Tango unterm Regenbogen. Tilo Braun-Wangrin. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Tilo Braun-Wangrin
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783753107073
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ist. Wenn es nach mir ginge, bräuchte es keine Armeen geben. Nie wollte ich einer solchen Institution dienen. Aber wie auch schon in der DDR, gab es im wiedervereinigten Deutschland einen Grundwehrdienst. Dieser betrug zehn Monate.

      Gern stelle ich mich Dingen, die mir nicht liegen. Und so entschied ich mich dann doch ganz bewusst für die Bundeswehr. Außerdem hätte der Zivildienst weitere Monate meiner aktiven Arbeitszeit gekostet. Der Zeitpunkt der Einberufung war äußerst ungünstig. In der Marketingabteilung hatte ich feste Aufgabenbereiche übernommen, die schwer für einen so langen Zeitraum übergeben werden konnten. Mein damaliger Chef setzte sich für mich ein und wollte eine Unabkömmlichkeit erwirken. Da der Ort der Einberufung Strausberg war und die Sparkasse gute Beziehungen zur Bundeswehr hatte, wurde das Verfahren nicht angeschoben. Stattdessen ließ ich mich durch einen Vertrag mit geringfügiger Beschäftigung an die Sparkasse binden, für die ich Projekte während der Zeit des Wehrdienstes erledigte.

      1. September 1997{5}. Mein Bruder brachte mich vor das Tor der Struzberg Kaserne. Es sollte mein erster Tag bei der Bundeswehr sein.

      Allein nur mit meiner großen Reisetasche durchwanderte ich das Bundeswehrgelände, bis ich zum Hauptgebäude meiner Kompanie des 5./TrspBtl. 143 kam. Dort wimmelte es nur von Leuten in meinem Alter, die in Zivil ihre Marschzettel abarbeiteten. Nachdem ich unzählige Formulare ausgefüllt hatte, wurde mir das Nichtraucherzimmer 226 zugewiesen. Dort traf ich zum ersten Mal auf meine drei Zimmergenossen.

      Schnell begann ich mit meinen Kameraden Kai, Danny und Daniel (Rappo) Kontakt zu knüpfen. Kai und Danny lagen voll auf meiner Wellenlänge. Rappo unterschied sich von uns.

      Die kommenden Wochen wurden von unserem Zugführer bestimmt. Jeden Tag marschierten wir den beschwerlichen Weg in den Wilkendorfer Forst, den wir alle zu hassen begannen. Wir lernten über Felder zu gleiten, zu schießen und unseren Lagerplatz auszugestalten.

      Nach den Übungen war stundenlanges Waffenputzen angesagt, was als reine Beschäftigungstherapie zu sehen war. Die Offiziere unserer Kompanie begannen jedoch von Tag zu Tag aufzutauen und lockerer zu werden. Abends verließen wir für ein paar Stunden, stolz in Uniform, das Kasernengelände. Wir erhofften verstärkt, Blicke auf uns zu ziehen. Um 22.00 Uhr war Zapfenstreich. Jeder hatte in seinem Bett zu sein und die Nachtruhe einzuhalten.

      Besonders froh waren wir, als wir Gruß- und Gelöbnisabnahme, Rekrutenprüfung und die damit verbundene allgemeine Grundausbildung überstanden hatten. Nach sechs Wochen purer Abenteuer(frust), waren zwei Wochen Urlaub angesagt. Diese verbrachte ich zum Teil bei Doreen und auf Mallorca.

      Doreen war erst vor ein paar Wochen von Gera nach Leipzig gezogen, da sie Heiko kennengelernt hatte, der zwar in Gera wohnte, aber durch sein Studium öfter in der Messestadt als in seiner Heimat war. Sie hatte eine Dachgeschosswohnung zur Untermiete bezogen und mit diesem Schritt abermals ein neues Leben begonnen.

      Meine Urlaubswoche am Ballermann war recht erholsam, aber ebenso einsam. Ich machte tägliche Strandwanderungen an der Playa de Palma. Da der November nicht mehr zur Hauptsaison der Insel zählt, hielten sich hier unzählige Rentner auf, mit denen ich nun nicht großartige Freundschaften knüpfen wollte.

      Oft stand ich in den Nächten am Strand und überlegte meine derzeitige Situation. Beruflich ging es mir gut, denn seit diesem Monat würde ich stundenweise neben der Bundeswehr wieder für die Sparkasse arbeiten. Mein Arbeitsvertrag und meine Zukunft schienen gesichert.

      Ich hatte Alles und doch nichts. Ich merkte, wie einsam ich war. Mein Liebesleben gestaltete sich schwierig. Die Erfahrungen, die ich in meiner Jugendzeit mit Frauen erlebte, reichten einfach nicht aus, um meine Veranlagung zu ändern.

      Ja, ich bin schwul und keiner außer mir wusste bisher davon. Vor ein paar Jahren hatte ich ein Schlüsselerlebnis - bei dem mir klar wurde, dass ich auch Gefühle für Männer entwickeln kann.

