Der kleine Seitenraddampfer Louisville umrundete nun die letzte Biegung des Flusses, die vor Dillings lag.
„Ruder Backbord“, befahl ihr Kapitän. „Wir müssen auf die Fahrrinne achten.“
„Aye“, bestätigte der Steuermann wortkarg.
Sie beide kannten diesen Teil des Mississippi und seine gefährlichen Untiefen. Vor Dillings lag eine große Sandbank, die den Fluss teilte. Die befahrbare Rinne lag, flussabwärts gesehen, links und nötigte das Schiff, näher an das dortige Ufer zu fahren. Aufgrund ihres niedrigen Tiefgangs hätte der kleine Dampfer auch die flachere westliche Fahrrinne nutzen können, doch sein Kapitän dachte an die größeren Schiffe, die ihm folgten.
Voraus, am östlichen Ufer, lagen wogende Getreidefelder, dahinter waren die Häuser der kleinen Stadt Dillings zu erkennen. Mit knapp dreitausend Einwohnern war sie weder besonders groß, noch bislang von besonderer Bedeutung. Sie lag in einem Bereich, in dem sich der Mississippi auf bis zu drei Kilometer erweiterte und wo einer der Nebenflüsse in den mächtigen Strom mündete. Eine solide Brücke überspannte den Nebenfluss und eine der Überlandstraßen führte am östlichen Ufer entlang. Dort war inzwischen der Bau einer Eisenbahnlinie geplant. Zum westlichen Ufer und der dortigen Straße existierte eine Fährverbindung, deren Ponton durch Muskelkraft betrieben wurde. Eine Schinderei, die durch zwei Dutzend Sklaven bewältigt wurde.
Die seenartige Erweiterung bei Dillings wurde abermals durch eine Sandbank eingeengt, die ungefähr in der Mitte lag.
Die Stadt bestand aus einigen hundert Häusern, überwiegend aus Holz erbaut. Nur im Bereich des kleinen Hafens existierten ein paar solide Steinbauten, die vornehmlich als Lager dienten. Die kleine Stadt war der Umschlagplatz für Waren in das Hinterland und für Holz, Melasse und Baumwolle, die von hier verschifft wurden.
„Ziemlicher Betrieb“, stellte der alte Kapitän lakonisch fest. „Ich zähle sieben Dampfer an den Anlegern. Drei davon Dreidecker.“
Der Steuermann warf nur einen kurzen Blick zum Land, da er sich auf Verwirbelungen im Wasser und treibendes Holz konzentrierte. „Aye.“
„Im Hafen ist eine Menge los“, fuhr der Kapitän fort. „Ich sehe etliche Frachtwagen an den Lagerhäusern. Scheint zu stimmen, dass die Rebellen dort Vorräte für Vicksburg sammeln. Die unerwartet große Zahl an Schiffen deutet ebenfalls darauf hin. Zu viele Schiffe für Dillings. Normal wären Zwei oder höchstens Drei. Ich zähle aber Sieben.“
„Sagten Sie schon, Käpt´n“, brummte der Mann am großen Steuerrad. „Bewaffnete?“
Der Kapitän seufzte erleichtert. „Ich kann keine Waffen auf den Schiffen sehen und auch keine Geschütze, die irgendwo an Land herumstehen.“
„Vielleicht haben sie die versteckt“, äußerte der Steuermann seine Sorge.
„Glaube ich nicht.“ Der Kapitän setzte sein kleines Teleskop an und musterte das Ufer um die Stadt. „Ich sehe auch keine Spuren, die auf neue Gräben, Aufschüttungen oder Befestigungen hinweisen. Dieser Commodore hat wohl recht, dass wir die Rebellen überraschen. Ich muss zugeben, dass mich das doch wundert. Die Leute sind nicht dumm und wissen doch, wie sehr die Union darauf aus ist, den Mississippi unter ihre Kontrolle zu bekommen.“ Er setzte das Glas kurz ab, wischte sich über die Augen und setzte es erneut an. „Hm, drei der Schiffe stehen unter Dampf. Einer der Großen und zwei der Kleinen. Die Kleinen machen jetzt los. Wohl unser Begrüßungskomitee. Pete, wir müssen die Dinger im Auge behalten. Das könnten Rammboote sein.“
Ein Schiff nachträglich mit Geschützen zu bewaffnen, war keineswegs einfach. Selbst ein leichtes Feldgeschütz auf Radlafette konnte Probleme bereiten. Sein tonnenschweres Gewicht belastete die Planken auf kleinem Raum und der mächtige Rückstoß beim Abfeuern ließ es auf seiner Lafette bocken. Auf Schiffen benutzte man üblicherweise keine Rad- sondern Blocklafetten und befestigte solide Brocktaue an den Waffen, damit sie nur wenig zurück rollten. Einen gewöhnlichen Mississippidampfer zu bewaffnen, das erforderte daher Einiges an Können und diverse Umbauten. Demgegenüber war es ein Kinderspiel, aus einem Dampfboot eine gefährliche Waffe zu machen, denn man konnte einen Feind, statt ihn durch Beschuss zu versenken, auch rammen und somit den gleichen tödlichen Schaden zufügen. Viel brauchte es dazu nicht. Es reichte aus, den Bug mit ein paar soliden Bohlen zu verstärken und einen Rammdorn anzubringen. Zu seiner Anfertigung genügte es, einen soliden Baumstamm zurechtzusägen, ihn anzuspitzen und im Feuer zu härten. Er würde jeden hölzernen Rumpf zertrümmern. Union und Konföderation besaßen in ihren Marinen einige Schiffe, die keine Bewaffnung, außer einer solchen Ramme, aufwiesen.
