Es sind doch nur drei Wochen. Tom Sailor. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Tom Sailor
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783753108988
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der Beamte schließlich und alle zusammen gehen den Flur entlang zum Lager. Dort muss Erik die Koffer identifizieren und auf einen Trolley packen. Über einen Fahrstuhl gelangen sie dann in den ersten Stock in einen lang gezogenen Raum, in dem Erik dann aufgefordert wird, den Inhalt der Koffer auf einem Tisch auszubreiten. Gegenüber befinden sich lange Tischreihen, auf denen etliche Kataloge aus allen erdenklichen Teilen der Welt liegen. Schließlich kommt ein junger Zöllner und begutachtet die Gegenstände aus Eriks Koffer. Dabei handelt es sich hauptsächlich um elektronische Karten, die für die Steuerung des Kraftwerkes vorgesehen sind. Nach einem kurzen Blick wendet sich der junge Zöllner den Tischen auf der Rückseite zu und kramt einen dicken Katalog hervor. Langsam blättert der junge Kollege die Seiten um und versucht die Gegenstände aus Eriks Koffer wieder zu finden. Gespannt tritt Erik hinter den Zöllner und erkennt, dass es sich um den Katalog eines amerikanischen Warenhauses handelt.

      »Da wird er nichts drin finden!« resümiert Erik und überlegt, wie er das Thema lösen kann. Schließlich landet der junge Zöllner auf einer Seite mit Computerkarten für den Anschluss von Druckern. Erik versucht sein Glück und ruft: »That's it. You found the cards from my suitcase!«

      Der junge Zöllner blickt ihn etwas überrascht an und scheint kurz zu überlegen, ob er widersprechen soll.

      »Are you sure?«, fragt er mit prüfendem Blick in Eriks Richtung.

      »Yes of course, we need to install printers for the plant to document the protocols!«, versucht Erik etwas mehr Plausibilität in die Geschichte zu bekommen. Der Zöllner liest noch einmal die Beschreibung im Katalog und da dort bestätigt wird, dass diese Karten für Drucker vorgesehen sind, notiert er sich die Daten und Preise auf einem kleinen Notizblock.

      Anschließend darf Erik die Gegenstände wieder in die Koffer packen und folgt dann Anil zu einem Büro, in dem der junge Zöllner einige Formulare ausfüllt. Nachdem Erik und Anil die Formulare unterschrieben haben, erklärt ihm Anil, dass Erik die Koffer mitnehmen kann, er aber seinen Reisepass als Pfand hier lassen muss. Anil wird am nächsten Tag wiederkommen und erfahren, wie hoch die Strafe ist. Wenn die bezahlt ist, bekommt er auch den Reisepass wieder. Etwas zögerlich übergibt Erik seinen Pass und verlässt dann mit Anil das Zollgebäude. Die Prozedur hat nur eine Stunde gedauert und Erik ist froh, dass er nun endlich wieder ins Hotel kann. Die Fahrt zurück geht wie gewohnt schleppend voran, so dass sie nach einer weiteren Stunde wieder im Hotel sind. Sofort kümmern sich wieder die Angestellten um die Koffer und bringen sie nach einem kurzen Hinweis von Anil in einen Raum neben dem Empfangsdesk, der als Lager für Koffer gedacht ist. Anschließend übergibt er Erik die Bahnfahrkarte und erklärt, dass er neben dem Gepäck aus dem Zoll, noch fünf weitere Kisten zur Baustelle mitnehmen soll. Etwas verwundert schaut Erik ihn an. »How shall I handle all this?«, fragt er Anil.

      »No problem, Sir, we will arrange everything! Trust me.«, erklärt Anil, als er sieht, dass Erik seine Stirn runzelt. »I show you the luggage«.

      Erik betritt mit Anil den Gepäckraum im Hotel, um sicherzustellen, dass er auch weiß, um welche Kisten und Koffer es sich handelt. Das Hotel scheint so etwas gewohnt zu sein. In dem Nebenraum, gleich hinter der Rezeption ist Erik dann doch von der Menge Gepäck überrascht, die er mitnehmen soll. Dabei handelt es sich um eine Reihe silberfarbener Blechkisten. Als Erik versucht, eine anzuheben, stellt er fest, dass dies durch einen Mann kaum zu schaffen ist. Na, das wird noch ein Spaß, das alles heute Abend zum Bahnhof zu bringen, malt er sich aus. Der Zug soll gegen acht Uhr am Abend abfahren. Bis dahin hat Erik noch etwas Zeit, um sich auszuruhen. Außerdem wollte er ja noch etwas Essen.

      In dem »International Restaurant« neben der Lobby studiert Erik die Speisekarte und stellt fest, dass man neben wenigen traditionellen indischen Gerichten auch etliche anbietet, die europäisch anmuten. Erik findet, dass er heute genug Eindrücke des Landes gesammelt hat und bestellt sich ein Putensteak mit Pommes und ein Bier.

