Vorwort
Wolf Thorberg
TÖDLICHE SURE
Thriller
Es handelt sich um eine erfundene Geschichte. Übereinstimmungen mit echten Personen, Ereignissen und Orten sind zufällig und nicht beabsichtigt.
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Das Manuskript wurde lange vor den Pariser Anschlägen vom 07. bis 09. Januar 2015 begonnen und kurz vor ihnen abgeschlossen. Es zeigt sich wiederum, dass es nicht einmal einer unbekannten Sure bedarf, um die mörderische Energie von Fanatikern freizusetzen. Ein paar Karikaturen genügen. Daher möchte ich dieses Buch allen Opfern religiöser Verfolgung und religiösen Extremismus widmen, vor deren Courage und Widerstandskraft ich mich verneige.
Wolf Thorberg
1
Der Schäfer Hormoz war nicht der Einzige, den die umstrittene Offenbarung Mohammeds in einem Teppich ins Unglück stürzen würde. Er war nur der Erste.
Wie meist lagerte er mit der Herde auf einem Hang unterhalb der Ruine Alamut, eine halbe Tagesreise nordwestlich von Teheran. Reckte er den Kopf, sähe er geradewegs auf einen Vorsprung, von dem sich nach einer Legende einst fanatische junge Männer hinabgestürzt hatten. Hasan-i Sabbah, damaliger Burgherr und Herrscher der gefürchteten Assassinen, hatte es ihnen befohlen, um zu zeigen: Für ihn und ihren Glauben wählten seine Mannen klaglos den Tod.
Doch daran dachte Hormoz nicht. Er genoss die kühle Herbstluft und freute sich auf einen sonnigen Tag und auf Erfan, der nachmittags zum Tee seine ansehnliche Tochter mitbringen wollte. Denn auf die machte er sich gewisse Hoffnungen. Er wandte sich dem Frühstück zu, einem mit Rahm und Honig bestrichenen Fladenbrot, als etwas seine Aufmerksamkeit erregte.
Sein Blick wanderte zum Parkplatz unterhalb der Weide. Normalerweise benutzten ihn Ausflügler, die von hier aus zur Ruine hochkletterten. Auch jetzt hielt dort ein kleiner, weißer Saipa, aus dem kurz darauf drei Männer stiegen. Für Touristen war es zu früh. Außerdem berieten sich die drei bärtigen, düster wirkenden Kerle erst vor dem Wagen. Nach einer Weile starrten sie hoch zu seiner Weide. Dann marschierten sie nicht etwa Richtung Ruine, sondern zu ihm.
Hormoz schnellte vom Felsen, auf dem er saß. Sollte er das Gewehr holen? Doch je näher sie kamen, desto entspannter, ja ergriffen wirkten sie. Als harrten ihrer nicht er und ein paar magere Ziegen, sondern der Schrein eines Heiligen. Wahrscheinlich wollten sie nur nach dem Weg fragen, beruhigte er sich. Er setzte sich wieder und wartete ab, was weiter geschah.
Ich stellte Backwerk und Sekt auf das Sideboard. Neben dem Schreibtisch und einem schmalen Durchgang war es die einzige freie Fläche meines winzigen Büros, in dem sich Kartons voller kopierter Akten des Coretech-Falls stapelten. Den Javanischen Napfkuchen mit Rum, Schokolade und karamellisiertem grünem Pfeffer hatte ich am gestrigen Sonntag gebacken, dem ersten seit Wochen, den ich nicht in der Kanzlei verbracht hatte. Der Kuchen war in transparente Folie verpackt und mit bunten Schleifen verziert, nur die Sektflasche war nackt. Ich hatte sie erst auf dem Weg gekauft, um sie mit dem Kuchen mittags zur Post zu bringen.
