Im Netz der Gedanken. Stefan Heidenreich. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Stefan Heidenreich
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738091038
Скачать книгу
Brille zu sehen? Endlich bot sich mir die Möglichkeit, meinen Horizont über die Dinge an sich zu erweitern, und ich saß da wie ein Idiot, der zu keiner Antwort fähig war.

      Die hochhackigen Schuhe von Melanie hämmerten beim Weggehen in meinen Schädel.

      Wie ernst meinte Birnbaum seine Ausführungen? Hätte ich die Gelegenheit, mir die Sache noch einmal zu überlegen? War es ein Angebot, das Morgen oder später immer noch existierte? Alles klang so einmalig und endgültig.

      Und dieser Birnbaum saß mir gegenüber und schob sich einen Bissen nach den anderen in den Mund, als ob er gerade über das Wetter gesprochen hätte. Eins musste man diesem Mann zugestehen, er besaß eine Art, der kein Mensch am Pokertisch begegnen will. Dies war eindeutig mehr als in als in Rhetorikseminaren unterrichtet wird. Keinerlei Mimik, aus der ich etwas hätte lesen können, war zu erkennen.

      Endlich. Melanie kam mit dem Cognac. Sie stellte ihn vor mir mit dem liebenswürdigsten ″zum Wohle", was eine Bedienung überhaupt auszusprechen in der Lage sein kann, auf den Tisch. Dann hämmerte sie erneut mit ihren hohen Absätzen davon.

      Ich leerte das Glas in einem Zug. Birnbaum nahm gerade einen Schluck Kaffee, als ich ihm meine Entscheidung mitteilte.

      „Also, ich bin bereit Ihre Freunde kennenzulernen. Und ich hoffe, dass ich diese Entscheidung nicht bereuen werde!“ Sagte ich und war selbst davon überrascht, mit welcher Ruhe ich diese Worte herausbrachte.

      „Gut!“ Sagte Birnbaum. „Ich bin auch mit meinem Frühstück fertig. Jetzt brauchen wir nur noch die Rechnung und dann können wir gehen.“

      Meinen Versuch meine Getränke selbst zu bezahlen, wehrte er ab und ließ den Rechnungsbetrag zuzüglich einem fürstlichen Trinkgeld unter dem Kassenausdruck liegen. (Eigentlich hätte ich doch ausgiebig frühstücken können. Fiel mir leider zu spät ein.)

      Wir standen auf und verließen das Lokal, bevor Melanie die Chance hatte sich, mit einem ordentlichen Hofknicks, zu bedanken.

      Auf dem Weg zu seinem Auto sprachen wir kein Wort. Birnbaum bezahlte die Parkgebühr mit seiner Kreditkarte. Ich kann mich daran erinnern, weil ich selbst nur Kassenautomaten benutzte, die Bargeld akzeptierten. Aber dieser Mann spielte gesellschaftlich ohnehin in einer anderen Liga als ich. Er manövrierte seine Mercedes–Limousine geschickt aus der Dunkelheit des Parkhauses in die beißende Sonne des einst begehrtesten Boulevards der Stadt und trat aufs Gaspedal.

      Kapitel 2

      Unser Weg führte uns von der alten City am Kurfürstendamm in die neue Geschäftswelt am Potsdamer Platz. Viele große Unternehmen hatten diesen Platz nach der politischen Wende und dem Zerfall der ehemaligen DDR als neuen Standort auserwählt. Für viele Verkehrsteilnehmer diente er jahrelang als Wegweiser durch die Stadt, weil seine Kräne, die sich scheinbar in den Himmel bohrten, schon von Weitem erkennbar waren. Nachts wurden sie in den verschiedensten Farben ausgeleuchtet, um zu zeigen, dass hier etwas ganz Besonderes entsteht. Gleichermaßen stellte der gesamte Platz durch sein sich immer änderndes Aussehen ein Verkehrsproblem dar, dessen Straßenführung sich in dieser Zeit fast täglich veränderte.

      Inzwischen sind die Bauarbeiten abgeschlossen, und das Ergebnis kann sich wirklich sehen lassen. Die Geschäfte, die sich hier etablierten, laden zum Bummeln ein, und selbst Deutschlands größter Musicalveranstalter ließ es sich nicht nehmen hier eines der modernsten Theater Europas aus dem Boden zu stampfen. Ich kannte diesen Teil Berlins schon einigermaßen, weil der Konzern dort seine Büros hat, und ich mindestens einmal im Monat hier war, um Prospektmaterialien abzuholen.

      Natürlich hätte es auch die Möglichkeit gegeben, die Unterlagen auf dem Postweg zu erhalten, aber ich mochte das Flair der Kantine im Glaspalast des Konzerns, genauso wie die Fahrt mit dem gläsernen Fahrstuhl bis in die 24. Etage, von wo aus die Telefonistin mit der lieblichen Stimme vor meinen Augen mitsamt ihrem Empfangstresen in einem ungeheuren Tempo zu schrumpfen schien.

