»Aus unserer Stufe? Und mit wem davon hast du tatsächlich geschlafen?«
»Mit niemandem.« Er senkte wieder den Kopf. Seine Lügen kamen ihm im Licht der vorherigen Situation noch infantiler vor.
Rose seufzte und strich ihm verständnisvoll über den Kopf. Am liebsten hätte er sie sofort wieder geküsst. Sie war ein Engel. »Lass uns Chemie machen«, sagte sie dann abrupt und öffnete das Buch.
Die nächsten Wochen waren die schönsten in Johnny Krugers bisherigem Leben. In der Schule taten er und Rose, als hätten sie nichts miteinander zu tun – Rose wollte es so. Er verstand die Geheimhaltung nicht, akzeptierte sie jedoch klaglos. Hauptsache, sie waren zusammen. Nachmittags trafen sie sich regelmäßig.
Rose hatte nicht viel Zeit, doch die Stunden, die sie zusammen verbrachten, waren für Johnny kostbar. Er übernahm ihre Hausaufgaben. So blieb mehr Zeit, um Küsse auszutauschen. Bei der nächsten Chemiearbeit schob er ihr einen Zettel zu, auf dem die Lösungen standen. Er wurde beinahe selbst nicht fertig. Doch das Lächeln, das Rose ihm dafür schenkte, war so wundervoll, dass er den Stress sofort vergaß.
Eines Abends sagte sie ihm, wenn er geduldig mit ihr sein würde, wäre sie bereit, eines Tages mit ihm zu schlafen. Als sie ihm das eröffnete, konnte Johnny nächtelang nicht mehr schlafen. Das Bedürfnis, Rose zu berühren, erfüllte ihn ganz und gar und ließ keinen Platz mehr für andere Dinge. Als sie das Ergebnis der Chemiearbeit bekamen, jubelte Rose. Sie hatte es geschafft. Wenn sie nun noch ein Referat halten würde, wäre ihr die Eins im Zeugnis sicher. Ihre Hausaufgaben waren dank Johnny mehr als passabel, und auch ihre Mitarbeit hatte sich verbessert.
Johnny freute sich mit ihr. Je glücklicher sie war, desto zutraulicher wurde sie. Sie küssten sich inzwischen sehr oft und leidenschaftlich. Johnny überlegte, ihr eine Hand unter den Pullover zu schieben, aber er traute sich nicht. Er hatte Angst, die Stimmung damit zu zerstören.
Seine Freunde bohrten immer wieder nach, was in jener Nachhilfestunde geschehen war, doch Johnny hatte jedes Mal geschwiegen und mit den Schultern gezuckt. In der Schule suchte er oft Rose‘ Blick, doch sie nickte ihm immer nur unverbindlich zu. Johnny konnte ihr Verhalten nicht verstehen. Es verletzte ihn. Wie gern hätte er auf dem Schulhof den Arm um sie gelegt, sie an der Treppe geküsst und kleine Aufmerksamkeiten im Spind versteckt. Er war es leid, der heimliche Lover zu sein. Sie hatte ihm gezeigt, dass sie ihn mochte. Wieso nicht allen?
Eines Tages konnte er nicht mehr an sich halten. Rose war wieder an ihm vorbei gegangen und hatte ihm nur geheimnisvoll zugezwinkert. Seine Freunde neckten ihn inzwischen damit, dass Rose die erste Frau war, die er wohl nicht ins Bett bekommen würde. Sie hatten weniger Respekt vor ihm, zogen ihn auf und fachsimpelten darüber, wie sie selbst es schaffen würden, Rose rumzukriegen.
An jenem Tag hielt Johnny es nicht mehr aus. »Okay, ihr wollt es wirklich wissen? Es tut mir leid für euch, Jungs, aber Rose und ich sind schon seit mehr als vier Wochen zusammen. Wir halten es nur geheim, damit es kein dummes Gerede gibt. Aber nach Schulschluss – da geht’s heiß her.« Er grinste.
Einen Moment lang starrten seine Freunde ihn fassungslos an. Normalerweise hätten sie längst gegrölt und derbe Sprüche vom Stapel gelassen. Nun aber wechselten sie ein paar Blicke.
»Was ist?«
Einer seiner Freunde holte tief Luft und legte den Arm um ihn: »Johnny, hör‘ mal. Du hast schon so viel erlebt, aber das mit Rose, das war einfach eine Nummer zu groß für dich. Das musst du akzeptieren. Und es bringt doch nichts, irgendetwas zu erfinden.«
»Was soll das denn heißen?« Es war geradezu grotesk. All seine abgedrehten Geschichten hatten sie ihm geglaubt, und nun bezichtigten sie ihn der Lüge? Er spürte, wie Wut in ihm hochkochte. Wieso glaubten sie ihm nicht? Sicher, Rose war einmalig, und er hatte es selbst kaum fassen können, doch er hatte sich bewiesen, dass er genau der Mann sein konnte, der er immer sein wollte. Und seine Freunde hätten ihn darin bestärken müssen, fand Johnny. »Fragt sie doch selbst, wenn ihr denkt, dass ich lüge!«, sagte er wütend und ließ seine Freunde stehen.
