Raetia. Melissa Jäger. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Melissa Jäger
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738012699
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am XVII. Tag vor den Kalenden des Aprils, Mamuralia

      Der Tag vor den Liberalia begann träge und langsam. Das Leben in Augusta Vindelicum schien verschlafen zu haben. Der Statthalter, Caius Velius Rufus, hatte den Termin für die Vorverhandlung in weiser Voraussicht seines morgendlichen Zustandes auf die fünfte Stunde festgelegt. Im Haus des Centurio Achilleus herrschte jedoch bereits zur dritten Stunde reges Treiben. Caecina hatte im privaten Balneum ein Bad genommen und sich anschließend von ihrer Sklavin Macata schminken und frisieren lassen. Nun ging sie nervös im Atrium des Hauses auf und ab. Wegen der vielen Festtage, die dicht aufeinander folgten, hatte Alpina keinen Unterricht. Sie wollte unbedingt am Vormittag Ilara besuchen, um sich nach ihrem Befinden zu erkundigen. Elvas war ohnehin mit der Vorverhandlung gegen Caecina beschäftigt. Also nutzte Alpina die Unruhe im Haus, um sich auf den Weg zu ihrer Schwester zu machen. Dabei kam sie am Haus des Essimnus vorbei. Nachdenklich beobachtete sie die Fassade des prächtigen Stadthauses. Sie hatte ihrer Freundin Gavia mehrere Briefe geschickt, aber keine Antwort erhalten. Vermutlich durfte sie das Haus nach wie vor nicht verlassen.

      Celsa öffnete, nachdem Alpina den Türklopfer betätigt hatte. Die Dakerin bat die jüngere Schwester der Hausherrin herein. Aus dem Atrium hörte Alpina eine Männerstimme. Tiberius Alpius Soterichus war da. Das hätte sie sich denken können! Sicher war er, als Mitglied der Seviri Augustales, zu den Festlichkeiten eingeladen. Der Schwiegervater ihrer Schwester kam auf Alpina zu und nahm sie in den Arm. Ein durchdringender Duft nach Salböl umwehte ihn. „Schön, dich zu sehen, Alpina! Wie geht es dir?“

      Alpina bedankte sich für die Nachfrage und erkundigte sich nach Tibulla. Da trat ein verzweifelter Gesichtsausdruck in Tiberius‘ Züge. „Sie ist sehr krank, Alpina! Ich bin deshalb erst gestern nach Augusta Vindelicum gekommen und musste das Wagenrennen auslassen. Seit Atticus gestorben ist gibt es keinen Medicus mehr in der Stadt. Ich weiß gar nicht, wen ich um Hilfe bitten soll.“

      Alpina zögerte kurz. „Was hat sie denn?“, fragte sie dann zunächst.

      „Seit mehreren Wochen ist sie sehr kurzatmig, und die Beine sind dick angeschwollen. Jetzt zeigt sich auch im Bauch eine Wasseransammlung.“ Sorgenfalten zeigten sich auf seiner Stirn. „Weißt du einen Rat?“

      Alpina dachte nach. Dann fiel ihr der Medicus des neuen Statthalters ein, der im Valetudinarium seinen Dienst tat. „Vielleicht wäre es gut, den Medicus des Procurators zu bitten, sich deine Frau anzusehen?“

      Ein Lächeln huschte über das Gesicht des Mannes. „Oh, Alpina! Das ist eine glänzende Idee! Daran habe ich gar nicht gedacht! Kennst du ihn?“

      Alpina schüttelte den Kopf. „Ich nicht, aber Claudius. Er hat seinem Freigelassenen Fortunatus im vergangenen Jahr geholfen, nachdem dieser im Suburbium zusammengeschlagen worden war.“

      Der Sevir hörte aufmerksam zu.

      „Dann werde ich mich gleich mal auf den Weg machen, vielleicht erreiche ich ihn noch vor der Gerichtsverhandlung. Hab Dank, Alpina!“

      Er zog den Reisemantel an und brach umgehend auf. Alpina hingegen klopfte an Ilaras Tür.

      „Ich bin’s, Alpina! Darf ich hereinkommen?“

      „Hm, ja, komm rein!“

      Ilaras Stimme klang nicht eben glücklich, doch Alpina schob die Tür auf.

      Die Schwester saß auf ihrem Bett, sie hatte sich noch nicht für den Tag herrichten lassen. Die Haare hingen strähnig über ihre Schultern, und die Tunika, die sie trug, hatte schon bessere Tage gesehen. Ilara war blass. Alpina setzte sich zu ihr aufs Bett.

      „Was ist los?“

      Ilara beugte sich vor und zog den Nachttopf unter dem Bett hervor. Er war zur Hälfte gefüllt mit Urin und Blut. Dicke Blutklumpen schwammen mit Schleimhautfetzen vermischt in der Flüssigkeit.

      „Es hört überhaupt nicht auf zu bluten. Ich blute wie ein Opferschwein, das vor dem Altar geschlachtet wird! Außerdem habe ich Bauchkrämpfe und Kopfschmerzen, ganz zu schweigen von der Übelkeit!“

      Missmutig sah sie ihre jüngere Schwester an, als sei Alpina Schuld an ihrem Zustand.