      Oftmals traf man auch den einen oder anderen Geschäftsfreund, mit dem man sich bei einem Mittagessen austauschen konnte.

      Allerdings fuhren wir diesmal nicht in das Parkhaus des Konzerns, sondern in ein anderes, welches ziemlich uNscheinbar hinter den Arkaden lag. (Für alle, die sich nicht in Berlin auskennen, sei angemerkt, dass der Name Arkaden in diesem Fall für eine in sich abgeschlossene mehrgeschossige, überdachte Einkaufspromenade steht, die zum Bummeln einladen soll.) Das Parkhaus, in dem wir uns an diesem Tag befanden, war viel kleiner und unscheinbarer als das, was ich kannte.

      Das Parkhaus der Firma war auf jeder Etage hell erleuchtet, und man schien jede Möglichkeit zu nutzen, auf die Großartigkeit der Firma und ihrer Produkte hinzuweisen. Ich weiß noch, wie mich Klaus, anlässlich meines ersten Besuchs in der Zentrale, auf die unzähligen Werbetafeln und Leuchtkästen hinwies, die überall hingen und einem das Gefühl vermittelten, dass es auf der ganzen Welt nichts Wichtigeres als den Konzern gäbe.

      Er sagte mir, dass ihn diese Plakate immer an die Werbetafeln der nächsten Bundestagswahlen erinnern, und er schon oft mit dem Gedanken spielte dieser freundlich lächelnden Dame, welche auf der ersten Ebene neben der Ampelanlage dargestellt war, ein kleines Bärtchen anzumalen. (Ja, Klaus war schon ein wahrer Revoluzzer.) Allerdings hinderten ihn die Überwachungskameras daran, diesen teuflischen Plan in die Tat umzusetzen. Und es wäre auch nicht Klaus seine Art gewesen. Er war immer jemand, der entweder seine Meinung direkt sagte oder dezent schwieg.

      Aber wie gesagt, das war nicht das Parkhaus, in dem ich mich nun befand. Dieses hier hatte einen ganz anderen Charakter. Es war erheblich dunkler und privater. Und doch schien Birnbaum es dem anderen vorzuziehen. Er steuerte seinen Wagen auf einen Platz neben einer Tür, mit der Aufschrift >Privat Betreten verboten<, durch die wir zu einem Fahrstuhl gelangten, der in Form und Größe auch wesentlich einfacher war als die gläserne Kanonenkugel, mit der ich normalerweise meine Reise über die Dächer Berlins antrat.

      Irgendwie war ich ein bisschen enttäuscht, mich am Potsdamer Platz zu befinden, ohne das immer kleiner werdende Dekolleté von Frau Wieland beobachten zu dürfen. (Nur wer dieses Schauspiel einmal miterlebte, kann es wirklich nachvollziehen)

      Ein Blick auf die Schalttafel verriet mir, dass das Gebäude, in dem wir uns befanden, 20 Stockwerke hoch war, und ich dachte mir, dass Birnbaum eine der 21 Tasten drücken würde. Aber stattdessen zog er sein Handy aus der Tasche und drückte dort einen Zahlencode ein, der den Fahrstuhl veranlasste seine Arbeit aufzunehmen.

      Beinah hätte ich den Halt unter den Füßen verloren, als ich merkte, dass unsere Fahrt abwärts statt aufwärtsging. Wenn man in einem Fahrstuhl steht, dann richtet man instinktiv seinen Körper auf die bevorstehende Fahrt ein. Man weiß genau, in welche Richtung man seinen Körper verlagern muss.

      Erst jetzt erkannte ich, was Birnbaum mir vorhin zu erklären versuchte. Diese Menschen findet man weder auf Werbetafeln noch im Internet. Na klar. Wer stellt schon eine Werbetafel in den Keller? Aber wer war dieser Birnbaum? Und mit was für abscheulichen Menschen hatte er zu tun, die sich in irgend-einem dunklen Keller verstecken müssen?

      Dunkel?

      Glaubte ich wirklich dunkel?

      Nachdem sich die Tür wieder öffnete, stellte ich fest, dass es sich um alles andere als um dunkle Kellerräume handelte. Wer sich schon einmal im Fernsehen die Serie ‚Stargate‘ angesehen hat, der würde das, was sich mir hier bot, für den großen Bruder halten.

      Wir befanden uns auf einem Gang, der über seiner Brüstung völlig verglast war. Unterhalb dieser Brüstung gab es eine Art Blende, hinter der eine indirekte Beleuchtung den Teppichboden, auf dem wir standen, aufhellte. Hinter der Glasfront, die eine der Seitenwände bildete, befand sich ein Saal, der sich etwas unterhalb unseres Standortes befand und von Form und Größe an einen Tennisplatz mitsamt den dazugehörigen Auslaufzonen erinnerte. Von der Decke hingen an langen Ketten Leuchtstoffröhren herab. Alle säuberlich zueinander ausgerichtet. Ich zählte