Ausgerechnet Marcellus Lupinius nickte.
»Oh, glaube mir, Catriona von den Horestiani, sie werden kommen. Wenn ich eines von Rom weiß, dann dieses, dass sie jedes Schiff schicken werden, das sie entbehren können. Die Frage ist nur, wie viele werden es sein?«
Jetzt erst griff Arianrhod in die Diskussion ein.
»Das ist aber nicht der Punkt, der dir Sorge macht, Marcellus, nicht wahr? Ob es nun 50, 100 oder mehr Schiffe sind, habe ich recht?«
»Es kommt darauf an, wer in Rom so viel Weitblick aufbringen kann, dass er unsere zu erwartenden Vorbereitungen nicht seinerseits in Erwägung zieht. Ich anstelle dieses Feldherrn würde einen Landungsplatz wählen, der sich uns nicht auf den ersten Blick erschließt.«
»Der Weg über den Kanal ist der kürzeste. Die römischen Schiffe mögen unseren überlegen sein, aber für lange Expeditionen sind sie nicht geeignet. Das Meer, das Rom umgibt, ist warm und hat die Bauweise ihrer Schiffe beeinflusst.« Dòmhnall grinste und deutete mit einer vagen Geste zur Tür, was andeuten sollte, dass er die Meere rund um Breith meinte. »Unser Meer ist kalt und in der skotischen See schwimmen immer noch Eisschollen. Im Norden wären sie von allen Resten ihrer südlichen Truppen abgeschnitten und dies ist unser Stammland. Auch wenn sie spekulieren könnten, uns in die Zange zu nehmen, kennen sie doch weder das Land, noch die Wege, die dort möglich und vor allem unmöglich sind. Von dort werden sie nicht kommen. Nein, ich glaube an eine Landung weit im Süden. Dort werden sie sich mit den vorhandenen Truppen verstärken und nach Norden marschieren.«
Arianrhod dankte ihm für seine Ausführungen und nickte dann wieder Marcellus Lupinius zu.
»Es sind gute Argumente, die Dòmhnall angesprochen hat. Und trotzdem bist du anderer Meinung.« Es war keine Frage, sondern eine Feststellung.
Der Wolf nickte lächelnd und richtete sich ein wenig auf.
»Ja, sehr gute. Von zehn römischen Feldherren würden neun so vorgehen, wie Dòmhnall es beschrieben hat. Aber ich habe erfahren, dass Marcus Lucius´s Nachfolger ein gewisser Ulpius Marcellus sein soll. Wie ich leider zugeben muss, ein Verwandter von mir.«
»Woher hast du diese Information? Du lebtest viele Jahrzehnte in Breith und hast erst seit du zu uns gestoßen bist, sporadisch Kontakt zu anderen Römern und Britanniern gehabt«, warf Túan ein und fasste sich, wie er hoffte von allen unbemerkt, an die Brust. Ein leichter Stich war wie eine heiße Nadel durch seinen Brustkorb gefahren. Doch kaum hatte seine Hand die Stelle berührt, war der Schmerz wieder verschwunden.
»Es waren wenige darunter, die Kunde von Rom hatten. Doch einer war dabei, der mir erzählte, dass Ulpius, der Sohn eines Vetters von mir, seine politische Karriere mit der Niederwerfung des Aufstandes, wie sie es nennen, einen kräftigen Schritt vorantreiben will. Ich fragte detailliert nach, da es viele Römer mit dem Namen Ulpius geben kann, doch die verwandtschaftlichen Verbindungen wurden bestätigt.«
»Und was hilft uns das? Du kennst Ulpius nicht persönlich«, warf Maelchon misstrauisch ein und schob angriffslustig seinen Kopf erneut nach vorn.
»Das muss ich auch nicht. Es genügt, dass ich erfahren habe, dass Ulpius Marcellus sich damit brüstet, genau das Gegenteil von dem zu tun, was politische Gegner von ihm erwarten. Und er in der Regel damit auch Erfolge verzeichnen kann.«
»Und du überträgst dieses Verhalten auch auf seine militärische Vorgehensweise?«, fragte Túan mac Ruith und mühte sich, einen frischen Eindruck zu machen.