„Die Mayhew kommt.“ Der Kapitän blickte kurz über die Schulter. „Schön, Pete, wir dampfen flussabwärts. Soll sich das Kanonenboot mit den Rebellen herumärgern.“
Um die Biegung war das dunkle Kanonenboot aufgetaucht, nun gefolgt von den beiden großen Passagierdampfern. Welchen Eindruck dies auf die Südstaatler machte, war nicht zu erkennen, doch als erste Reaktion änderten die beiden kleinen Dampfboote aus Dillings den Kurs und fuhren nun flussaufwärts dem Feind entgegen. Ihre Maschinen arbeiteten emsig, um gegen die Strömung anzukämpfen.
An Bord der Mayhew konnte man sich nicht sicher sein, ob man es mit feindlichen Rammbooten zu tun hatte oder ob einfach nur ein paar Neugierige kamen, um sich den kleinen Verband der Unionsschiffe anzusehen. Ein paar harmlose Zivilisten und eventuell sogar Ladies zu versenken, war sicher nicht im Sinne der U.S.-Navy. Der Kapitän entschloss sich zu einer Warnung. Er feuerte eines der beiden Buggeschütze ab. Da er in flachem Winkel schoss, zog das Projektil eine beeindruckende Spur aus aufspritzendem Wasser über die Oberfläche, bis es im Fluss versank.
Als die beiden Dampfboote unbeeindruckt näher kamen, war deutlich, dass sie feindliche Absichten hegten. Die Weite des Mississippi bot hier, trotz der mittleren Sandbank, genügend Raum zum Manövrieren und die beiden kleinen Dampfer teilten sich jetzt.
Das zweite Buggeschütz feuerte. Der Richtschütze hatte den richtigen Moment abgepasst und die Gunst des Schicksals auf seiner Seite. Das dreiundzwanzig Pfund schwere und massive Geschoss schlug im Bug eines der Dampfer ein, raste durch den hölzernen Rumpf und verwandelte den Angreifer in ein verstümmeltes Wrack.
Der zweite Angreifer nutzte seinerseits den Umstand, dass die Mayhew nun beide Bugwaffen eingesetzt hatte. Zwar ließ deren Kapitän nun Ruder legen, damit sein Schiff dem Angreifer zunehmend die Breitseite mit den geladenen Geschützen zuwandte, doch es war zu spät.
Obwohl ein paar Gewehre und Revolver gegen die Konföderierten abgefeuert wurden, gelang es diesen, den Bug des Kanonenbootes mit der Ramme zu treffen. Es war kein idealer Rammstoß, da er nicht senkrecht, sondern schräg auf das hölzerne Unterwasserschiff traf, dennoch war der Schaden für die Mayhew verheerend.
Der Stoß warf die Männer auf beiden Schiffen von den Beinen, während das laute Bersten von Holz ertönte. Dass es ein tödlicher Treffer war, wurde den Unionisten sofort bewusst, denn der Bug begann sich innerhalb weniger Augenblicke zu neigen.
Die Konföderierten fanden keine Zeit, ihren Triumph auszukosten. Selbst angeschlagen, fuhren sie an der Seite des Kanonenbootes entlang, direkt vor den Mündungen der schussbereiten 20,3-Zentimeter. Einer der Kanoniere fand Halt und die Gelegenheit, die Reißleine zu ziehen. Das Geschoss zischte harmlos über den kleinen Dampfer hinweg, doch die Druckwelle des Abschusses zerschlug seine Aufbauten und brachte das kleine Wasserfahrzeug beinahe zum Kentern, wodurch seitlich Wasser eindrang. Somit waren nun beide Wasserfahrzeuge dem Untergang geweiht.
Der Kapitän der Mayhew begriff, dass er nur eine einzige Chance hatte, Schiff und Besatzung zu retten. Die meisten Männer an Bord konnten nicht schwimmen und würden hilflos ertrinken, wenn sie über Bord sprangen.
„Zur Sandbank!“, befahl er dem Steuermann und wandte sich mit dem Sprachrohr dem Heck zu. „Boote klarmachen! Wir verlassen das Schiff!“
An den beiden Rettungsbooten, die seitlich, an der Panzerung vor dem Heck, in ihren Aufhängungen schwangen, entstand