Für den Rest des Tages hatte ich mir einen alten Freund ausgedacht, mit dem ich mehrmals telefoniert hätte, um ihn daran zu hindern, eine Dummheit zu begehen. Ich wollte ihm erzählen, dass dieser Freund von seiner Frau verlassen wurde, und ich nun nach Lindau am Bodensee fahren müsste, um mich um ihn zu kümmern. (Da soll noch mal einer sagen ich hätte keine Phantasie!)
Tatsächlich hatte ich Freunde am Bodensee. Es waren Ralf und Elke, die ich damals in Sri Lanka kennengelernt hatte.
Wir hatten zusammen eine Rundreise über die Insel mit all ihren Buddhastatuen überstanden und anschließend noch 10 Tage gemeinsamen Badeurlaub genossen. Zu jeder Malzeit gab es Reis, sodass wir uns damals ausmalten, welches europäische Gericht wir in Deutschland als Erstes genießen würden. Für mich stand die Antwort wie immer fest. Es würde meine selbst gemachten Bratkartoffeln sein.
Wie so oft am Ende eines gemeinsamen Urlaubs tauschten wir damals unsere Heimatadressen aus. Normalerweise landen die kleinen Kärtchen, welche man mit der Adresse des anderen ins Reisegepäck mit nach Hause nimmt, entweder sofort im Papierkorb, oftmals aber erst nach dem ersten Besuch beim Anderen.
Urlaubsbekanntschaften halten selten länger als die ersten Liebesbeziehungen eines Teenagers.
Mit Ralf und Elke lief es tatsächlich mal anders. Wir sind auch heute noch miteinander befreundet und telefonieren regelmäßig.
Allerdings lernte Klaus, diese meine Freunde niemals kennen, sodass ich ihm diese haarsträubende Geschichte auftischen konnte.
Klaus erklärte dem Ober bei meinem Eintreffen gerade, wie man ein Filet Stroganoff zubereite, und verlangte, als dieser sich weigerte, das komplette Rezept als Diktat aufzunehmen, umgehend den Koch zu sprechen.
Der Ober verließ daraufhin wutschnaubend den Tisch und marschierte unter lautem Getöse in die Küche. Ich nutzte diese Pause um Platz zu nehmen und meinen Freund zu begrüßen.
Demonstrativ öffnete ich mein Portemonnaie und fragte Klaus, ob das Restaurant seinen Ansprüchen genüge. Schließlich hätte ich gegebenenfalls noch eine Kreditkarte dabei.
Klaus lachte und erklärte mir, dass es immer dasselbe wäre mit diesen ausländischen Obern. Kaum ein Wort Deutsch sprechen, aber nicht dazu bereit etwas dazuzulernen.
Ich pflichtete ihm bei und wies mit Nachdruck darauf hin, dass ein deutsches Nationalgericht wie Filet Stroganoff selbstverständlich nur von deutschen Köchen zubereitet werden sollte.
Ich rief den Ober zu uns, um mir etwas zu trinken zu bestellen, musste aber mit seinem Kollegen vorlieb nehmen, weil der Erste leider dringend nach Hause musste, um sich um seine Familie zu kümmern.
„Wie viel benötigst du so pro Abend?“ fragte ich Klaus, der schlagartig zu seinem Humor zurückfand und mit einer Gegenfrage konterte.
„Wie viel was? Meinst du Ober, Köche oder Restaurants?“
Wir lachten beide so laut los, dass selbst die Damenrunde am Nebentisch uns mit pikierten Blicken strafte.
„Nun aber zu dir“, begann Klaus diesmal im gemäßigten Ton. „Was war nun los?“ Dabei beugte er sich erwartungsvoll nach vorn, als ob nun ein Erfahrungsbericht folgen würde, so wie ihn Leute nach einem Blind Date bei ihrem besten Freund abliefern.
Ich erzählte ihm meine vorbereitete Geschichte und hatte das Gefühl, dass er mir jedes Wort glaubte.
An der Stelle mit Birnbaums Entschuldigung ging ich in Deckung, um dem Bier auszuweichen, welches Klaus, beim Versuch in diesem Moment etwas zu trinken, quer über den Tisch prustete.
Wir saßen bis ca. 23:30 Uhr zusammen und schwelgten wieder einmal in gemeinsamen Erinnerungen.
Beim Thema, Birnbaum malten wir uns die tollsten Situationen aus. Klaus hätte ihn nur zu gerne mit gesenktem Haupt und einer Entschuldigung auf den Lippen, vor seinem protzigen Schreibtisch gesehen. Ich gab noch eins drauf und sah mich in der Situation ihn zu degradieren, indem ich ihm öffentlich seine Krawattennadel abriss und sie vor der ver-sammelten Mannschaft des Vorstandes auf den Boden warf.
Ob ich ihm jemals die Wahrheit über diesen Tag erzählen werde?
Klaus erklärte mir dann irgendwann zwischen dem Hauptgang und der Nachspeise, dass dies sein Lieblingsrestaurant sei und niemand anders in der Lage wäre, einen Gourmet wie ihn so hervorragend zu bedienen. Allerdings müsse man das Personal ab und zu auch mal etwas fordern.
Und da für Klaus zur Qualität des Essens auch eine genauso hohe Quantität an Verdauungsschnäpsen gehört, war es immer wieder ein Spektakel, die Veränderungen der Hautfarbe, wie auch der Gesichtsmuskulatur bei diesem Mann miterleben zu dürfen, welche die richtige Balance aus Essen und Alkohol erzeugte. (Wer 1983 das Glück hatte, das von André Heller inszenierte Feuerwerk vor dem Reichstagsgebäude in Berlin zu erleben, der weiß genau was ich meine.)
Ich selbst hielt mich an diesen Abend bei den Getränken etwas zurück, weil ich am nächsten Tag noch eine sehr anstrengende Autofahrt nach Lindau zu absolvieren hätte.
Als guter Freund ließ ich es mir jedoch nicht nehmen, Klaus im Anschluss an diesen gelungenen Abend nach Hause zu fahren, wofür er mich unterwegs mit seinem selbst gesungenen Repertoire aus drei verschiedenen Musicals mehr als reich-haltig entlohnte.
Ich hatte meine Gründe dafür, dass ich den seit Jahren von Klaus geforderten gemeinsamen Besuch in einem Karaoke–Lokal immer wieder hinauszögerte. Irgendwann trafen wir vor seiner Haustür ein und ich wartete so lange, bis diese hinter ihm ins Schloss fiel.
Zu Hause angekommen zappte ich noch für die Dauer einer Zigarettenlänge durch das Fernsehprogramm und ging nach der ca. fünfzehnten 0190......-Werbung ins Bett. Ich wusste, dass der Wecker mich um 6:30 Uhr aus dem Schlaf reißen würde.
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