»Wenn eines meinem Ruf als schlauer Wolf als Grundlage dient, dann ist es mein Gespür für meinen Gegner. Ulpius Marcellus wird an der Westküste landen! Er ist der Auffassung, dass wir gerade damit nicht rechnen. Er wird den Süden umschiffen, immer an der Küste entlang, sich vielleicht bei den Skoten neu mit Proviant versorgen und versuchen, dort Söldner anzuheuern. Und dann, wenn das Eis und der Schnee endgültig geschmolzen sind, wird er versuchen, uns mit einem ausgeruhten Kontingent in den Rücken zu fallen, während wir unsere größten Kräfte an der Ostküste auf eine Flotte warten lassen, die dort nie landen wird.«
Maelchon und die anderen waren beeindruckt. Lange sagte niemand etwas.
Dann sprach Arianrhod mac Ruith.
»Nun, mein Freund Lupus, dann schlagen wir ihn mit seinen eigenen Waffen und tun auch das Gegenteil dessen, was er von uns erwartet …«
Kapitel IV
A. D. 183, April
Grenzkontrolle
Es regnete in Strömen und Caerellius Priscus, Präfekt und neuer Statthalter Roms in Britannien, verfluchte sich, dass er sich um diesen Posten sogar bemüht hatte. Es ist etwas anderes, von einem kalten Land zu hören, als es tagtäglich mit Nebel, Regen und noch mal Regen zu erleben. Er war nass bis auf die Haut, trotz des Umhangs, den man vorsorglich dünn mit Ochsenfett eingerieben hatte, um das Wasser abzuhalten. Er trug einen einfachen Legionärshelm und auch kein anderes Zeichen seiner Position, da er gehört hatte, dass kleine versprengte Pictentrupps bevorzugt solche Männer als Erstes massakrierten, wenn sie auf sie stießen.
Diese Hunde scheinen doch nicht so dumm zu sein, wie Magnus Lucius immer geschrieben hatte, dachte er und zog den Umhang enger um sich, als eine Böe neue Wassermassen ihm mitten ins Gesicht warf. Blaue Affen nannte er sie abfällig. Nun, ich werde nicht den Fehler begehen, sie zu unterschätzen. Ich werde das Frühjahr dazu benutzen, mir das Gelände anzusehen. Persönlich. Und mir den besten Ort für eine Schlacht aussuchen.
Er warf einen Blick hinter sich und sah, dass die Hälfte seiner Wachmannschaft in Viererreihen hinter ihm ritt. Wären sie in einer Linie geritten, hätten sie den durchweichten Boden nur noch mehr in einen tiefen Matsch verwandelt, als er ohnehin schon war. Auch die Vorhut und die Reiter neben ihm hielten diese Formation.
Er führte zwei Turmae, also 60 Mann mit sich. Die direkte Befehlsgewalt überließ Caerellius Priscus aber seinem Decurio Publius Netello, einem vierschrötigen Militärschädel, dessen Pferd weniger Masse zu haben schien als sein Reiter.
»Wie weit ist es noch, Decurio«, sprach der Präfekt seinen Nebenmann an und wischte sich zum hundertsten Mal den Regen vom Gesicht.
Der machte sich nicht die Mühe, seinen Kopf dem Vorgesetzten zuzuwenden, sondern knurrte mit unterdrückter Lautstärke unter seinem Kinnschutz hervor.
»Nicht mehr weit, vielleicht eine oder zwei Hora.« Zu Caerellius´ Überraschung fügte der Mann eine Frage hinzu.
»Was erwartest du am Wall zu sehen, Herr? Die Picten haben alle Kastelle und den Wall selbst geschleift. Und ich bin mir nicht sicher, ob Rom gewillt ist, diesen Zustand wieder zu korrigieren.«
Auch wenn Caerellius Priscus insgeheim die gleichen Befürchtungen hegte, so rechnete er doch damit, dass vor allem sein Wirken in Britannien darauf größten Einfluss haben würde. Wenn er die Picten aufhielt, sogar zurückschlug und sie endlich zu einem Teil des Römischen Reiches machen würde, dann bräuchte es den Wall nicht mehr. Aber das würde er dem Soldaten nicht sagen. Also beschränkte er sich auf seine unmittelbare Absicht.
»Ich möchte mir ein eigenes Bild vom Zustand des Walles machen, Decurio. Und ich möchte sehen, wie es diese Barbaren geschafft haben, unsere Truppen zu besiegen. Die Wenigen, die gegen Picten gekämpft und es überlebt haben, gaben sehr unterschiedliche Aussagen von sich. Einige sind meiner Meinung nach so übertrieben, dass ich die Männer nicht mehr für glaubwürdig - manche sogar für unzurechnungsfähig - halte.«
Jetzt drehte sich Publius Netello doch zu ihm herum.
»Du weißt aber, dass ich eben einer jener bin, die gekämpft und überlebt haben.« Auch ihm lief das Wasser