      Erik hatte Anil gefragt, wann er denn vom Hotel aufbrechen soll, um rechtzeitig am Bahnhof zu sein. Die Fahrt dauert maximal 15 Minuten, hat ihm Anil erklärt. So steht er also um sieben Uhr am Abend in der Lobby, um auszuchecken und den Transport der vielen Gepäckstücke zu organisieren. Doch die Sorgen, die Erik anfangs noch wegen des Transports hatte, sind unbegründet. Nach einem Hinweis beim Concierge, dass das Gepäck zum Bahnhof soll, eilen vier Angestellte des Hotels herbei, die alles organisieren, ohne dass Erik auch nur einen Finger krumm machen muss. Sofort sind drei Taxen organisiert, ohne dass Erik zum Taxi-Desk gehen musste und mit dem Gepäck beladen. Erik steht fasziniert daneben und wundert sich, wie sich das Problem regelrecht in Luft auflöst. Indien hat einfach genug Hände, die anpacken können. Wer das nötige Kleingeld hat, kann sich sein Leben schon recht bequem einrichten. Nach einer kurzen Fahrt erreicht die Karawane den Bahnhof. Es ist einer der größeren Bahnhöfe in Delhi. Auf der Fahrt dahin überlegt Erik, wie das nächste Problem zu lösen ist: nämlich die ganzen Koffer und Kisten an den richtigen Bahnsteig zu bringen. Anil hat ihm erklärt, dass er mit dem Deradhun Express fahren wird und dass am Bahnhof Träger sind. Die langen Verbindungen haben einen eigenen Namen. Dieser Zug fährt von Deradhun über Delhi nach Mumbai und nennt sich daher Deradhun Express. Die Entfernung beträgt knapp 1.700 km und er muss irgendwo in etwa der Hälfte der Strecke aussteigen. Doch die Frage der Träger löst sich schnell. Kaum hat das Taxi vor dem Bahnhof gehalten, erscheinen schon die Kofferträger. Zu erkennen sind die organisierten und offiziellen Träger an einem Messingreifen am Oberarm. Dieser Messingreifen ist quasi der Dienstausweis. Auch hier herrscht wieder eine klare Hierarchie. Der Chef einer Gruppe fragt Erik nach dem Ticket. Erik hält dem vermeintlichen Chef sein Ticket entgegen und zeigt gleichzeitig auf die drei Taxen. Erik geht nicht davon aus, dass der Träger Englisch spricht, den Sinn von »O, K.?« mit einem fragenden Blick sollte man aber international verstehen. Der Träger antwortet immer wieder mit einem Kopfwackeln. Es war nicht das Kopfschütteln, was in Europa als Nein gedeutet wird, sondern ein merkwürdiges seitwärtiges Wackeln des Kopfes von rechts nach links. Die Feinheit zwischen einem Ja-wackeln und einem Nein-wackeln kann Erik noch nicht erkennen, so dass er unsicher ist, ob der Trägertrupp wirklich verstanden hat, worum es geht. Für den Chef scheint die Sache aber doch klar zu sein. Er hat angesichts der Gepäckmenge beschlossen, dass er noch eine zusätzliche Gang benötigt und winkt einer anderen Gruppe zu, die sofort dazu kommt. Die zwei Chefs der jeweiligen Clans liefern sich ein kurzes, aber lautes Wortgefecht, was vermutlich die Bezahlung betrifft. Schließlich scheinen sie sich aber handelseinig geworden zu sein. In atemberaubender Geschwindigkeit schnappen sich die Träger die Koffer und Kisten, stapeln alles auf ihren Köpfen und marschieren als menschliche Karawane durch das Gewühl. Etwas unsicher stapft Erik hinterher und fragt sich, ob das alles auch so richtig ist. Kann man den Leuten trauen? Werden sie Erik im Bahnhof tatsächlich an den richtigen Bahnsteig führen oder ist Erik jetzt einer Verbrecherbande ausgeliefert, die mit ihm um die Ecke geht, um ihn auszurauben? Werden auch alle Kisten ankommen, oder reißen sie sich irgendeine Kiste unter den Nagel?

      Als sie den Bahnhof betreten, schlägt Erik als erstes ein unerträglich penetranter Geruch entgegen. Wer ihn das erste Mal erlebt, sollte einen robusten Magen haben. Es sind tausende von Menschen, die sich über die Bahnsteige bewegen. Es ist wie ein Ameisenhaufen, den man mit einem Stock aufgescheucht hat. Wenn da nicht dieser Gestank wäre. »Ameisen riechen nicht so,« denkt Erik, »das gleicht eher einer aufgeplatzten Eiterbeule!«

      Erik fühlt sich wie im Vorhof der Hölle. Ein extremer Lärm aus dem Geschrei von Verkäufern, dem Quietschen haltender Züge, unverständlichen Lautsprecherdurchsagen und einem Rauschen vieler hunderter Stimmen. Dazu all der Dreck, gegen den die Besenkehrer nicht ankommen. Die Menschen scheinen keinerlei Rücksicht zu nehmen, sondern interessieren sich nur für ihr eigenes Vorwärtskommen. Egal, ob es sich um Zigarettenkippen, leere Schachteln oder Bonbonpapier handelt. Alles wird einfach auf den Boden fallen gelassen. Es gibt ja Menschen, die ihr Geld damit verdienen, den Dreck wieder zu beseitigen. Erik erinnert sich an die häufig gemachte Aussage von Ausländern, die gefragt werden, was ihnen an Deutschland gefallen hat: »Es ist alles so ordentlich und sauber.«

      Es ist kaum vorstellbar, wie es auf deutschen Bahnhöfen und Straßen aussehen würde, wenn die Menschen ebenso rücksichtslos mit ihrer Umwelt umgehen würden. Und dieser Gestank, dieser widerlich penetrante Gestank nach Urin und Müll, der als faulige wabernde Wolke über allem liegt, es umhüllt und in alles einzudringen