Seinen Weg zu den Ratsherren ebnete sich Wittenborg durch die Heirat mit Elisabeth von Bardewik, der Tochter eines der einflussreichsten Ratsherren Lübecks. Durch diese Heirat erhielt er Zutritt zur politischen Elite. Mit gerade einmal dreißig Jahren wurde er selbst Ratsherr. Nur reichte ihm das nicht aus, er wollte mehr. Und er sollte seine Ziele erreichen.
Einige Jahre später kam er für die machtvollste Position Europas infrage. Er wurde Bürgermeister der Hansestadt Lübeck.
Nun war er der gefragteste Mann der Hansestadt und darüber hinaus. Auch weil der Lübecker Bürgermeister der angesehenste Mann seiner Zeit war.
Wittenborgs Handelswege reichten nun vom Baltikum bis nach Flandern und London.
Johann Wittenborg
Übrigens hatte Hermann Wittenborg ein Handelsbuch geführt, welches sein Sohn Johann weiter führte. Jenes Handelsbuch ist im Original erhalten und befindet sich heute im Archiv der Hansestadt Lübeck. Dass es überhaupt noch da ist, liegt daran, dass man dieses Handelsbuch zu Johann Wittenborgs Lebzeiten vom Rat beschlagnahmen ließ. Ein Glücksfall für die Historiker.
Auszug einer Seite aus dem Handelsbuch der Wittenborgs. Erledigte Geschäfte wurden von den Wittenborgs selbst ausgekreuzt.
Auf seinem Weg nach Hause hatte Menssen, wie so oft wieder, ein komisches Gefühl im Magen, weil er die Urkunde beim Bürgermeister zurücklassen musste. Er wusste, dass das nicht gut für ihn war, sie dort zu belassen. Er hätte diese Urkunde lieber bei sich. So kam es, dass er noch am späten Abend beim Bürgermeister vorstellig wurde und die Urkunde für einen Nachtrag, so seine vorgetäuschte Angabe, abverlangte. Er gab sie ihm mit einer Selbstverständlichkeit zurück, der er hätte so nicht nachgehen dürfen. Er betonte allerdings: „Das kann ich ohne Hansen nur so handhaben, weil Sie ein gefragter Kaufmann und Ehrenmann sind.“
Da ihm der Bürgermeister Johann Wittenborg diese Urkunde ohne Beisein Hansens aushändigte, konnte er sich der Verschwiegenheit des Bürgermeisters sicher sein. Wäre dieser Vertrauensbruch Hansen gegenüber ans Tageslicht gekommen, hätte man ihn und wahrscheinlich auch Wittenborg gelyncht.
Dass die Salzladung aus Halle jetzt sechs Koggen benötigen würde, bereitete Menssen keine Sorgen. Er selbst besaß fünf dieser neuartigen Schiffe und ein Verwandter aus Hamburg eine weitere Kogge. Er bemühte seinen Neffen Klaus öfters, wenn es um eine größere Ladung ging. Klaus war auch Kaufmann, aber nicht so erfolgreich wie sein Onkel Karl.
Karl Menssen war in Lübeck nicht der mächtigste Kaufmann seiner Zunft, aber der den man fürchtete. Menssen war nicht gewalttätig, aber da wo er geschäftlich agierte, zogen alle anderen immer den Kürzeren. Hin und wieder wurde ihm deswegen von angeheuerten Schurken aufgelauert und er sollte verprügelt werden. Aber jedes Mal bezogen die Angreifer selbst Prügel von Menssen.
Als sich Hansen im Juli 1360 mit seinem Track und über 50 Mann Begleitung nach Halle aufmachte, fing Menssen an seine Mannschaft zusammenzustellen und die Route auf dem Landweg zu planen.
Aufgrund der Machtkämpfe in der Region um Moskau und Kiew gestaltete sich seine Planung etwas komplizierter als erwartet. Die Wege, die jetzt zurückzulegen waren, sind um einiges weiter und die Kosten für den Transport dementsprechend teurer. Hinzu kommt, dass er einen Führer aus der Region bemühen muss, um seine Ware halbwegs heil an den Mann zu bringen.
Als Hansen nach zehn Wochen immer noch nicht aus Halle zurück war, wurde Menssen unruhig. Denn schon in diesen Transport hatte er viel Geld und einige seiner Männer gesteckt. Seine Männer deswegen, weil er dem Hansen einfach nicht über den Weg traute. Deswegen bestand Menssen darauf, dass eben 20 seiner besten Männer den Transport nach Halle begleiten sollten.
