Ehre und Ruhm würde er einst erringen, die Stadt beschützen und sein Leben lassen für seine Aufgabe, wenn nötig. Er würde Brom zeigen, dass auf ihn unbedingt Verlass war. Dies war seine Stunde!
Die Sonne stand hoch am Himmel, als Sadraigh mit seinen Mannen um eine Pfadkehre ritt und aus dem Blickfeld der übrigen Reiter verschwand.
Das Thing endete noch am selben Tag. Wieder versuchten Fandor und Thorn dem Treffen beizuwohnen, aber sie hatten kein Glück. Mome Ira erwischte sie, bevor sie sich davonmachen konnten, und verlangte einige unliebsame Arbeiten von ihnen, wie das Säubern der großen Feuerstellen, das Häuten einiger Gunas und peinlicherweise auch, dass sie den Festplatz mit großen Reisigbündeln von den Überresten der Feier befreien sollten.
Ihre lautstark vorgebrachten Proteste halfen nichts, und so entging ihnen an diesem zweiten Tag des Things die Gelegenheit, sich vor allen anderen Stammesleuten zu informieren.
Die Ergebnisse des Treffens der Clanführer wurden am Abend allen Freien Reitern auf dem Festplatz verkündet, und sofort machten sich Geschäftigkeit und Reisefieber breit unter den tausenden, die zum Aufbruch rüsteten.
Es war beschlossen worden, eine Abordnung von zwölf Clanführern nach Grünberg und zum Kloster El Om zu entsenden, um ein Treffen einzuberaumen, das über das weitere Vorgehen der Menschen im Norden im Kampf gegen die schwarzen Reiter entscheiden sollte. Die Clans selber sollten sofort wieder in ihre Heimatregionen aufbrechen. Das Fest war so schnell vorüber wie noch nie.
Fandor und Thorn, die vor lauter Aufregung nicht wussten, wohin mit sich, standen Mome Ira nur im Weg, die mit stoischer Ruhe Reisevorbereitungen tätigte.
Dies würde ihr erster Ritt werden, der sie aus der Steppe, ihrer Heimat seit Kindesbeinen, herausführen würde. Noch nie waren sie in der Stadt Grünberg gewesen, und ein Kloster kannten sie bislang nur aus den Erzählungen der Großen.
Sie hatten tausend Fragen, doch wen auch immer sie ansprachen, alle waren mit wichtigen Dingen und noch wichtigeren Gesprächen beschäftigt und ließen sie einfach stehen. Thorn war aufgebracht deswegen, denn auch seine Brüder Larsso und Mjörk taten so, als hätten sie viel zu viel zu tun, um ihnen Rede und Antwort zu stehen.
„Ich hasse das“, tobte Thorn, der soeben von Larsso eine Abfuhr kassiert hatte, der voller Wichtigkeit etwas von Pferde bereitmachen gemurmelt hatte. „Wieso reden sie nicht mit uns?“
„Was wollt ihr denn so Wichtiges wissen?“ Hinter ihnen stand plötzlich der junge, drahtige kleine Pitar, der Mann, der den Schwarzen entkommen war.
„Ich“, stotterte Thorn, völlig überrumpelt von der Tatsache, dass sich nun doch jemand bereitgefunden hatte, ihnen Auskunft zu geben.
„Wir“, sprang Fandor seinem Freund bei, „wissen noch nicht einmal, ob wir auch unsere Bogen mitnehmen sollen.“ „Bekommen wir ein eigenes Reisezelt?“, wollte Thorn wissen, der den Augenblick der Fassungslosigkeit schnell überwunden hatte.
„Wie ist es in Grünberg? Sprechen sie da auch unsere Sprache?“ Fandor wusste gar nicht, wo er anfangen sollte mit dem Fragen. „Und wieso lernen diese Brüder im Kloster Schwert- und Stockkampf? Ich dachte immer, in einem Kloster wird gebetet!“
Pitar schaute belustigt von einem zum anderen. „Na, das ist ja ein Haufen Fragen auf einmal.“ Er lachte laut auf und legte den beiden je eine Hand auf die Schulter.
„Wisst ihr was? Eure Bogen nehmt ihr natürlich mit, die Zeltausrüstung lasst ihr eure Mome einpacken, und was die Fragen zur Stadt und zum Kloster angehen – wir werden auf dem Weg dorthin noch Gelegenheit genug haben, über alles zu sprechen.“ Er grinste sie breit an.
„Und jetzt zieht los und bringt eure Schwerter und Bogen auf Vordermann.“ Damit drehte sich Pitar um und ließ die Jungen mit heißen Wangen auf dem Platz zurück, wo sich ihre Gedanken weiter in wilden Sprüngen überschlugen.
