»Vata«, lallte sein Sohn und krabbelte wie ein Tier auf ihn zu und umarmte seine kalten Füße.
Nicht einmal so ein einfaches Wort wie Vater kann dieser Tölpel sprechen. Mit Abscheu stieß er mit einem Fuß die Hände seines Sohnes beiseite und fauchte ihn an.
»Ich habe dir nicht erlaubt, mich zu berühren, Dummkopf. Geh hinaus und kümmere dich um mein Pferd! Und wenn du damit fertig bist, geh zu dem Bauern und versuche, ihn bis zum Morgen nüchtern zu bringen. Ich habe einen Auftrag für ihn.«
Sagte es und drehte seinem Sohn den Rücken zu. Noch während er sein Augenmerk auf die Frau des Bauern richtete, nahm er wahr, dass Balor hinter ihm die Hütte verließ und die Tür schloss. Das schwache Glimmen der Glut verlosch beinahe und beide, Druide und Frau, waren nur vage Schatten in der Dunkelheit.
»Und du Weib, wirst mir die Kälte aus meinen Gliedern vögeln! Und wenn ich deiner überdrüssig bin, wirst du mir ein Morgenmahl bereiten, das genauso saftig und befriedigend sein sollte, wie deine Lust heute Nacht!«
Am nächsten Morgen und nach dem befohlenen Mahl schritt Sétanta aus der Hütte und schenkte der Frau des Bauern keinen Blick mehr. Sie war ihm zu Willen gewesen, so wie jedes Mal, wenn er kam und seinen Sohn besuchte.
Doch dieser Besuch wird der erste in einer langen Reihe mit ganz neuem Charakter sein, mein guter Balor, dachte Sétanta grimmig und schritt auf die Hütte des Bauern zu. Endlich, endlich sieht es so aus, als wäre ich meinem Ziel einen bedeutenden Schritt nähergekommen. Nach all den Jahren.
Balor wartete bereits mit seinem Pferd und den Zügeln in der Hand vor der Hütte. Als der geistig behinderte Junge einen unartikulierten Laut von sich gab, erschien auch der Bauer. Er machte einen leidlich nüchternen Eindruck.
Ohne viele Umstände begann Sétanta Befehle zu erteilen.
»Sobald ich aufgebrochen bin, wirst du, dein Weib und Balor hier, euer Hab und Gut packen und dieses Dorf verlassen. An der Küste werdet ihr einen Mann, Ceallach, treffen, der euch in ein paar Tagen auf die große Insel bringt. Er wird euch an einen Ort führen, an dem ihr in Zukunft leben werdet. Ich brauche den Jungen ab sofort immer in meiner Nähe und zu meiner ständigen Verfügung, hast du verstanden, Bauer?«
Nach all den Dingen, die ihm der Druide in den vergangenen Jahren angetan hatte, wagte der Mann es nicht, auch nur ein Widerwort zu erheben. Waren für ihn alle Druiden schon geheimnisvoll und jagten dem Mann Unbehagen ein, so war es bei Sétanta jedes Mal blanke Todesfurcht. Bereits wenn er ihn nur kommen sah, geschweige denn, wenn er ihm so nahe gegenüberstand. Die kalte Bosheit, die Sétanta anderen Menschen gegenüber so trefflich verbergen konnte, zeigte er hier offen und ohne Scheu.
Also nickte der Bauer nur und trollte sich, nachdem ihm Sétanta dies mit einer herrischen Geste befohlen hatte.
»Du, Balor, kommst mit mir!«
Er drehte sich um und schritt in die Hütte zurück, in der er die Nacht verbracht hatte. Die Bäuerin kramte gerade darin herum, als Sétanta und Balor eintraten.
»Verschwinde!«, fuhr er sie an und sie machte sich aus dem Staub.
»Setz dich und strecke deinen Arm nach vorn!«, befahl er und öffnete zwei kleine Behälter, die er sorgsam verpackt mit sich gebracht hatte.
Balor gehorchte und verstand nicht, was sein Vater hier tat. Sétanta griff nach seinem Messer und setzte die Klinge am Arm seines Sohnes an.
Von deinem Fleisch und Blut, dachte er und schnitt tief in den Arm des Jungen.