Mit vier Wochen Verspätung trudelte Hansen endlich mit den Ladungen Salz in Lübeck ein. Er und Menssens Leute berichteten von zwei Überfällen, was ein pünktliches Erscheinen unmöglich machte. Da nun auch die Ladung unberührt eintraf, machte er trotzdem einen zufriedenen Eindruck.
„Hansen, wir müssen die Ladung zwischenlagern. Ich kann unmöglich jetzt los.“
„Warum nicht, Menssen?“
„Wir haben Anfang November, ich würde dann bei Eiseskälte in Russland landen. Vor März geht gar nichts.“
„Dann kommen ja wieder Kosten auf uns zu.“
„Ja, leider. Aber das werden wir schon hinbekommen.“
„Wenn ich fragen darf: wie?“
„Noch habe ich eigene Lagerkapazitäten frei. Du musst halt nur dafür Sorge tragen, dass sich keiner daran vergreift.“
Als jetzt noch Hansen im Gegenzug darauf bestand, dass auf jedes der sechs Schiffe zehn seiner Mannen als Begleitung mit sollten, gab Menssen bekannt, dass alle Plätze für die Überfahrt nach Russland belegt seien. Er gab ihm aber die Option, dass, wenn er ein weiteres Schiff auf eigene Kosten anheuerte, er gern bereit sei, dem zuzustimmen. Schnell war die Idee von Hansen Geschichte, weil er bis dato nur investiert hatte und sich einfach keinerlei Zusatzkosten mehr leisten konnte.
Im Prinzip sah es doch so für Hansen aus: Wenn es schief ging, war er pleite und seine gutgläubigen Geldgeber vielleicht auch.
Hansen stellte nun täglich Leute ab, die die Salzladung bewachten.
Endlich, das Wetter gab es her, konnten die Schiffe Ende März beladen werden.
Nachdem die Ladung auf den Schiffen verteilt war, ging es auch schon los. Moskau war das erste Ziel, welches Menssen ansteuerte. Nicht nur weil es noch ein sicherer Weg war, sondern auch weil dort zwei Drittel der Ware ausgeliefert werden mussten.
In Riga angekommen, wurden alle sechs Schiffe vor Anker gelegt und die Ware der sechs Koggen an Land gehievt. Anschließend wurden fünf der Schiffe und die Hälfte der Mannschaft sofort nach Lübeck und Hamburg zurückgeschickt. Menssen und seine Crew machten auf dem Landweg weiter. Auf halber Strecke in Welikije Liki, einer größeren Ortschaft, blieb die Ware für Kiew schwer bewacht stehen. Diese Ortschaft empfahl der einheimische Führer, denn seine Familie war seit dem Ende des 12. Jahrhunderts dort ansässig und kannte sich dementsprechend bestens mit den Gegebenheiten in dieser Region aus. Menssen versprach, bevor er weiter fuhr, sofort nach dem Moskauhandel mit seinen Männern wieder zu der zurückgebliebenen Gruppe in Welikije Liki und der Ware aufzuschließen.
In der Regel war es so, dass sich die Crew mehrere Monate nach solchen Touren am Bestimmungsort der Ware amüsieren durfte.
Der Weg nach Moskau war sehr beschwerlich. Sehr oft mussten sie Wochen in Wäldern verharren, weil immer wieder kleinere Armeen Überfälle verübten. Nur der Verkauf in Moskau selbst lief sehr gut und wie versprochen reiste er sofort wieder ab nach Welikije Liki. Wie einer der Späher zuvor angab, gab es für den Transport bis Kiew selbst keine Probleme. Nur in der Stadt Kiew soll es nicht ganz so gut gehen.
Menssen transportierte jetzt seine anderen Waren mit einem flauen Gefühl im Magen, obwohl keine Kämpfe prognostiziert wurden. Und er sollte mit seinem Gefühl recht behalten. In Kiew sollten, wie jetzt vom Späher berichtet, Unruhen herrschen. Dementsprechend legte er, in Zusammenarbeit mit seinem Führer, seine Route erneut fest. Diese Änderung kostete sechs Monate zusätzliche Zeit.
Der Grund für die andauernden Kämpfe in Kiew lag schon lange zurück.
Nach dem Tode Swjatoslaws III. 1194 setzte der endgültige Zerfall des Kiewer Reiches ein. Die fürstlichen Fehden während der folgenden vierzig Jahre wurden begleitet von verheerenden Überfällen. Kiew war zu der Zeit eines von vielen politischen Zentren. Immer wieder gab es Feldzüge gegen Kiew. Die Streitigkeiten unter den Rurikiden,