Abdallahs Anliegen wurde dann kurz und bündig nebenbei erledigt. Er hätte den Beschluss gar nicht mitbekommen, hätte ihn nicht Roland darauf aufmerksam gemacht. Ohne Diskussion wurde zugestimmt. Ein Hilfstrupp durfte 778 ins Mauren Land entsandt werden. Der Reichstag vertagte sich bis zum nächsten Jahr. In Lippspringe sollte der stattfinden, dort wo der andere Fluss, so wie die Pader hier, fertig aus dem Boden quillt. Daraus wurde erst mal nichts. In den nächsten Jahren sorgten die aufmüpfigen Sachsen immer wieder für Kurzweil. Erst 782 kam es dazu, und 798 dann noch einmal in Paderborn.
Karl hielt die Geistlichkeit und seine Grafen noch zurück.
Christus stand am letzten Tag vor dem Aufbruch aller auf dem Stundenplan. Das sollte den perfekten Abschluss des Reichstages erbringen. Die letzte Massenunterhaltung dieser Tagung. Karl wollte nun vollendete Tatsachen schaffen, zumindest in der Region ums Sintfeld und den Born der Pader.
Der gesamte Adel der Ostfalen und Engern, sofern männlich, kam mit allen freien Gefolgsmännern, mit Großvater, Vater, Sohn und Enkel zum Königshof. Nicht freiwillig. König Karl hatte sie herbei befohlen und den Säumigen androhen lassen, ihnen werde im Fall eine unentschuldigten Fernbleibens später der Kopf vor die Füße gelegt. Und das allen einer Sippe, vom Großvater bis zu Neugeborenen. Solch christlich-moderne Überredungskraft überzeugte die noch Zaudernden. Tausende zogen seit dem Morgengrauen aus allen Himmelsrichtungen in endlosen Schlangen heran. Langsam füllte sich der wieder frei geräumten Vorplatz des Königshofes. Am halben Vormittag stieß des Königs Hornist in sein Gerät. Die neuen Gäste eilten zur Veranda vor dem Haus. Umgeben von seinem Hofstaat und den Edlen der Franken saß dort der König auf seinem Thron. Krone, überreich geschmückter Brokat, Zepter und Reichsapfel taten ihre Wirkung.
Als die dicht gedrängte Menge der Ostfalen vor dem König versammelt stand, gebot ein weiterer Hörnerruf absolute Stille. Der neue Bischof Ägilulf trat vor seine Herde und sprach ihnen auf sächsisch die Taufformel:
„Entsagt ihr alle dem Teufelswerk? Dann ruft gemeinsam Ek gelobo!“
„Das war kläglich, noch einmal, und so nach jeder Frage!“
„Ek gelobo!“
Zufrieden nickte der Bischof.
„Und Thunaer, Wuotan, Saxnot und allen sonstigen Unholden?“
„Ek gelobo!“
Das klang nun schon wie Donnerhall. Die noch unfertigen Neuchristen lernten mächtig schnell ihrem frisch gebackenen Bischof zu gehorchen.
„Gelobt ihr euch dem allmächtigen Gott, dem Vater, seinem Sohn und dem Heiligen Geist?“ „Ek gelobo!“
„Gut, nun tretet zurück, formt eine Schlange und marschiert an eurem König vorbei. Ihr werdet vor seinen Augen das Sakrament, die Heilige Taufe empfangen!“
Die Menschenkette kroch herbei und bückte sich unter das neue Schwert des Königs, das mit dem mit dem Rubin am Knauf. Das war zuvor vom Erzbischof von Toulon christlich getauft worden. Nun hielt Angilbert es drohend über die vorbeimarschierenden Sachsen gereckt. Um manches tiefer beugten sie ihre Häupter und nahmen danach den Guss kalten Paderwassers entgegen, der ihnen übers Haupt geschüttet wurde. In dieser juristischen Sekunde mutierten sie zu Christen.
Die am Hofe weilende Geistlichkeit, vom Erzbischof bis zum letzten Lehramtsanwärter, schuftete bis in den frühen Abend im Akkord. Gelegentlich gab es für die im Weinberg des Herrn Fronenden eine Erholungspause. So schnell und so viel des benötigten Wassers konnten die Knechte und Sklaven nicht vom Paderloch heraufschaffen. War es da, mussten erst noch die heidnischen Wassergeister der Sachsen vernichtet werden. Eine langwierige und umständliche Prozedur. Lange Passagen, vom ehrwürdigen und ältesten der Erzbischöfe, dem Greis aus Reims in Latein gemurmelt, reinigten das Wasser und machten es verwendungsfähig. Dann erst ging das Fließbandtaufen weiter. Selten hat des HERRN Bodenpersonal dem himmlischen Stellvertreter auf Erden in einem Arbeitsgang so viele Schäfchen zugetrieben.
