das wunderbarste Geschenk, das Gott uns machen konnte. Wir sind sehr stolz auf euch und werden euch immer lieben.
Papa
Noch während des Lesens waren Soleil die Tränen über die Wangen gelaufen und ihre Schwester hielt sich die Hände vors Gesicht und weinte leise. Als Soleil geendet hatte, nahm sie ihre Schwester in den Arm. Sie hielten sich aneinander fest und weinten um ihre Eltern. Nach einer Weile setzten sie sich auf eines des Betten und überlegten gemeinsam, was sie mit dem Land anfangen sollten.
Am Nachmittag lösten die Schwestern ihr Versprechen ein und holten Antoine zu einem Spaziergang ab. Nach einer Weile, in der sie gemeinsam darüber sprachen, ob sie das Land behalten oder verkaufen sollten, führte Antoine sie zu den Gräbern ihrer Eltern.
„Sie sollten auf einem richtigen Friedhof ruhen,“ meinte Soleil leise als sie vor den schlichten Grabsteinen kniete.
Ihre Schwester nickte, während sie ein paar Blätter von den Steinen entfernte. „Du hast Recht… Antoine, geht das? Können wir unsere Eltern auf einem richtigen Friedhof beisetzen lassen?“
„Natürlich. Es gibt einen Bestatter im Dorf. Ihr könnt ihn damit beauftragen.“
„Zeigst du uns bitte den Weg“, bat Soleil und Antoine begleitete die zwei zum Haus des Bestatters. Sie gaben dem Mann den Auftrag zwei richtige Gräber auf dem Friedhof zu stellen. Sie zahlten ihm viel Geld damit er auch für die nächsten Jahre die Gräber pflegen und jeden Tag mit frischen Blumen belegen sollte. Der Bestatter hatte den Graf und die Gräfin gekannt. Er sprach den Schwestern sein aufrichtiges Beileid aus und versprach ihnen, alles in ihrem Sinne zu regeln.
Danach suchten die Schwestern den Notar auf. Sie hatten sich zwischenzeitlich entschieden. Da ihr Elternhaus nur noch eine Ruine war und sie mit dem Land nichts verband, wollten sie alles zum Verkauf anbieten und baten den Notar alles Erforderliche in die Wege zu leiten. Sie versprachen ihm einen großzügigen Anteil am Verkaufspreis und hinterließen ihre Anschrift in der Schweiz. Er sollte ihnen das Geld dann durch einen zuverlässigen Boten überbringen lassen. Der Notar war etwas erstaunt über das Vertrauen, dass die beiden Frauen ihm entgegenbrachten und sie begründeten es damit, da ihr Vater ihm vertraut hatte, sie ihm auch vertrauen konnten. Der Notar bedankte sich und versprach das Land sofort zum Verkauf anzubieten und ihnen dann das Geld zukommen zu lassen. Die Schwestern unterzeichneten noch einige Papiere und damit war die Angelegenheit für sie erledigt.
Bevor sie ihre Rückreise antraten, besuchten sie noch einmal Antoine.
„Antoine, wenn du möchtest, dann kannst du gerne mit uns kommen.“
Er lächelte dankbar. „Das ist ein sehr schönes Angebot… aber ich möchte lieber hier bleiben. Ich habe nicht mehr allzu viele Jahre übrig und die möchte ich in der Nähe meiner Herrschaften verbringen.“
Sie wollten ihm Geld für seine treuen Dienste überlassen, aber er lehnte ab. Da der Graf ihn schon sehr großzügig bedacht hatte, bräuchte er nicht mehr. Zum Abschied versprach er ihnen nach den Gräbern zu sehen, wann immer er es konnte und sie dankten ihm aufs herzlichste. Dann verabschiedeten sie sich von ihm in der Gewissheit ihn nie wiederzusehen.
Zurück in der Schweiz erreichte sie tatsächlich einige Wochen nach ihrer Rückkehr ein Bote, der ihnen einen großen Brief überreichte, der vom Notar kam. In dem Umschlag waren ein Anschreiben, die Verkaufsurkunde und das Geld. Die Schwestern entlohnten den Boten großzügig und er verließ sie wieder. Das Geld aus dem Verkauf zahlten sie auf ihr Konto ein. Durch den Verkauf einiger Schmuckstücke, die sie bei der Flucht hatten mitnehmen können und des Geldes durch den Verkauf des Landgutes, standen die beiden Schwestern sehr gut da.
Trotzdem oder gerade deshalb führten sie ein bescheidenes Leben, denn sie wollte auf keinen Fall