Kapitel II
A. D. 183, Januar
Ein zweites Leben
Vor dem Gebäude aus massiven Holzstämmen fauchte der Schneesturm und schickte sich an, seine weißen Massen mannshoch aufzutürmen. Im innersten Raum legte Arianrhod mac Ruith ihren Sohn behutsam an ihre Brust und machte sich bereit, sein gieriges Saugen zu ertragen. Von Anfang an hatte Brannon, wie sie ihn nach langer Überlegung schließlich genannt hatte, wenig Rücksicht oder gar Zärtlichkeit ihr gegenüber an den Tag gelegt. Nach jedem Stillvorgang hatte sie Mühe, seinen fordernden Mund von einer Brust zu lösen, um ihm auch die Zweite anzubieten. War auch diese geleert, blickten seine Augen fast vorwurfsvoll in ihre und seine kleinen Händchen kneteten ihre Brust, um auch noch den letzten Tropfen herauszuquetschen. Mehr als einmal hatte er sie mit seinen noch unbewaffneten Zahnleisten so heftig in die Brustwarzen gezwickt, dass sie vor Schmerz aufschrie. In solchen Momenten hatte er innegehalten und sie stumm angesehen. Und manchmal hatte sie dabei den Eindruck, dass er ein abfälliges Lächeln zurückhielt.
Sie seufzte und ergab sich in ihr Schicksal. Wahrscheinlich ging es vielen jungen Müttern so. Vor allem beim ersten Kind.
Tue nicht so wehleidig, schalt sie sich selbst. Du bist eine Königin der Cruithin und solltest mehr Stärke zeigen. Auch deinem eigenen Kind gegenüber.
Sie kniff die Augen zusammen, als Brannon wieder hart an ihrer Warze sog und dabei seine Fingernägel in die Haut der Brust krallte. Zu ihrem Glück waren seine Nägel noch weich, doch schmerzhaft war es trotzdem.
Sie hatte andere Mütter beim Stillen gesehen und dabei keinerlei ähnlich aggressives Verhalten der Kinder beobachtet. Noch nicht einmal andeutungsweise. Sie tröstete sich dann immer mit dem Gedanken, das Brannon eben ein besonderes Kind war, von einem besonderen Mann.
Der tot in seiner Gruft lag und zu ihrer aller Verwunderung immer noch nicht verwesen wollte.
Jedes Mal, wenn sie mit ihren einsamen Gedanken an diesem Punkt ihrer Überlegungen angelangt war, stürzte sie in ein Wechselbad widerstreitender Gefühle.
Warum habe ich ihm nicht von dem Trank gegeben? Sétanta hütet den spärlichen Rest wie einen Schatz. Vielleicht wartet er nur darauf, dass ich ihn darum bitte. Was hält mich davon ab, den Mann, den ich liebe, den Vater meines Kindes, wiederzuerwecken?
Ihre Gedanken wurden durch ein leises Geräusch unterbrochen. Jemand hustete vernehmlich hinter der geschlossenen Tür.
Arianrhod schob entschlossen Brannons Händchen von sich und erntete dafür ein protestierendes Jammern. Gleichzeitig sah sie mit Genugtuung, wie dem Jungen die Augenlider zufielen. Sie erhob sich und bettete ihn rasch in seine weiche Liege. Wie immer vermisste sie ein Aufstoßen oder gar einen kleinen Schwall an Milch, so wie dies bei anderen Kleinkindern zum üblichen Verhalten zählte.
Was er einmal hat, gibt er nicht wieder her, dachte sie und richtete ihre Kleidung zurecht.
»Komm herein, Swidger«, sagte sie und freute sich, ein vertrautes Gesicht zu sehen.
Das Gesicht, das der Person gehörte, die nun eintrat, war ihr selbstverständlich auch vertraut, doch hatte sie es jetzt nicht erwartet.
»Inga.«
Mit ein wenig Verwunderung und auch Neid empfing sie ihre ehemalige Sklavin, die längst zur Freundin geworden war.
»Ich freue mich, dass du mich besuchst, komm herein.«
Sie ging zwei Schritte auf die Germanin zu und wollte sie in die Arme schließen. Doch Inga machte ein verkniffenes Gesicht und ging auf die Knie.
»Ich grüße dich, meine Königin.«
Arianrhod blieb wie angewurzelt stehen und spürte Ärger in sich aufsteigen.
»Was soll das, Inga? Seit wann bin ich für dich eine Königin und keine Freundin mehr?«
Sie trat an die blonde Frau heran und zog sie an den Schultern nach oben. Sie versuchte im Gesicht ihres Gegenübers Hinweise für ihr Verhalten zu entdecken, aber Inga drehte sich ein wenig zur Seite.