Federträger. Yves Holland. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Yves Holland
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783752903874
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ein wenig zusammengezogen.

      „Zumindest was das Interesse für alte Sprachen angeht, will ich hoffen“, fügte er seiner Rede hastig hinzu und fühlte, wie es schon wieder um seine Mundwinkel zu zucken begann. Die junge Edle hatte in der Tat ein hitziges Gemüt und viel Temperament, das es ihr nicht immer leicht machte, sich mit ihrer Situation zufriedenzugeben.

      „Was meint Ihr, Bruder Pak“, wechselte Malvea abrupt das Thema, „werden wir die Rolle morgen entschlüsseln?“

      Pak starrte auf den Tisch. „Das hoffe ich doch. Ich habe so eine Ahnung, dass ihr Inhalt mehr mit unserer jetzigen Situation zu tun hat, als uns lieb sein wird. Sobald wir mit der Übersetzung fertig sind, muss ich sie dem Abt zeigen. Und das wird morgen oder aber spätestens an dem Tag passieren müssen, an dem die Garde von ihrer Erkundung zurückkehrt.“

      Malvea straffte sich. „Dann lasst uns gleich morgen früh weiterarbeiten. Wir sollten noch einmal in der Bibliothek nach den noch älteren Übersetzungsschlüsseln sehen. Wenn die Schrift so alt ist, wie ich denke, dann ist sie in dem ältesten Kata geschrieben, das ich je gesehen habe.“ Malvea stand auf. „Und nun gute Nacht, Bruder Pak. Huson.“ Sie nickte dem jungen Novizen zu.

      Bruder Pak begleitete sie durch die große Bibliothek und öffnete ihr die Tür. „Huson, geleite Malvea noch bis nach Hause.“

      Huson, der glücklich war, von seinem Berg Arbeit wegzukommen, kniff die ermüdeten Augen zusammen, erhob sich hastig und nickte dankbar. Er ging hinter Malvea die breite Treppe zur Klosterpforte hinunter, wieder höchst erfreut über seinen Auftrag und mit den Gedanken schon auf dem Gauklerplatz von Grünberg, der ihm so sehr gefiel.

      Zum wiederholten Male fragte er sich, ob er mit seiner Wahl zum Ordensleben im Kloster El Om nicht vielleicht doch einen Fehler begangen hatte, oder ob nur die zwei Sum Noviziat so hart waren und ihm der Rest seines Lebens hier oben am Rande der Himmelsberge gut gefallen würde.

      Wenn er an die Gaukler und ihr freies, unbeschwertes Leben dachte, wurde ihm weh ums Herz. Aber seine Mutter hätte ihm die Ohren langgezogen wie einem wilden Karnuk, wenn er ihr letzten Sum diesen Wunsch vorgetragen hätte. Vielleicht war der Orden doch nicht so übel. Bei Bruder Pak war das Noviziat auf alle Fälle nicht so hart, wie er es von dem Novizen, der Bruder Timme zugeordnet war, gehört hatte.

      Nun doch ganz zufrieden mit seinem Schicksal und der Welt, schloss er die Klosterpforte hinter sich und der Edlen Malvea von Grünberg und trat in die kühle Abendluft hinaus.

      Der laue Wind trieb einen leichten Geruch nach Kohlenfeuer von der nahen Stadt herbei, von den vielen Essensdüften, die um diese Zeit durch die Straßen Grünbergs wehten. Zwiebelgeruch mischte sich mit dem von Gegrilltem, und er meinte sogar den Duft von Gemüsesuppe aus der Luft herausfiltern zu können, als sie sich dem Stadttor näherten. Dann legte sich schlagartig der Gestank einer Schafherde auf seine Nasenflügel, als er zusammen mit der Edlen einem Schäfer und seinem tierischen Gefolge ausweichen musste, das die Straße nach Grünberg heraufkam.

      Sie lachten und hielten sich die Nasen zu. Die Tiere waren alle feucht und rochen dementsprechend, es musste am Nachmittag geregnet haben. Huson hatte davon, genau wie Bruder Pak und Malvea, nichts mitbekommen. Ihre Arbeit in der Bibliothek hatte sie vollkommen gefangen genommen.

      Eine erste Schwarzamsel schmetterte ihr Abendlied aus einem Apfelbaum heraus, als Huson und Malvea die Stadtwache passierten. Huson brachte Malvea noch bis zum Eingang des prächtigen Stadthauses, dann machte er auf der Stelle kehrt und gönnte sich ein paar wenige Minuten Stadtleben. Erste Feuer wurden auf einem der Marktplätze entzündet, und die Gaukler begannen mit ihren akrobatischen Übungen. Gebannt beobachtete er die bunten Gestalten.

      Eine Glocke ertönte, und Huson seufzte abgrundtief. Das Abendgebet. Er musste sich beeilen, es nicht zu verpassen. Mit schwerem Herzen löste er sich aus dem lauten Treiben und machte sich auf den Rückweg zum Kloster, dessen Silhouette sich im Abendlicht beeindruckend vor ihm auftürmte. Er blieb kurz stehen und dachte zum bestimmt tausendsten Male: „Hier werde ich für den Rest meines Lebens zu Hause sein.“

      Nichts regte sich in ihm.