Es hatte wiederum länger gedauert, als Brom erwartet hatte. Die Schneefelder lagen jetzt auch dick und weich auf dem Pfad, der Anstieg wurde immer mühseliger, und die Männer hatten Schwierigkeiten, den Pfad selbst nicht zu verlieren, der sich unter dem Schnee versteckte wie eine Schlange im Laub.
Der Boden wurde immer glitschiger, und als der Abend sich mit einem aufkommenden harten, kalten Wind auf die Berge herabsenkte, hatten sie das Bergdorf noch immer nicht erreicht. Brom von Bordur, an dessen Seite tapfer und ohne zu klagen der Edle Malvin von Grünberg mit verbissenem, blassen Gesichtsausdruck ritt, ließ das Nachtlager aufschlagen.
Brom schaute sich um und betrachtete aufmerksam seine Männer. Sorgen zeichneten sich auf seinem Gesicht ab. Die Stadtgardisten waren in keinem guten Zustand. Sie froren, obwohl sie sich gut eingekleidet hatten. Hier oben schien das Wetter trotz des Hochsums, in dem sie sich eigentlich befanden, zu bocken wie eine Bergziege.
Die Stimmung im provisorischen Lager war gedrückt, und es wurde nicht viel geredet. Brom ließ Wachen für die Nacht aufstellen, denn das Dorf, von dem man sagte, es sei von den schwarzen Reitern überfallen worden, konnte nicht mehr weit sein.
Malvin fand in dieser Nacht hoch in den Bergen kaum Schlaf. Die meisten der Männer hatten dunkle Ringe unter den Augen, was die langen Schatten des Lagerfeuers im Wind nur noch unterstrichen. Die Blätter, die er gesammelt hatte, gingen zur Neige, und der unheimliche Wintereinbruch, der hier oben mitten im Sum zu herrschen schien, machte es unmöglich, noch mehr davon zu finden. Er hätte weiter unten daran denken sollen, einen weiteren Sack voll zu pflücken und einzupacken.
Malvin ärgerte sich. Er hatte die Verantwortung für diese Männer, und weil er nicht richtig darüber nachgedacht hatte, mussten sie nun alle unter der dünnen, kaum atembaren Luft leiden. Malvea kam ihm in den Sinn, und er seufzte leise. Für seine Schwester wäre dieser Ritt ein willkommenes Abenteuer gewesen. Für ihn, Malvin den Versager, war er eine Qual.
Er drehte sich zu Brom um, der den ganzen Tag über sehr wortkarg gewesen war und mit Malvin nicht mehr als die notwendigsten Worte gewechselt hatte. Malvin überraschte das nicht, aber es schmerzte ihn mehr, als er gedacht hatte.
Eine der wenigen Fragen, die Brom ihm gestellt hatte, war die nach mehr von diesen Blättern gegen die Höhenübelkeit gewesen, und Malvin war doch tatsächlich hochrot angelaufen, als er murmelnd und stotternd antworten musste, dass er kaum mehr welche hatte. Daraufhin, so kam es Malvin vor, hatte Brom ihn keines Blickes mehr gewürdigt.
Malvin schaute verbittert in die Flammen des winzigen Feuers, das in seiner Nähe entzündet worden war, und wickelte sich enger in seine Reisedecke ein. Ihm war kalt und leicht übel. Was war er doch für ein Jammerlappen.
Er hasste die Ausritte mit der Stadtgarde, und diesmal war es besonders schlimm.
Malvin wünschte sich sehnlich ins Heilhaus zurück, wo er einige Versuche mit Heilkräutern angesetzt hatte, die er in wechselnden Kombinationen zu Pasten und Tränken verarbeitet hatte. Das war seine Welt, nicht dies hier, diese nach Schweiß stinkenden Männer in ihren mittlerweile dreckigen, feuchten Uniformen, die ihre Arbeit liebten und in ihr aufgingen. Und doch war dies die Welt, die ihm vorbestimmt war, die einzige Lebensweise, die sein Vater achtete und von Malvin akzeptieren würde.
Malvin war sich nicht sicher, inwieweit Olerich von seinen Ausflügen ins Heilhaus unterrichtet war, er erwähnte sie nicht in seinem Beisein. Und Malvin sprach auch nicht darüber, wohl wissend, dass er damit einen Disput auslösen würde, aus dem Olerich als Sieger hervorgehen würde, nicht er.
Malvins Blick wurde noch finsterer. Nicht nur, dass er sich schwertat mit seinen Verpflichtungen seiner Stadt und seiner Familie gegenüber, nein, er war auch noch zu feige, seinem Vater gegenüberzutreten und zu seinen eigentlichen Neigungen zu stehen. Ein schöner Sohn seines Vaters war er.
Und mit diesen quälenden Gedanken fiel er in einen kurzen, bleiernen Schlaf der Erschöpfung.
Sadraigh