Swidger runzelte ein wenig die Stirn und Túan befürchtete schon dessen Ablehnung, als der Germane mit schon fast beleidigter Stimme antwortete.
»Nichts anderes wäre mir – und Inga – jemals eingefallen. Darum bittest du mich? Um einen Dienst, den ich schon angetreten habe?«
»Nein, betrachte es nicht als Dienst, sondern als dein Leben! Bleib bei ihr, egal was auch die Zukunft bringen mag, ich bitte dich!«
Vielleicht war es das sprichwörtliche Gespür des blonden Hünen, das er erkannte, dass sich Túans Bitte auf mehr bezog, als auf bloßen Schutz. Wieder unangenehm berührt versuchte er, der plötzlichen Aussicht auf kommendes Unheil mit munteren Worten zu begegnen:
»Hahaha, was soll schon passieren? Die Römer laufen wie die Hasen vor uns davon und du hast die Macht, unendlich viele Krieger zu erschaffen, sogar den Toten ein zweites Leben zu schenken. Wer sollte uns also schaden können?« Doch sein Lachen wirkte gekünstelt und ihm fehlte die echte Freude darin.
»So wirst du also meinem Wunsch entsprechen?«
»Ich schwöre dir bei Odin und meinem Platz an dessen Seite in Walhall, dass sich die Schande meines Versagens niemals wiederholen wird!«
Túan wollte etwas erwidern, spürte aber, dass jedes Wort zu diesem Punkt gesprochen war.
Swidger schien diese Empfindung zu teilen, denn er verzog das Gesicht zu einem Grinsen, das zuerst ein wenig verunglückt ausfiel, dann jedoch von ehrlicher Freude zeugte.
»Draußen wartet noch ein Freund auf dich, Túan«, sagte er und deutete mit einem Daumen über seine Schulter. »Die Leibwachen wollten ihn nicht zu euch lassen. Aber ich denke, du kannst jedwede Freude gebrauchen. Er wedelt schon die ganze Zeit mit dem Schwanz.«
»Bran?!«
»Genau der«, konnte Swidger noch antworten, dann schob ihn Túan zur Seite und stürmte davon.
Mit neu erwachter Kraft stieß Túan die Tür auf und konnte nur zwei Schritte machen, denn Bran hatte ihn kommen hören oder es gespürt und war seinerseits an den Wachen vorbeigesprungen.
Túan ließ sich auf die Knie fallen und wurde von Bran zu Boden gedrückt. Túan drückte ihn und zerwühlte ihm das Fell. Bran war außer sich vor Wiedersehensfreude und sprang um Túan herum, auf ihn zu und stieß ständig seine Schnauze an Brust, Hals und Gesicht.
Die Wachen gingen ein paar Schritte zurück, um den beiden Platz zu lassen. Swidger und Arianrhod blieben ebenfalls direkt vor der Tür stehen und lachten über die beiden, die sich im Schnee wälzten und sich wie Mitglieder eines Rudels hin- und herwarfen.
Fast schien es, als könne sich Bran gar nicht mehr beruhigen und es dauerte lange, bis die beiden endlich am schneebedeckten Boden saßen – Bran fast auf Túans Schoß – und eng aneinander geschmiegt und glücklich in die Runde blickten.
Und plötzlich hatte Túan Tränen in den Augen. Er streichelte Bran unentwegt und der winselte und jaulte verhalten bei jeder Bewegung.
»Du bist alt geworden, mein Freund«, flüsterte Túan und nur Arianrhod und Swidger konnten die Worte hören und blickten das Paar mit unterscheidlichem Ausdruck in ihren Augen an.
»Wie alt ist denn Bran?«, fragte Arianrhod und sah natürlich die großen grauen – und auch dünnen – Stellen im Fell des Wolfes.
»Er muss jetzt 15 … nein 16 Jahre alt sein«, sprach Túan und mit jedem Wort ließ er erkennen, dass er selbst erschrocken war über die Zahl die er genannt hatte.
»Ich wusste gar nicht, dass Wölfe so alt werden können«, begann Arianrhod. Unausgesprochen hing die Tatsache in der Luft, dass das Wiedersehen der beiden nicht lange von Dauer sein würde.
»Werden sie auch normalerweise nicht«, antwortete Túan und schämte sich nicht für seine Tränen. »Ich wusste vom ersten Tag an, dass Bran ein besonderer Freund werden würde … also versuchte ich, so oft es mir möglich war, ihm … Gutes zu tun.«
Er führte nicht genauer aus, was er damit meinte. Aber für Arianrhod und Swidger war klar, dass er damit nur seine Druidenkräfte meine konnte.
