Caroline betrat die Toilette des „Insaciable“ und hielt den Atem an. Es erinnerte sie weniger an eine Restauranttoilette, sondern eher an ein luxuriös eingerichtetes Badezimmer mit mehreren WCs. Überall besaßen die Armaturen goldene Beschläge. Es lagen verschiedene Seifen, Handtücher, ja sogar Parfüms für die Gäste bereit. Sie betrat eine der Kabinen, sogar beheizte Toilettenbrillen gab es. Danach wusch sie sich die Hände und machte sich frisch. Ob Oliver ihr etwa einen Heiratsantrag machen wollte. Mit diesem glücklichen Gedanken drehte sie sich von den Spiegeln weg, in Richtung des Parfumtisches. Ob sie eins ausprobieren sollte. Sie roch an den verschiedenen Flacons. Sie war so vertieft darin, das sie den Mann nicht bemerkte, der hinter sie trat. Ein dumpfer Schlag ertönte und Caroline fühlte einen brennenden Schmerz an ihrem Schädel. Dann wurde es schwarz um sie.
Der Chef vom „Insaciable“, Alfredo di Sagione, würde toben. Es war nun schon das dritte Mal, das Antonio es vermasselt hatte. Antonio, der Koch, hatte vergessen die Nachbestellungen für die „Hohen“ an José weiter zu geben. José beschaffte die speziell vorbestellten Delikatessen der „Hohen“. Für heute hatte sich das Mafiaoberhaupt, Don Fernandes, einen besonderen Leckerbissen ausgesucht.Es war seine Leibspeise. Don Fernandes durfte man nicht enttäuschen. Das bedeutete den sicheren Tod. Einen langsamen und qualvollen dazu. Nachdem Antonio es zum zweiten Mal vergessen hatte die ausgegangene Speiseliste an José weiter zu geben, ließ Alfredo ihm beide Beine brechen. Er war danach gezwungen im Rollstuhl durch die Küche des „Insaciable“ die gewünschten Speisen zu bereiten. Die Schmerzen und die Demütigungen waren ihm noch gut in Erinnerung. Diesmal würde Alfredo ihm nicht nur die Beine brechen. Umbringen würde er ihn zwar nicht, weil er auf ihn angewiesen war, aber es konnte gut sein, das er ein oder mehrere, fürs Kochen unnütze Körperteile verlieren würde. Schließlich ging es hier um Don Fernandes Essen. Alfredo würde es selber an den Kragen gehen, soviel war schon einmal sicher. Er musste sich etwas einfallen lassen. Alfredo durfte nichts bemerken, sonst ging es ihm schlecht.
Er trat vor die Küchentür in den Gang hinaus, der zu den Toiletten führte. Eine junge, hübsche Frau betrat gerade die Damentoilette. Er kannte sie nicht. Sie gehörte nicht zu den „Hohen“. Wahrscheinlich wieder nur eine von den Frauen, die im Leben einmal sagen wollten, das sie hier gespeist hätten, um vor ihren Bekannten anzugeben. Alfredo ließ auch normales Fußvolk ein, damit kein Verdacht geschöpft wurde. Es gab aber Listen mit den „Normalos“, damit jeder wusste, worauf er zu achten hatte. Er lugte mit einem Zettel in der Hand in den Speisesaal. Tatsächlich an Tisch 4 fehlte die Begleiterin. Eine „Normale“, dachte er. Alle anderen Tische mit den „Hohen“ waren vollzählig. Das war seine Chance. Niemand konnte beweisen, das sie das Lokal nicht verlassen hatte. Alfredo würde im Nachhinein schon für entsprechende Zeugen sorgen, die bestätigen würden diese Frau gehen gesehen zu haben, wie sie das Lokal verlassen hatte. Das würde zumindest weniger Ärger einbringen, als mit leeren Händen vor Don Fernandes zu stehen. Kurz entschlossen kehrte er in die Küche zurück und ergriff einen Fleischklopfer, den er immer in der Schublade seines Arbeitsplatzes aufbewahrte. Er spähte noch einmal kurz in den Speisesaal. Es schien alles unverändert. Dann betrat er die Damentoilette. Sie war bis auf eine verschlossene Kabine, leer. Er versteckte sich in einer Nische hinter einem kleinen Vorsprung. Eine blonde Frau trat aus der Toilettenkabine heraus und wusch sich die Hände. Sie lächelte glücklich. Dann drehte sie sich in Richtung des Parfumtisches. Sie blickte auf die Fläschchen hinab und roch an verschiedenen Flacons. Das war seine Chance. Er trat leise hinter sie und schlug mit der flachen Seite des Fleischklopfers zu. Das Parfum fiel zu Boden, zerschellte und die junge Frau sackte in sich zusammen, wie ein alter, fauliger Kartoffelsack. Antonio fing sie gerade noch auf, bevor sie zu Boden fiel und trug sie in die Küche. Er hatte Glück gehabt, niemand hatte etwas bemerkt.