Als alle in den Schoss der Mutter Kirche gelangt waren, wurden sie erneut zusammengetrieben. Dicht gedrängt hörten sie Bischof Ägilulf zu, der sich im lokalen Dialekt erst jetzt zu Recht als ihr neuer Hirte vorstellte. Er verlas ihnen des Königs Befehle zur Gründung und Bebauung von Paderborn. Die Bauten zu bezahlen, und die ihnen dabei auferlegten Fronarbeiten nahmen sie schweigend hin. Ebenso den befohlenen Bau des Klosters Buranon. Es schien keinem geraten, an diesem Tage etwas von demokratischer Mitbestimmung zu murmeln.
Vae victis – es dauerte dennoch weitere 25 Jahre, bis die sturen Sachsen ihre Lektion erlernt hatten.
Den Abschluss des Reichstages bildete traditionell die Musterung des Heerbannes. In diesem einen einzigen der 45 Regierungsjahre der Herrschaft König Karls folgte kein Feldzug. So wie gestern die zu Taufenden, so marschierten heute die Gewappneten über den Vorhof, vorbei an ihrem König und seinen Fürsten, Grafen und Baronen. Ein buntes Bild der Feldzeichen und Schild-Bemalungen benannte dem Kundigen die Einheit. Aufmerksam und mit scharfen Augen wurden die Krieger kontrolliert, deren Haltung und der Zustand ihrer Waffen. Neben dem Kanzler saßen seine Schreiber und notierten Sünder, Versager und rostige Wehr, so wie Karl oder sein Feldmarschall Bernhard, im Nebenberuf Bischof zu Trier, es ihnen zu murmelten. Die jeweiligen Kommandeure einer Tausendschaft erhielten später vom Militär-Kommandeur ihre Tadel zur Weitergabe an die betroffenen Hundertschaften.
Am Abend wurden die Krieger in ihre Heimat entlassen. Am nächsten Morgen folgten ihnen die Trupps der Adligen und Bischöfe. Karl eilte mit seinem Hofstaat nach Aachen. Die Mauren zogen mit der Gewissheit, ihren Auftrag voll erfüllt zu haben, in Richtung Zaragoza.
6. Kapitel: Nach Hause
In den letzten Paderborner Tagen erteilte Abdallah zweien seiner Unteroffiziere den Auftrag, die Sklavinnen, die Karren und Zugtiere zu verkaufen, und dafür neue Reittiere für die Murabitun und Aida einzuhandeln. Ergänzend dazu sollten sie drei als Tragtiere ausgebildete Maulesel beschaffen. Das gelang in den beiden überbordenden Lagern der Franken und der Gaukler über Erwarten gut. Der Erlös lag doppelt so hoch, als er in Zaragoza zu erzielen gewesen wäre. Darum ging es eigentlich nicht. Abdallah beabsichtigte nur, die Rückreise in der halben Dauer zu schaffen, solange das Wetter dem Ritt noch freundlich blieb. Dazu gab es in dieser frühen Sommerzeit gar keinen logischen Grund. Der war in seinem Gemüt verborgen. Seit seiner desaströsen Begegnung mit dem baskischen Wettergott Mikelatz vor drei Jahren saß eine Wetterphobie in seinem Kopf. Nach Maurenart sollte heimgeritten werden, in Form der Reitergruppe, und im Stil der schnellen Razzia. Nie wieder Handelskarawane! schwor er sich. Seine Kameraden dachten ebenso. Und wenn sich Aida wund reiten sollte, hätte das in seinen Augen zwei prächtige Folgen. Er durfte nun diesen zarten Po rechtmäßig eigenhändig behandeln, und im Bett musste sich der schmerzende Zustand jener Region förderlich auf ihr „Entgegenkommen“ auswirken. Wie sich dann auf dem Ritt herausstellte, war das gar nicht nötig. Aida, rettungslos und kätzchenhaft verliebt, erfüllte im Bett weit mehr Wünsche, als ihr Herr sich je erhofft.
Die offizielle Abschiedsaudienz für Abdallah verlief kurz und bündig, eingebettet in die Verabschiedung vieler Herren des fränkischen Hochadels. Der König versicherte ihm nochmals, dass er im kommenden Sommer garantiert mit der Ankunft eines „beachtenswerten“ fränkischen Hilfskorps in Zaragoza rechnen dürfe. Er gab Order für eine kleine, gut berittene Eskorte, und gewährte der Gesandtschaft dadurch die sichere und schnelle Heimreise. Was er nicht aufdeckte, war deren anderer Auftrag: Abdallah und seine Truppe intensiv zu überwachen, deren unverzügliches Verschwinden aus dem Frankenreich sicherzustellen, und möglichst viel Spionage-Informationen bei den Mauren einzuholen.
Es gab noch eine wilde Nacht der Abschiede. Ein letztes Mal wurde den Mauren die Höchstleistung abverlangt. Abdallah traf es am schlimmsten. Prinzessin Lioba kannte Tricks, von denen er noch nie erfahren. Ein ums andere Mal richtete sie den Streikenden wieder auf. Der Morgen graute