      „Eine Abtreibung ist kein Honigschlecken! Du solltest in Zukunft besser vorbeugen, dann musst du das nicht noch einmal durchmachen!“

      Streng sah sie der geknickten Ilara in die Augen. Die nickte schuldbewusst.

      „Kennst du nicht ein paar Kräuter, die die Blutung stoppen können?“, fragte sie Alpina.

      „Schon“, Alpina legte den Kopf schief, „aber jetzt ist erst mal wichtig, dass auch alle Reste der Schleimhaut abbluten, und dass es nicht zu einer Infektion kommt. Es ist besser, du lässt es zunächst bluten. Ich kann dir aber etwas gegen die Krämpfe und die Kopfschmerzen geben. Es wird allerdings bis zum Nachmittag dauern, bis ich erneut kommen kann. Bei uns ist gerade viel los, vor allem, seit Caecina gestern eingezogen ist.“

      Ilara riss die Augen auf. „Was? Sie ist bei euch eingezogen?“

      „Ja, Vater und Mutter haben sich bereit erklärt, sie so lange bei sich zu beherbergen, bis die Verhandlung vorüber ist. Heute ist die Vorverhandlung, aber es wird sicher noch eine Hauptverhandlung geben.“

      Ihre Schwester nickte. „Das nehme ich auch an. Ich finde es gut, dass Vater die Arme zu sich genommen hat. Sie ist sehr nett. Ich kenne sie aus der Kultgemeinschaft der Iuno.“

      „Ja, auch ich mag sie. Sie macht sich solche Sorgen, dass sie ihre Kinder nicht mehr wieder sehen wird. Ich glaube, dass ihr ganz böse mitgespielt wurde, aber das zu beweisen, ist ein Ding der Unmöglichkeit!“

      Alpina machte sich bereit aufzubrechen. „Nun, ich werde dir nachher die Kräuter gegen die Krämpfe vorbeibringen. Vielleicht wissen wir dann schon mehr. So weit ich weiß, ist die Vorverhandlung ohnehin nicht öffentlich. Wir werden also auf Caecinas Bericht warten müssen, wenn sie in unser Haus zurückkehrt.“

      ***

      Claudius traf frühzeitig im Praetorium ein. Der Aedilis Vindelicus wartete bereits im Vestibül auf die Angeklagte. Sein Adiutor hatte alle Beweismittel dabei. Caius Iulius Achilleus und seine Frau begleiteten Caecina zur Vorverhandlung. Ihre Dienerin Macata stolperte vor Aufregung über ihre eigenen Füße und fiel der Länge nach hin. Elvas half ihr auf, putzte die schmutzigen und leicht aufgeschürften Hände ab und legte der jungen Frau beruhigend die Hand auf den Unterarm.

      Der Advocatus Iulianus begleitete seine Mandantin. Er war bereits frühmorgens im Haus des Achilleus gewesen und hatte mit Caecina noch einmal die Verteidigungsstrategie durchgesprochen. Sie rechneten auf jeden Fall mit einer Hauptverhandlung. Im großzügigen Atrium des Verwaltungstraktes warteten bereits der Advocatus des Essimnus, sein Mandant, sowie der Verwalter des Praetoriums auf das Erscheinen des Statthalters und des restlichen Stadtrats. Essimnus war anzusehen, dass er das Fest der Anna Perenna ausgiebig gefeiert hatte. Er sah müde aus geschwollenen Augen in die Runde. Seine Frau würdigte er keines Blickes.

      Schließlich erschien Rufus mit großem Gefolge. Ihn begleiteten neben der Leibwache, den Liktoren und seinem persönlichen Sekretär ein weiterer Schreiber, zwei Beneficiarii und die beiden Duoviri, die als Berater und unbeteiligte Zeugen des Verfahrens fungieren sollten.

      Elvas drückte Caecina noch einmal beide Hände und betete zu Minerva und Justitia um ihren Beistand. Macata hing weinend am Arm ihrer Herrin und ließ sich nur mit Mühe von ihr trennen. Iulianus schob Caecina vor sich her in den Raum, den man für die Vorverhandlung ausgesucht hatte. Vindelicus und Claudius breiteten die Beweismittel auf einem dafür vorgesehenen Tisch aus und setzten sich dann im hinteren Teil des Raumes auf zwei Klappstühle. Rufus saß auf seinem prunkvollen Praetorensessel in der Mitte der Stirnseite, rechts und links neben ihm die Duoviri. Vor dem Statthalter und seinen Beisitzern nahmen die gegnerischen Parteien Platz. Das Gefolge des Statthalters stand an den Seiten des Raumes. Der Letzte, der sich auf einen Klappstuhl niederließ, war der Schreiber, der das Protokoll verfassen musste.

      Mit einer Handbewegung sorgte Rufus für Ruhe. Er eröffnete die Verhandlung mit einem Gebet an die höchsten