      Bei der Party einer Freundin hatte ich zu viel Alkohol getrunken. Als ich mich kaum noch auf den Beinen halten konnte, stülpte mir mein guter Freund Frank einen Eimer mit kaltem Wasser über den Kopf. „Dann trug er mich ins Badezimmer, zog mir mein nasses T-Shirt aus und zog mir sein Trockenes über.“{6} Diesen Moment erlebte ich plötzlich ganz bewusst. Es hatte mich mehr als imponiert. Für eine kurze Zeit sah ich Frank mit anderen Augen. Ich machte mir jedoch schnell klar, dass er nur ein Freund ist und ich kein Recht hatte ihn anzuhimmeln.

      Außerdem war ich über meine Gefühle damals so verwirrt, dass ich sie verdrängte. Die Aufnahmen im Familienportraet waren für mich ein ideales Spiegelbild mein Verhalten zu kontrollieren. Alles was an mir nur irgendwie schwul wirkte wurde abgestellt.

      Sein T-Shirt hat Frank allerdings niemals zurückbekommen. Es verblieb bei mir wie ein Bote, der mir Orientierung geben sollte. Als ich merkte, dass ich mich eigentlich nur noch für Männer interessierte und mich auch mit niemandem darüber unterhalten konnte, meldete ich mich bei einer Selbsthilfegruppe in Berlin an. Ich bin dort allerdings nie hingegangen, da mich im entscheidenden Augenblick immer der Mut verließ.

      Während meiner Grundausbildung bei der Bundeswehr erlebte ich auch einen Typen, der sich für mich zu interessieren schien: Ringo.

      Unsere Blicke trafen sich immer wieder und sahen erschrocken zurück, wenn es einer von uns beiden mitbekam. Bei einer Übung machte er mich das erste Mal direkt an.

      Wir hatten beide den Auftrag, die Figuren von der Schiessbahn zu räumen. Während ich mit meinen Aufstellern ca. zehn Meter vor ihm lief, hörte ich ihn hinter mir ein Liedchen trällern: „Mit dir vielleicht, vielleicht auch nicht, fühlst Du etwa auch wie ich...“?

       Ich traute meinen Ohren kaum und drehte mich kurzerhand um. Er zwinkerte mir zu. Erschrocken wich ich zurück.

      Später tat ich so, als ob nichts gewesen wäre. Es gab noch öfter Situationen, wo er mir seine Zuneigung zum Ausdruck brachte. Doch da ich keine Erfahrungen hatte, verkrampfte und ignorierte ich. Irgendwann gab er auf. Wenn ich in solchen Momenten immer so reagieren würde, hätte ich es schwer, jemals einen Partner zu finden.

      Wir standen kurz vor dem Jahreswechsel. Meine neuen Kameraden und ich verstanden uns prächtig. Ich überlegte mir sie auch ins Familienportraet zu bringen. So wählte ich fünf Kandidaten aus, die für eine Teilnahme geeignet waren. Dannys sympathische und natürliche Ausstrahlung brachte ihm im Januar 1998 sofort eine Moderation der 11. Ausgabe der StarNEWS ein, die außer durch Lars (2./ 1995) von noch keinem anderen Gastdarsteller verlesen wurde. Es war zudem die erste Produktion des Jahres 1998.

      Einen ähnlich starken Einstieg hatten Kai und René (Softi). Sie sollten die Folgeausgaben der StarNEWS moderieren. Das Dream-Team der Bundeswehr wurde eine fester Bestandteil der siebten Staffel.

      Gedanken vom Februar 1998: „Die Bundeswehr ist ein toller Zeitabschnitt in meinem Leben. Noch nie habe ich so viel Kameradschaft erlebt. Als Zugschreiber des zweiten Zuges bekam ich den besten Job der Kompanie. Ich kann die Wachplanung machen und UvD-Dienste einteilen, was nicht immer in der Gunst meiner Kameraden liegt. Und trotzdem sind wir eine prima Truppe, die zusammen viel Spaß und Freude hatten. Jeder bringt seine Persönlichkeit ganz offen zum Ausdruck. Was wäre unser Rappo ohne seine Schweißfüße. Oder Börni, wenn er uns nicht seine Meinung aufdrängen und einen Streit provozieren würde? Was wäre aus Conny ohne Blümchen oder Tilo ohne sein Familienportraet?“

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      5./Transportbataillon 143 in Strausberg

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      Truppenausweis

      2. Kontakte

      Meine Rolle im Freundeskreis hatte sich verändert. Während ich mich früher um jeden Einzelnen kümmerte, Kaffeerunden veranstaltete und den Bund der Hauptfiguren im Familienportraet zusammenhielt, war ich nun auf der Suche nach einer neuen Identität.

      Ich nahm mir vor, mein schwules Ich zu ergründen. Das Jahr 1998 sollte ein Jahr der Veränderungen in meinem Leben werden. Ich träumte von einem Partner,