Der Kapitän hoffte nicht darauf, sein Schiff tatsächlich retten zu können. Im Gegenteil, er würde es, mit Hilfe der Pulvervorräte, sprengen müssen, damit es nicht in Feindeshand fiel, aber wenn er es an der Untiefe auf Grund setzen konnte, würde es nicht endgültig versinken und er konnte seine Besatzung vor dem Ertrinken bewahren.
Während des verzweifelten Versuches der U.S.S. Mayhew, festen Grund zu erreichen, kenterte der angeschlagene konföderierte Flussdampfer und versank. Auch hier konnten die Wenigsten schwimmen und wer es konnte, der versuchte tapfer, wenigstens einen der Kameraden zu retten.
Commodore Isaac Lumbers beobachtete das Drama vom Steuerhaus der Nentucket aus. Wütend umkrallte seine Hand die Einfassung eines der Fenster. „Zum Hafen, Kapitän. Wir müssen schnellstens anlegen und den Hafen besetzen.“
„Ich bin kein Narr, Mister Commodore.“ Der Kapitän wies zum Ufer hinüber. „Dort! Können Sie es sehen? Bespannte Artillerie der Rebellen geht am Ufer in Stellung. Die schießen uns in Fetzen, bevor Ihre tapfere Infanterie auch nur einen Brogan an Land setzen kann.“
Lumbers folgte den Blicken des Kapitäns und fluchte erbittert.
Am Ufer protzte eine Batterie berittener Artillerie ab. Sechs Sechspfünder und vier Zwölfpfünder. Keine wirklich großen Geschütze, aber mehr als ausreichend, um die beiden großen Dampfschiffe zu versenken.
„Gottverdammt“, knurrte Lumbers enttäuscht. „Wo kommen die verfluchten Rebellen so plötzlich her?“
„Was weiß denn ich?“, erwiderte der Kapitän bissig. „Entscheidend ist, dass sie jetzt da sind. Na schön. Steuermann, volle Wende und flussaufwärts.“ Er beugte sich zu dem Sprachrohr aus Messing, dessen Schlauchverbindung ihn mit der Maschine verband, zog den Stöpsel aus dem Trichter. Ein kurzer Pfiff, dann gab er seine Befehle. „Heizt ordentlich ein. Volle Fahrt. Wir haben hier ein paar Gentlemen aus dem Süden, die uns sonst das Rad in Stücke schießen.“
Der große Dampfer am Anleger machte gerade die Leinen los, doch die Nentucket und die Missouri Lady gingen bereits auf Gegenkurs.
„Die werden uns nicht einholen“, meinte der Kapitän zufrieden.
Commodore Lumbers nickte. „Und selbst wenn… Das uns verfolgende Schiff ist nicht bewaffnet und jeder unserer Dampfer hat fast vierhundert Infanteristen an Bord. Die Rebellen werden sich hüten, einen Enterversuch zu unternehmen.“
„Ich glaube, die Mayhew schafft es“, kommentierte der Kapitän, der zur Sandbank zurück sah. „Eben hat sie einen Stoß bekommen. Einer ihrer Schornsteine ist abgeknickt. Sie muss aufgelaufen sein.“
„Gut“, seufzte Lumbers. „Dann ist ihre Besatzung wenigstens in Sicherheit.“
Es war nicht nur die Gefahr des Ertrinkens. In diesem Augenblick dachte der Offizier an die beeindruckenden Gebisse der Alligatoren, die sich am Ufer oberhalb von Dillings sonnten.
Als die Nentucket diese Stelle passierte, war von den Echsen nichts zu sehen. Dillings war nicht weit entfernt. Sicher waren die beobachteten Alligatoren und eine erkleckliche Zahl ihrer Artgenossen, auf der Jagd nach frischer Beute, die sich durch ihr aufgeregtes Plantschen verriet. Doch die Männer des Kanonenbootes würden auf der Sandbank in Sicherheit sein. Immerhin war es besser, als Kriegsgefangener der Südstaaten zu enden, als im Magen einer hungrigen Echse.
Der Kapitän warf Lumbers einen nachdenklichen Blick zu. „War wohl ein ziemlicher Fehlschlag, was, Mister Commodore?“
Lumbers Gesicht schien unbewegt, während er schweigend nickte.