      Was war bloß mit ihm los? Er hatte sich doch für diesen Weg entschieden! Ein leiser Schmerz beengte ihm die Brust, als er die Pforte des Klosters leise hinter sich schloss und hinter den Brüdern hertrottete, die sich zum Abendgebet sammelten.

      Thorn träumte wild in dieser Nacht, von Kampf und Blut und Ehre und Ruhm, von der Befreiung der Steppen seiner Altväter und von der glorreichen Vernichtung Arloks des Finsteren. Er warf sich so unruhig auf seiner Bettstatt herum, dass Fandor neben ihm aufwachte und verwirrt um sich blickte.

      Als er sah, dass sich Thorn völlig in seine Zudecke aus Yukfell verheddert hatte, weckte er ihn mit sanftem Rütteln. „Thorn!“

      Thorn murmelte etwas völlig Unverständliches, öffnete aber dabei die Augen. „Thorn, wach auf. Du träumst laut“, flüsterte Fandor.

      Thorn setzte sich auf. „Ich habe gerade die Schlacht gewonnen, Fandor. Ich habe Arlok mein Schwert genau ins Herz gejagt!“, triumphierte er aufgeregt.

      „Thorn?“, Fandor saß nun auch auf seinem Lager. „Ich muss dir was sagen.“ Sein Freund, nunmehr aufmerksam wie ein Schuhu am Nachthimmel, sah ihn irritiert an. „Ja?“

      Fandor räusperte sich leicht. Es schien ihm schwerzufallen, das zu sagen, was ihm auf dem Herzen lag. „Es ist...“, begann er. „Ach, nichts“, raunzte er mit leichter Verärgerung in der Stimme und rollte sich weg von Thorn. „Schlaf weiter. Ich kann's dir auch morgen sagen.“ Doch Fandor wusste, am Morgen würde er Thorn bestimmt nichts mehr erzählen wollen über den Traum, der ihn in solcher Verwirrung hinterlassen hatte.

      Thorn beugte sich über ihn. „Hast du Angst?“ wollte er wissen. „Möchtest du nicht mitreiten und unser Volk von den Schwarzen befreien?“ Fandor schluckte. Ein paar Atemzüge sagte keiner der beiden etwas, dann hörte Thorn Fandors leise Worte.

      „Sie hat mich Federträger genannt. Sie sagte, ich würde auf eine Reise gehen und mein Volk finden. Und dass ich eine wichtige Aufgabe zu erledigen hätte, die über das Schicksal der nördlichen Welten entscheiden wird.“

      Thorn sog scharf die Luft ein. „War das wieder so ein Traum von der Elfenkönigin?“

      „Sie spielte mir eine Melodie vor, Thorn. Auf meiner Flöte. Und sie hat gesagt, die Melodie wäre wichtig für mein Volk.“

      Thorn überlegte und knetete dabei seine Lippen. „Fandor, ich weiß nicht. Bist du sicher, dass diese Träume wirklich sind? Ich meine, dass sie eine reale Bedeutung haben?“

      Fandors Herz setzte einen Augenblick aus. Schmerz griff nach ihm und legte sich so erbarmungslos um ihn wie ein metallener Schraubstock.

      „Ich habs ja gewusst. Nicht mal du glaubst mir.“ Fandors Stimme unter der Yuk-Decke klang erstickt. „Vergiss es, ja?“ Thorn rührte sich nicht.

      Fandors Stimme klang tonlos und kalt zu Thorn herüber. „Und, Thorn. Sag nichts davon Pope oder Mome, hörst du? Kein Wort! Das ist allein meine Sache.“

      Die beiden Jungen lagen da und rührten sich nicht, und Fandor meinte schon, Thorn sei wieder eingeschlafen, weil der Atem des Jungen neben ihm so gleichmäßig ging, als Thorn sich mit einem Ruck aufsetzte und heiser flüsterte: „Ich glaube dir, Fandor. Und wenn du meinst, du könntest alleine auf diese Reise gehen, dann täuschst du dich.“ Er fuchtelte erregt mit seinen Händen in der Luft herum.

      „Du bist mein Bruder und mein Freund, und ich habe dir den heiligen Blutschwur geleistet. Wenn du schon von einer blauhaarigen Elfenkönigin in ein Abenteuer geschickt wirst, dann auf keinen Fall ohne mich!“

      Er rempelte Fandor mit dem Ellbogen an. „Und jetzt erzähl mir alles nochmal, aber von Anfang an.“

      Der Morgen brachte kaum Wärme in die Knochen der Männer der Stadtgarde von Grünberg, die sich tief in die Berge des Himmelsmassivs vorangetastet hatten. Der Weg nach Süden war beschwerlich, und sie hatten bereits am gestrigen Tag ein Pferd verloren,