Eisjungfer. Dina Sander. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Dina Sander
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783752909715
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stark – die besten Jäger lebten hier. Ein guter Jäger konnte sogar den Herzschlag des Wildes hören, das er erlegen wollte! Zumindest munkelte man das über Thore, der nie sein Ziel verfehlte und immer reiche Beute hatte.

      Das Mädchen ärgerte sich. Schon wieder wanderten ihre Gedanken zu dem verhassten Mann. Immer und immer wieder grub er sich in ihren Kopf, presste ihr Herz zusammen und drückte in ihren Eingeweiden. Konnte sie ihn denn nie loswerden? Mit zornig zusammengepressten Lippen und gerunzelter Stirn hastete sie weiter durch den Schnee. Ihr war klar, dass sie sich beeilen musste, damit sie genug Entfernung zwischen sich und diesen deutlich sichtbaren Fußabdrücken brachte. Vielleicht hatte sie auch Glück und ein paar Kinder tollten spielend durch Hjolmfort und verwischten dabei ihre Spur.

      Endlich hatte Kjellrun den Waldrand am westlichen Teil ihres Dorfes erreicht. Ein letzter Blick zurück bewies ihr, dass sie es richtig gemacht hatte. Niemand war in der Nähe. Alle suchten den nördlichen Teil des Waldes auf, wo es offene Flächen gab und sich Rehe oder Hirsche aufhalten konnten. Hier im östlichen Teil war der Wald so mächtig und das Unterholz so dicht, dass höchstens Mäuse und Ratten anzutreffen waren. Wer aber wollte schon Ratten essen, wenn es schmackhafteres Fleisch gab?

      Warum muss ich ausgerechnet jetzt an Ratten denken? Seufzend starrte Kjellrun in den Wald. Dann atmete sie tief durch und bahnte sich einen Weg durch das hohe Gestrüpp, kletterte über niedrige Büsche und tauchte unter im finsteren Svartskog, dem großen, gefährlichen Wald in Wuldors Reich. Egal ob Ratten oder Keiler, sie würde sich nicht von ihrer Flucht abbringen lassen – nicht einmal von Thore, dem besten Jäger des Dorfes Hjolmfort!

      Kapitel 3

       EISJUNGFER

      Ich konnte es riechen.

      Das Blut einer wahren Jungfrau roch anders als das von den anderen Frauen, von normalen Jungfrauen.

      War es eine Gabe? Oder doch eher ein Fluch?

      Es war mir egal.

      Seit Wuldor mich zu seiner Ewigen Eisjungfer gemacht hatte, sorgte ich dafür, dass mir niemand die Position streitig machte. Ich machte Jagd auf jede jungfräuliche Seele, jede einzelne.

      Wuldor ... ein Gott?

      Grimmig lachend schaute ich die riesige Festhalle an. So viele Tische. Doch sie waren unbesetzt. Denn Wuldor war schon lang kein ehrfurchtgebietender Gott mehr. Seit er mich hatte, ging es mit seiner Macht bergab, während meine erstarkte. Kaum jemand kam, um ihm zu huldigen. Die Welt hatte Angst vor ihm und noch weitaus mehr vor mir.

      Ich allein suchte die passenden Krieger aus, denen es gestattet war, an unserem Tisch zu sitzen, für uns zur Jagd zu gehen. Nur die besten und stolzesten Söhne von Eilifuris durften hierherkommen. Nur sie durften mit uns speisen und feiern. Und wenn sie schwach oder krank wurden, nahm Wuldor ihnen die Seele und schenkte sie einer neuen Familie, die schon viele starke Söhne hervorgebracht hatte. So war gesichert, dass sie zu perfekten Helden heranwuchsen, die dem Winter trotzten und uns das schmackhafteste Opferfleisch darbrachten.

      Eilifuris, unser Reich des ewigen Eises, würde mit mir untergehen. Denn in mir floss die Macht aller wahren Jungfrauen. Ich war die wahre Herrscherin über ganz Eilifuris!

      „Bald gehört alles mir!“ Wieder lachte ich. Es hallte wie das Zersplittern von reinem Glas auf marmornen Boden. Hell, klirrend und schmerzhaft eindringlich. Ein absoluter Wohlklang für meine entzückenden Ohren.

      Meine eisblauen Augen verloren sich in weite Ferne. So lange schon kämpfte ich um die Alleinherrschaft. Mein süßes Näschen schnupperte, sobald eine Seele in die Schatten tauchte. Noch vor Wuldor roch ich jede Jungfrau aus den Duftlinien heraus, die der Wind in die Burg hoch oben auf den Fjalldom wehte. Bevor der altersschwache Gott sich aus seinem Bett erheben konnte, war ich bereits unterwegs, um die Seele zu fangen, aufzusaugen und die Köstlichkeit der berauschenden Reinheit tief in mir zu behalten. Wenn er jemals schneller wäre als ich, würde es mein Tod sein. Und Sterben ... nein! Ich wollte leben ... ewig leben!