Ich goss mir ein Glas schale Cola ein und widmete mich wieder Coretech, und das hieß: den Jahre zurückliegenden Geschäften eines mittelständischen deutschen Händlers von elektronischen Bauteilen. Die Firma war, so seine und natürlich unsere Version, unwissentlich in die Fänge eines Umsatzsteuerbetrugskarussells geraten. Die gleiche Ware wurde immer wieder zwischen EU-Staaten hin- und hergeschoben, jedes Mal Vorsteuer geltend gemacht, doch nie Mehrwertsteuer abgeführt. Ein eingespielter Kreislauf von Schein- und Tarnfirmen, in dem sich ab und zu auch einmal ein argloser »echter« Händler verfing wie, wollen wir annehmen, unser Mandant. Sonst winkten ihm, längst pleite und herzkrank, fünf Jährchen Pension zur gestreiften Sonne.
Ruchling hatte mir Hoffnung gemacht, mich als zweite Verteidigerin zu bestellen. Eine blendende Motivation, um mich weiter durch Buchungslisten, Rechnungskopien, Börsenpreise für Vakuumkondensatoren und andere spannende Dinge zu wühlen.
Mein Kopf schien schon im charakteristischen Frequenzbereich elektronischer Schaltungen zu brummen, als Jan Seitz den Kopf ins Zimmer streckte. Sein Blick fiel auf die Flasche und mein Java-Backwerk.
»Oh, du hast es also gehört, Grete. Das mit dem Sekt ist echt lieb. Kuchen wär aber nicht nötig gewesen.«
»Bitte, was?«
Jans Humor war typisch für den Zögling eines Eliteinternats, dessen Neuzugänge zu Penissen geformte Seifenstücke oral befriedigen mussten.
»Ich muss dich enttäuschen. Der ist für meinen Bruder.«
Jan grinste. »Du bäckst Kuchen für deinen Bruder?« Er beäugte mich, als wäre ich die Avon-Beraterin seiner Frau, die sich in die gehobene Wirtschafts- und Strafrechtskanzlei nur verirrt hatte.
»Mein Bruder«, sagte ich mit einem Seufzer, »hat Geburtstag, macht ein Praktikum in Rotterdam und haust in einer schäbigen Pension mit Blick auf den Hauptfriedhof. Ich bin mir sicher, er freut sich.«
Jan sah aus, als wollte er unverrichteter Dinge wieder abziehen.
Was mich erinnerte. »Was meintest du eigentlich mit: Du hast es gehört?«
»Oh, das!« Jan trat ins Zimmer und schloss die Tür hinter sich. Auf einmal wirkte er ein wenig verlegen.
»Ruchling hat sich entschieden, mich als Nummer zwei für Coretech vorzuschlagen. Hat er nicht mit dir gesprochen? Du sollst mir zuarbeiten, und ich wollte dich fragen, wann wir uns austauschen können.«
Jan war anders als ich schon ein Jahr in der Kanzlei. Er konnte nicht nur ein eindrucksvolles Studium an einer privaten Law School aufbieten, verbunden mit einer schnöseligen Überlegenheit, die vor mancher Strafkammer Eindruck schindete. Er vertrat auch eigene Mandate vor Gericht und gerüchteweise golfte sein Vater im gleichen Klub wie der Bruder des Mandanten. Ruchling hatte also gute Gründe.
Aber es brach mir das Herz.
Ich brauchte einen Moment, bis ich antworten konnte. »Heute nicht, wenn’s recht ist. Reicht morgen früh?«
Selbst Jan merkte es. »Natürlich, Grete.«
Er verließ das Zimmer und schloss leise die Tür wie hinter einem Trauerfall.
Die drei Männer waren bei Hormoz angekommen.
»Salam, gesegneter Bruder!«
Der ihn so ungewöhnlich gegrüßt hatte, trug einen Anzug und war älter. Auf der Nase prangte eine Nickelbrille, auf dem Kopf eine Gebetskappe und ums Handgelenk hatte er eine Gebetskette gewickelt. Kurzer Draht nach oben, dachte Hormoz verächtlich. Das Gesicht des Zweiten erinnerte ihn an einen Fladen mit Narben als Belag, der Dritte war dürr wie ein Bergstrauch und lächelte so seltsam, als summte er lautlos ein Lied. Dabei musterte er unverschämt Hormoz’ zwischen Motorrad und Zelt verstreute Kleider und Kochutensilien.
»Salam«,