Tödliche Sure. Wolf Thorberg. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Wolf Thorberg
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738024739
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      Eschenbach wurde von Türpochen aus seinem bleiernen Schlaf gerissen. Er traute niemandem mehr, hatte in Kleidern geschlafen und das freie zweite Bett des Krankenzimmers vor die Tür gerollt.

      Es dauerte, bis er begriff, wo er war. Er rieb sich den Kopf. Ihm war immer noch leicht übel, ob vom Chloroform oder den Brandgasen der verbrannten Teppiche.

      Das Pochen wurde lauter, zudem rief jemand seinen Namen. Er stemmte sich schließlich aus dem Bett, schlurfte zur Tür und rollte ächzend das Bett beiseite.

      »Ja, ja, ich komme.«

      Er öffnete die Tür und starrte in die erbosten Gesichter eines Arztes, einer Schwester und zweier Männer in Anzügen. »Ich wollte meine Ruhe«, sagte er.

      Noch in der Nacht hatte ihn Ingrid besucht und dreist bezichtigt, die Galerie »im Wahn« abgebrannt zu haben. Haltet den Dieb. Er war davon überzeugt, sie selbst steckte hinter allem. Jedenfalls hatte er keinen Wert auf weitere nächtliche Überraschungsbesuche gelegt.

      Einer der Männer, ein Dicker mit Walrossschnauzer und misstrauischem Gesicht, hielt ihm einen Ausweis vor die Nase.

      »Fuchs von der Kripo«, sagte er.

      Während der Vernehmung saß Eschenbach auf dem Bett. Fuchs und sein schweigender Adlatus, dessen Namen er nicht einmal erfuhr, hockten ihm auf verblichenen, orangefarbenen Plastikstühlen gegenüber.

      »Sie hatten die Tür also mit einem Keil offen gehalten und die Alarmanlage abgeschaltet, weil Sie einen Bekannten erwarteten, mit dem Sie Ihren Anteil an Teppichen in die Schweiz bringen wollten«, fasste Fuchs zusammen.

      »Einen Anteil«, korrigierte Eschenbach.

      »Meinetwegen. Einen Anteil. Danach sahen und hörten Sie nichts, bis auf ein Geräusch, an das Sie keine genaue Erinnerung haben. Jedenfalls, Sie gingen in den Keller und suchten die Teppiche heraus – bis Ihnen ein Unbekannter von hinten ein Tuch vor Mund und Nase presste und Sie, vermutlich mit Ihrem eigenen Chloroform, betäubt hat.«

      »Absolut richtig.«

      »Chloroform, das Sie normalerweise benutzen, um …?«

      »Wir reinigen Teppiche auch, und Chloroform ist ein dafür gebräuchliches Lösungsmittel. Für Farbflecke und Bohnerwachs meiner Meinung nach am besten.«

      »Haben Sie eine Genehmigung?«

      »Wozu? Es ist frei verkäuflich an Geschäftskunden.«

      »Und das Risiko?«

      »Das Labor verfügt über einen Abzug. Außerdem macht es höchstens für ein paar Minuten bewusstlos. Sonst säße ich nicht hier, sondern läge ein paar Stockwerke tiefer in einem Kühlfach. Oder kühlt man keine Verkohlten?«

      Fuchs schien es nicht zu wissen. »Fragt sich, warum der Täter es dann benutzt hat«, murmelte er bloß.

      »Was weiß ich?«, knurrte Eschenbach. »Vielleicht liest er nur Krimis. Früher, als es als Narkosemittel diente, musste man es laufend zuführen.«

      Daraufhin immerhin nickte Fuchs zustimmend. »Jedenfalls sind Sie rechtzeitig aufgewacht.«

      »Ich war natürlich benommen und schwindlig, alles um mich herum stand in Flammen. Zum Flur konnte ich nicht mehr, aber zum Glück gibt es eine Hintertür, die über eine Außentreppe in den Hof führt. Als ich rauskam, fuhr mein Freund Bernhard gerade auf den Hof.«

      Eschenbach hatte zuallererst an den Teppich gedacht, der oben in seinem Büro auf dem Schreibtisch stand. Wollte zum Vordereingang und ihn vor den Flammen retten. Bernhard hatte ihn gewaltsam zurückhalten müssen.

      »Ihr Bekannter hat ausgesagt, er hätte niemanden bemerkt. Nur Sie und das Feuer und den Rauch natürlich.«

      »Der Kerl besaß eben mehr Glück als Verstand.«

      »Wenn wir von Brandbeschleuniger ausgehen«, sagte Fuchs, den Schnurrbart zwirbelnd, »den hätten der oder die Täter ja dabeihaben müssen …«

      Eschenbach zuckte, zunehmend genervt, die Achseln. »Warum auch nicht? Man bereitet sich ja vor.«

      »Es sei denn … Laut Aussage Ihrer Frau lagerten Waschbenzin und andere brennbare Flüssigkeiten auch im Labor der Galerie, zumindest in kleiner Menge.«

      »Das … das ist richtig«, sagte Eschenbach. »Wenn sich derjenige auskennt.« Da fiel ihm die Lieferung des Chemikalienhändlers ein, die auf dem Schreibtisch gestanden war. Noch etwas, das Ingrid gewusst hatte.