Den Rest des Tages versuchte er, mit Rose zu reden. Sie würde sich von seiner spontanen Verkündung bestimmt überrumpelt fühlen. Aber er und sie mussten ihre Beziehung offenlegen. Er konnte diesen Zustand nicht mehr ertragen. Obwohl er überall in der Schule suchte, fand Johnny sie nicht. Er schrieb ihr eine Nachricht, dass er sie sehen musste, und wartete zu Hause viele Stunden lang – keine Antwort, keine Rose.
Als die Dunkelheit hereinbrach, stützte Johnny seinen Kopf auf die Hände und musste die Tränen zurückhalten. Was war nur los? Sie hatten sich nicht gestritten, wollten in der nächsten Woche sogar miteinander schlafen. Das hatte Rose zumindest versprochen. Die ganze Nacht über wartete er auf eine Antwort – vergeblich.
Am nächsten Tag folgten ihm die Blicke, als er das Schulhaus betrat. Irritiert sah er sich um. Alle starrten ihn an. Erst erfüllte ihn diese Situation mit Unbehagen, doch dann ging ihm ein Licht auf: Rose musste sich zu ihm bekannt haben. Plötzlich erschien ihm der Weg um einiges leichter. Er schaffte es sogar, ein Lächeln aufzusetzen. Bestimmt hatte sie ihn überraschen wollen.
Als er das Klassenzimmer betrat, grinste er bereits seinen Freunden entgegen. Doch ihre Mienen blieben eisern. Waren sie etwa wütend auf ihn? Eigentlich hätten sie sich entschuldigen müssen.
»Hey Leute, was ist denn los? Schreiben wir einen unangekündigten Test?«
Keiner sagte ein Wort. Sie blickten ihn nur ausdruckslos an. »Wieso hast du uns angelogen?«, fragte schließlich einer von ihnen. Dabei fixierte er Johnny, und seine Augen blieben kalt.
»Ich habe euch doch schon gesagt, dass Rose und ich…«
»Hör‘ endlich auf, verdammt nochmal! Wir sind keine Idioten«, brach es aus seinem Freund heraus. Johnnys Grinsen entglitt ihm. »Wir wissen, dass du Jungfrau bist. Du hast uns angelogen, deine besten Freunde.«
Johnny spürte, wie die Farbe aus seinem Gesicht wich. »Woher wollt ihr das wissen?«
»Ich bitte dich. Jeder weiß es.« Seine Freunde schüttelten den Kopf und drehten sich um.
»Leute, ihr versteht das nicht…«
»Spar‘s dir, Johnny.«
Er wollte gerade etwas erwidern, als einige Mädchen auf ihn zukamen. Als er den Blick hob, sah er, dass es sich um Jessica, Janine und Ivana handelte. Von einem Augenblick zum anderen wurde ihm sterbensschlecht. Er erwog einen Moment lang, fluchtartig das Zimmer zu verlassen, doch er konnte sich nicht rühren. Es schien, als würde der Schock ihn lähmen.
»Johnny Kruger, was fällt dir eigentlich ein, zu behaupten, ich hätte mit dir geschlafen? Das wäre das Letzte, was ich tun würde – und wenn du der letzte Mensch auf Erden wärst«, keifte Ivana los.
Johnny spürte, wie er auf seinem Stuhl kleiner wurde.
»Du mieser kleiner Angeber. Dachtest, du gibst bei deinen Freunden an, aber hast nicht die Eier, wirklich mal eine anzusprechen. Du bist so armselig.« Janine verzog den Mund, als habe sie etwas Schlechtes gegessen.
»Ich würde mich nicht mal von dir anfassen lassen, wenn ich Geld dafür bekommen würde. Du bist einfach nur widerlich und ein Loser. Ein kleiner, hässlicher Loser«, sagte Loreen von oben herab. Sie ließen noch eine Vielzahl von Hasstiraden los, doch Johnny konnte sie bereits nicht mehr hören. Ihm rauschte das Blut in den Ohren. Woher wussten sie über seine Lügen Bescheid? Er verspürte das Bedürfnis, sich die Ohren zuzuhalten, wegzurennen, zu schreien, sich zu verstecken und nie wieder herauszukommen.
Alle in der Klasse starrten ihn an – die Jungs verächtlich, die Mädchen hämisch. Sie keiften immer noch wild und beschimpften ihn.
In diesem Moment betrat Rose das Zimmer. Erleichtert stand Johnny auf und ließ Jessica, Janine und Ivana stehen. »Rose, du musst mir helfen. Die Mädchen wissen Bescheid. Bitte, sag‘ ihnen, sie sollen mich in Ruhe lassen.«