      So lauerte ich unermüdlich hoch oben in der Burg, suchte nach den echten Jungfrauen, unberührt von einem Mann. Und ehe der Gott des Winters auch nur in die Nähe kam, schlug ich zu. Närrischer Gott ... alter, dummer Gott!

      Manch eine Jungfrau musste drei- oder sogar viermal wiedergeboren werden, ehe sie alt genug war, um tollkühn oder unvorsichtig in die Schatten zu treten. Eine kleine Unachtsamkeit nur, ein kurzer Blick zum Feuer, damit das Abendessen nicht verbrannte und die Mutter nicht hinsah. Die Jungfrau musste nicht einmal laufen können. Wenn die Patschhändchen beim Krabbeln in den Schatten eintauchten, war es zu spät für eine Rettung. Die dunklen Boten brachten mir sofort den Duft der Jungfräulichkeit und schon war ich da. Nur einen Gedanken später. Gnadenlos. Verschlang die Seele, saugte sie aus mit meinem gierigen Todeskuss. Köstlich ... so köstlich jedes einzelne Leben ... jede unberührte Seele ... nur für mich allein!

      Jede Jungfrau machte mich stärker und Wuldor schwächer. Längst war der mächtige Gott der Kälte und des ewigen Winters ein schwächlicher Tattergreis geworden, der sich nachts an meine eisige Brust schmiegte, um meine Macht zu spüren.

      „Mir gehört Eilifuris!“, rief ich und atmete tief ein. Meine kindliche Brust hob und senkte sich vor zorniger Erregung. Denn ich roch es. Das reine Blut, vollkommen unberührt und ... Mit zitternden Schritten ging ich durch die Halle, versuchte mehr von dem Duft im Hauch des Windes zu riechen.

      „Unmöglich!“, flüsterte ich und riss die Augen weit auf. „Es ist unmöglich!“

      Der Duft verlor sich und kreischend rannte ich hinaus, aus dem Saal, durch die Vorhalle und hinaus durchs mächtige Tor aus Eis und Stahl. Mein Blick fiel auf die dicken Steinmauern.

      Einst, vor vielen Generationen, hatte ich auf der anderen Seite gekauert und mich meinem Schicksal beugen müssen. Ein kleines, dummes Kind. Die letzte Jungfrau, die frisch entstanden war und keine Wiedergeburt erlebt hatte. Rein. Makellos. Als einzige Jungfrau in der Lage, die Herrschaft von Wuldor zu beenden.

      Doch ich hatte versagt. Damals.

      Jetzt gab es kein Versagen mehr für mich. Denn ich war die letzte Jungfrau von Eilifuris, die Ewige Eisjungfer! Ich hatte das letzte Mädchen, dessen Seele und Körper noch nie von einem Mann entweiht worden war, in mich gesogen. Vor zwei Nächten. Ich erinnerte mich mit einem arroganten Lächeln. Sie war dumm und unbesonnen hinaus in die Kälte geschlichen, um einem weißen Hirschkalb zu folgen, das mit jämmerlichem Blöken um Hilfe gerufen hatte.

      Ach, diese dummen Menschen! Sie ließen sich so leicht verführen.

      Köstlich tauchte vor meinem inneren Blick das Bild des Mädchens auf. Wie sie mich zunächst voller Schrecken anstarrte, mit großen, dunklen Augen, naiv und treu. Im Bruchteil einer Sekunde war der Schrecken purem Entsetzen gewichen, als sie zu begreifen begann. Sie stand steif im knöcheltiefen Schnee, als sich meine weißen Finger an ihre Wangen legten, meine Lippen sich ihren näherten, so rot, so warm, so verlockend.

      Oh, eisige Kälte! So berauschend!

      Sie war süß und unschuldig, erst zweimal wiedergeboren. Ihrer Seele haftete der Geruch von zwei langen, erfüllten Leben an, die sie ohne Mann gemeistert hatte. Ein köstliches Geschenk an mich. Mein gesamter Körper sehnte sich nach dieser Seele, dieser letzten wahren jungfräulichen Seele!

      Kurz bevor meine eisigen Lippen ihre warmen berührten, schrie sie. Ihre helle, kindliche Stimme vermischte sich mit dem klagenden Blöken des Hirschkalbs. Die Luft um mich vibrierte.

      Dann … mein Mund ... unendlich sanft ... so zart die Berührung.

      Der Schrei verklang, als die Seele von mir herbei befohlen wurde.

      Ach, was hatte sie gekämpft! Ihre kleinen Fäuste hatten gegen meine Schultern geschlagen. Danach wagte sie ihre Nägel in meine Wangen zu bohren. Doch ich war so viel stärker! Sie war nur ein winziges Blättchen in einem riesigen Wald. Eine kleine Schneeflocke in einem mächtigen Schneesturm. Hilflos ausgeliefert. Mir.

      Nur einer hätte sie