      Fuchs wechselte einen Blick mit seinem stummen Kollegen, der die ganze Zeit mitschrieb. Am Ende seufzte er, zwirbelte wieder für längere Zeit den Schnurrbart und schaute Eschenbach tief in die Augen.

      »Keine Spuren, wie es aussieht, keine Zeugen und alles, was nötig war, lag für den Täter griffbereit, der nur durch die offene Tür hereinspazieren musste. Herr Eschenbach, wer kommt dafür wohl in Frage?«

      Der Ton gefiel ihm nicht. »Meine Frau, wer sonst? Das hatte ich schon Ihren Kollegen gesagt.«

      Fuchs schüttelte den Kopf. »Herr Eschenbach, wir haben Ihre Frau bereits befragt. Sie war mit einer Bekannten in der Oper und sie sind zusammen vom Anruf der Feuerwehr überrascht worden.«

      »Na und? Was beweist das? Natürlich hat sie es nicht selbst gemacht. Es war eine behaarte Männerhand.«

      »Und der, wie Sie meinen, Handlanger Ihrer Frau war ganz zufällig zur richtigen Zeit am richtigen Ort?«

      »Ja«, sagte Eschenbach gereizt. »Offensichtlich. Und welchen Unterschied hätte es gemacht? Sie kann ihm den Schlüssel und den Code gegeben haben, damit wäre er auch ohne mich hineingekommen.«

      »Und woher wusste er, dass Sie mitten in der Nacht dort sind? Sie sagten, Ihre Frau ahnte nichts von Ihrer Absicht, einen Anteil ›sicherzustellen‹.«

      »Nein. Aber sie kann mich ja beobachtet haben lassen.«

      Als er sah, welche Reaktion er damit auslöste, errötete er. Natürlich wussten Sie aus den Akten von seiner »Paranoia«. Hastig fügte er hinzu: »Außerdem ging es vielleicht nicht um mich, sondern nur um den Brand, die Versicherung, was weiß ich, ums Finanzielle habe ich mich nie gekümmert. Auf alle Fälle stand ein wertvoller Teppich auf meinem Schreibtisch im Dachgeschoss. Sie wusste davon und wollte ihn, was weiß ich, als Extraanteil.«

      Wenn er ehrlich war, überzeugte es ihn selbst nicht. Faktisch hatte sie ihn doch schon vor die Tür gesetzt. Es sei denn, sie hatte an der Versicherungssumme gedreht.

      »Was genauso für Sie gelten könnte«, sagte Fuchs anzüglich. Er lehnte sich zurück und kreuzte die Arme. »Herr Eschenbach, reden wir Klartext. Für Ihre Version gibt es, so sieht’s leider aus, momentan keine Beweise. Andererseits wissen wir von Ihrer Frau, Sie sähen in dem Teppich, von dem Sie selbst sprachen, einen Beleg für Ihre … wissenschaftlichen Theorien und hätten dafür einen, so wörtlich, ›Irrsinnspreis‹ bezahlt.«

      Eschenbach zuckte zusammen. »Irrsinn verbitte ich mir. Der Teppich ist jeden Cent wert, den er gekostet hat. Wenn Sie außerdem ahnten, welche Bedeutung er für die Menschheit haben könnte …«

      Fuchs setzte ein ironisches Lächeln auf. »Nämlich?«

      Eschenbach erkannte seinen Fehler. Am liebsten hätte er sich auf die Zunge gebissen. »Ach, was spielt es für eine Rolle! Er ist ja wohl weg.«

      Jetzt probierte es Fuchs mit einer schlauen Miene. »Herr Eschenbach, aus meiner Sicht könnte die Sache auch so gelaufen sein: Sie haben den Teppich vor dem Brand beiseitegeschafft, danach Feuer gelegt und sich selbst betäubt im Wissen um die kurze Wirkung des Chloroforms. Die Tür haben Sie mit dem Keil offen gehalten, um unbekannte Dritte ins Spiel zu bringen, und Ihren Freund als Zeugen einbestellt. Und das alles, um sich, wie Sie es Ihrer Frau unterstellen, einen Extraanteil zu reservieren. Oder weil Sie erwarteten, bei der geplanten Auseinandersetzung um den fairen Anteil betrogen zu werden. Oder … es hat mit diesem ›Beweis‹ zu tun. Glaubten