Einige Tage später trafen sich Túan mac Ruith und Sétanta auf einer Anhöhe am Rande des Lagers und blickten auf die Winterlandschaft. Seit Tagen hatte es nicht mehr geschneit und der Himmel zeigte sich wolkenfrei und in einem strahlenden Blau. Trotz allem war es immer noch sehr kalt und beide trugen über ihren Druidenkutten warme Winterkleidung.
Obwohl der ältere der beiden Druiden es genau wusste, fragte er scheinbar ehrlich besorgt:
»Wie geht es dir, mein Bruder?«
Túan überraschte die ihm ungewohnte Anrede ein wenig und drehte sich dem Alten zu.
»Wahrlich, wir sind Brüder. Noch nie hatte ich einen anderen Druiden mich so anreden hören. Mein alter Meister, Kennaigh, nannte mich immer Schüler … oder eben bei meinem Namen. Du kanntest Kennaigh, wie ich hörte?«
Sétanta frohlockte, als Túan seinen Meister erwähnte. Er hatte schon seit Tagen überlegt, wie er unverfänglich das Thema auf ihn bringen könnte. Er registrierte sehr wohl, dass Túan auf seine einleitende Frage nicht geantwortet hatte. Aber diese Chance, das Gespräch dorthin zu führen, wo er wollte, konnte er sich nicht entgehen lassen.
»Ja, wir waren Freunde und jung und ungestüm. Wir lernten uns auf Ynys Môn kennen. Wir beide traten dort in die Lehre unseres Ordensführers. Viele Jahre später, als Kennaigh von seinen Reisen auf dem Festland zurückkehrte, trafen wir uns dort wieder. Er zeigte mir die Steintafel, die nun dein Besitz ist.«
Túan nickte. Ihm brannte seinerseits eine Frage auf der Zunge. Bis zu seinem Kennenlernen Sétantas hatte er nicht mehr gehofft, jemals eine Antwort darauf zu erhalten. Beide hatten dieses Gespräch erhofft, doch jeder mit anderen Absichten.
»Als Kennaigh starb, fand ich sie in seinen Habseligkeiten. Er hatte sie all die Jahre die ich bei ihm war, vor mir versteckt und auch mit keiner Silbe erwähnt. Trotzdem hinterließ er mir Zeichen, sodass ich sie finden konnte …«
Sétanta nickte und erkannte den Punkt, an dem er einhaken konnte. »So ist das bei uns Druiden. Wissen wird in aller Regel mündlich überliefert. Doch diese Tafel stammt aus anderen Zeitaltern. Und das, was auf ihr geschrieben steht, taugt nicht dafür, nur mit Worten überliefert zu werden.«
Nun war Túan wirklich überrascht.
»Du kanntest die Tafel und ihre Macht? Dir hat er sie gezeigt und mir, seinem Schüler, nicht?«
Sétanta lächelte mit gespielter Väterlichkeit. »Natürlich, mein Junge! Verzeih´ mir die Worte: Aber du warst damals ein Kind, ich sein gleichaltriger Bruder. Du wusstest noch nichts oder wenig von den Künsten, über die wir verfügen und ich hatte die gleiche Ausbildung wie er genossen. Viele Jahre haben wir unsere Aufgaben erfüllt und weiteres Wissen erlangt. Und noch eines darfst du nicht vergessen, Túan, Schüler des Kennaigh: Ich war länger sein Freund, als du auf dieser Welt wandelst. Natürlich haben wir versucht die Tafel zu erforschen und natürlich ist es uns gelungen.«
Der unverhohlene Stolz und seine wenig kaschierte Zurschaustellung seiner Überlegenheit gingen völlig an Túan vorbei. Der war viel zu sehr damit beschäftigt, sich vorzustellen, wie die beiden sich gemeinsam über die Tafel beugten und ihr Geheimnis erkundeten.
»Und habt ihr den Trank gebraut? Habt ihr …?«
Plötzlich stutzte er und blickte Sétanta mit Zweifel in den Augen an. »Wann hattet ihr an der Tafel geforscht? Du sagtest, ihr ward auf Ynys Môn; man nannte sie damals auch die Insel der Druiden …«
»Und so nennt man sie auch heute noch.«
»Ich hörte von Kennaigh, dass die Römer dort einfielen und mordend und brennend über die Insel gezogen sind. Selbst vor unseren