Caroline kam langsam zu sich. Sie wusste nicht wo sie sich befand. Ihr Kopf schmerzte wie Hölle. Es fühlte sich an, als ob tausend Nadeln ihren Schädel durchbohren würden. Sie versuchte sich zu bewegen. Es ging nicht. Sie öffnete ihre Augen. Gleißendes Licht blendete sie. Sie blinzelte, nahm alles nur verschwommen wahr. Dann wurde es wieder dunkel um sie.
Oliver wurde langsam nervös. Wo blieb Caroline nur. Normalerweise brauchte sie nur 5 Minuten auf der Toilette. Mittlerweile waren 15 Minuten verstrichen. Er erhob sich vom Tisch und ging in Richtung Damen WC. Er klopfte an die Tür und wartete auf Antwort. Nichts. Er klopfte abermals, wieder keine Reaktion. Er rief ihren Namen. Dann kam ein Mann im Anzug auf ihn zu. „ Kann ich ihnen helfen?“ fragte er. „Meine Freundin ist vor 20 Minuten zur Toilette gegangen und noch nicht zurück gekommen. Ich mache mir langsam Sorgen. Es ging ihr in letzter Zeit nicht so gut. Ständig Schwindel und so. Nicht das sie ohnmächtig geworden ist.“ antwortete Oliver. „ Darf ich mich vorstellen, mein Name ist Alfredo di Sagione, ich bin der Chef hier. Lassen sie uns mal nachsehen.“
Er öffnete die Tür zum Damen WC und trat ein. „Bitte warten Sie hier. Falls eine der weiblichen Gäste kommt, möchte ich Aufsehen vermeiden. Mich kennt man und wird es als Kontrollgang ansehen. Ich bin gleich wieder da.“ Mit diesen Worten verschwand er.
Die Kabinen waren leer, hier befand sich niemand. Er sah sich prüfend um. Auf dem Boden vor dem Accessoire Tisch entdeckte er zerbrochenes Glas von einem der Flacons und Flüssigkeit auf dem Boden, die verdächtig nach Parfum roch. Neben der kleinen Pfütze entdeckte er einen Blutstropfen. Jetzt kam ihm ein schrecklicher Verdacht. Antonio murmelte er. Hatte dieser Vollidiot wieder vergessen die Nachbestellungen an José weiter zu geben. Er bückte sich, sammelte die Glasscherben ein und entsorgte sie. Dann wischte er mit seinem Taschentuch das Blut und das Parfum auf. Das Taschentuch steckte er vorsorglich wieder in seine Hosentasche zurück. „Es tut mir leid, die Damentoilette ist menschenleer. Ihre Freundin muss gegangen sein. Vielleicht sitzt sie mittlerweile auch wieder am Tisch.“ „Meine Freundin ist nicht einfach so gegangen. Wir wollten unsere Verlobung feiern, sie wusste das eine Überraschung auf sie wartete und hat sich riesig darauf gefreut.“ „Es tut mir leid aber ich kann ihnen nicht weiterhelfen. Ich muss mich jetzt auch wieder um den Betrieb kümmern. Ihre Caroline taucht schon wieder auf. Frauen sind eben wankelmütig. Sie sind nicht der erste, der Hals über Kopf verlassen wird.“ Oliver konnte es nicht fassen. Das war überhaupt nicht ihre Art. Er bedankte sich und ging zurück zum Speisesaal. Ihr Tisch war so wie er ihn verlassen hatte. Keine Caroline. Was sollte er jetzt machen. Verzweifelt sah er sich um. Er sah sie nirgends. Wo war sie nur abgeblieben. Alfredo di Sagione betrat die Küche. Nur die üblichen Helfer waren hier. Er betrat die Speisekammer, verschloss die Tür hinter sich und betätigte einen geheimen Schalter. Das Regal schwang zur Seite und legte einen mit weißen Kacheln ausgestatteten, circa 20 Quadratmeter großen Raum frei. Hier hingen unter anderem Fleischerhaken von der Decke und eine Tür mit Bullauge führte in einen kleinen Kühlraum, der nur mit Fleischerhaken ausgestattet war, hier hing der sogenannte Vorrat. Einige Regale im Hauptraum waren mit den verschiedensten Küchenwerkzeugen, aber auch mit anderen Werkzeugen gefüllt, die man normalerweise im Garten oder einer Werkstatt