Kapitel 2 Dillings
Joshua Kendrick war das Sinnbild eines ehrwürdigen Patriarchen und Gentleman aus dem Süden. Er war nicht nur Gründer und Town-Mayor der Stadt Dillings, sondern auch Besitzer einer großen Tabakplantage in Virginia. Über vierhundert Sklaven arbeiteten dort für ihn. Kendrick war der festen Überzeugung, dass sie dies gerne taten, denn im Vergleich zu anderen Besitzern behandelte er seine „Nigger“ gut. Er tat dies nicht aus reiner Menschenfreundlichkeit, doch ihm war bewusst, dass zufriedene Arbeiter weit bessere Ergebnisse lieferten, als solche, die das nicht waren. So hatte bei ihm jeder Schwarze seine gemütliche Koje, jede Familie sogar eine kleine Hütte. Joshua Kendrick achtete auf eine gute ärztliche Versorgung und bezahlte die Männer und Frauen für ihre Tätigkeit. Es mochte ein geringer Lohn sein, doch üblicherweise wurden die Sklaven überhaupt nicht bezahlt. Kendrick achtete ebenso darauf, dass die Familien oder Ehepaare nicht auseinander gerissen wurden und dass seine Aufseher die Peitschen nur benutzten, wenn dies auch unbedingt erforderlich war, um die Disziplin aufrecht zu erhalten. Fünf seiner besten Aufseher kamen selbst aus den Reihen seiner Sklaven. Kendrick begünstigte auch die Gründung von Familien. Neue Sklaven aus den eigenen Reihen waren weit besser motiviert und man musste sie nicht auf einem Markt einkaufen.
Ja, Kendrick empfand einen gewissen Stolz auf sein soziales Engagement und vor allem die guten Resultate, die es zeigte. Seine Leute legten sich auch ohne Strafandrohung mächtig ins Zeug. Keiner der Farbigen wollte die Plantage des guten weißen Massa verlassen, um einem anderen und schlechteren Herrn zu dienen.
Er hatte einen zuverlässigen Verwalter auf der Plantage und einen ehrlichen Buchführer. Alles wäre Bestens, wenn der verdammte Bürgerkrieg nicht ausgebrochen wäre. Joshua Kendrick war ein glühender Patriot des Südens und ein Verfechter von dessen Unabhängigkeit. Er machte jedoch keinen Hehl daraus, dass der „verdammte Ärger mit den Yankees“ das Geschäft schädigte und möglichst rasch beigelegt werden sollte. Das lag ja auch im Interesse der Nordstaatler und die bisherigen Geschäftspartner, mit denen Kendrick in den Unionsstaaten handelte, hatten sich stets als vernünftige Leute erwiesen. Der inzwischen 72-jährige hoffte, die Geschäfte bald wieder aufnehmen zu können.
Zwei seiner Söhne dienten in der Armee von Nord-Virginia. Einer von ihnen hatte den berühmten General Robert E. Lee sogar persönlich kennengelernt und ritt nun in Stuarts fabelhafter Kavallerie.
Joshua hielt es in diesen unruhigen Zeiten nicht auf der Plantage. Eher zufällig war er, während einer gemütlichen Flussreise auf dem Mississippi, auf den Verladepunkt Dillings gestoßen und hatte sofort erkannt, dass dessen wahres Potential nicht genutzt wurde. Die Lage, direkt am Fluss und zwischen zwei Überlandstraßen, die durch eine Brücke und die Fähre mit dem Ort verbunden waren, bot Möglichkeiten für den Handel. Entlang des Mississippi wurden Baumwolle, Tabak und Melasse angebaut und vorrangig zwischen den Städten Natchez und Saint Louis gehandelt. Von Saint Louis ging es flussabwärts weiter bis New Orleans. Dillings lag zwischen Memphis und Vicksburg und bot sich als Umschlagplatz an. Zudem konnte man von Dillings aus etliche Plantagen versorgen. Plantagen, auf denen, entlang des Flusses, rund vier Millionen Sklaven arbeiteten.
Joshua Kendrick hatte vor einem guten Jahr einiges an Privatvermögen in Dillings investiert und die kleine Siedlung erhielt enormen Aufschwung, denn die umfassenden Verbindungen von Kendricks sorgten rasch dafür, dass Dillings als Anlegeplatz akzeptiert und angefahren wurde. Es war nur eine logische Folge, dass die nunmehr 3.000 Einwohner ihn zu ihrem Bürgermeister wählten.
Die ersten soliden Steinhäuser waren errichtet worden und Kendricks achtete persönlich darauf, dass sie ansprechend aussahen. Die Balkone, die zugleich die Vordächer bildeten, wurden von sorgfältig behauenen Steinsäulen gestützt, etliche der Geländer bestanden nicht aus Holz, sondern dem teuren Schmiedeeisen. Hier gab es Teppiche und Wandtapeten und zunehmend alle Annehmlichkeiten, die den Ort sogar für verwöhnte Passagiere ansprechend machten. Mancher Dampfer legte hier an, natürlich gegen einen kleinen Obolus von Kendrick an den Kapitän, damit seine Passagiere die Gelegenheit bekamen, im „Chez Gaston“ zu speisen. Der alte Patriarch hatte sich nicht gescheut, einen ausgezeichneten französischen Koch in die kleine Stadt zu locken.
An Stelle der einstigen kleinen Dampfboote lagen nun auch große Raddampfer