Zwischenräume im Tagebuch von Jeannine Laube-Moser. Wilhelm Kastberger. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Wilhelm Kastberger
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742775511
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zu glauben. Und Du kannst mir das auch glauben, wer mich da aufstöbert hatte. Meine angebliche portugiesische Nichte Vanessa Gomes-Moser. Niemals im Traum hätte ich an so eine weitentfernt liegende Brückenkonstruktion gedacht.

      Also da stand sinngemäß in halbwegs von mir geordneter Reihenfolge:

      „Lipe Schani Tant verzieh mein deitsch aba du und Heini biste vawanda in Estareich die Papa wa Bruda vo meine Papa heite bin i Wandera nach dir kim i mit Fliga noch Soizburganockerl und dan mit Zug nach Zell um 15 und nu wos mecht Samstag kema derfn – i find die scho Vanessa

      mei Handy +351-83-46141.25942“

      Niemals habe ich von meinen Eltern vernommen, dass es einen Bruder von meinem Vater in Portugal geben soll. Ebenso wenig kenne ich einen Verwandten der Heini heißt. Und, wann bitteschön ist, Samstag? Morgen oder nächste Woche oder gar in einem Monat! Ich werde doch nicht so verbohrt sein und mich jeden Samstag im Jahr, jeweils um fünfzehn Uhr am Zeller Bahnhof herumtreiben. Das kann doch von mir niemand verlangen. Weil neugierig bin ich nicht, das weißt auch Du!

      Der nächste Samstag war zwei Tage später nach dem ich die Karte das erste Mal in meinen Händen hatte. Ich fuhr also am besagten Samstag gegen Mittag mit der Pinzgauer Lokalbahn nach Zell am See. Dort trieb ich mich dort ganz unauffällig vor dem Bahnhofsplatz und auf den Bahnsteigen, wenn die Züge aus Salzburg ankamen, herum. Zwischendurch ging ich durch die Unterführung, spazierte zum See und fütterte aus lauter Langeweile die Fische, Enten und Schwäne.

      Um fünfzehn Uhr achtundzwanzig sollte nach der Lautsprecherdurchsage der Regionalexpress von Salzburg ankommen und am Bahnsteig drei, allerdings bereits mit großzügiger Verspätung, einfahren. Ich hatte noch Zeit genug.

      Du wirst wahrscheinlich noch nie am Bahnhof in Zell am See gewesen sein. Oder doch? Na ja, dann weißt Du vielleicht auch, dass man zu den Bahnsteigen zwei und drei mit einem Lift hinauf und sowohl wieder hinunterfahren kann. Mir ist das Stiegenhinauf- und hinunterhatschen viel lieber, seit ich in einem Lift von der Außenwelt und vor allem von der Rezeption des Hotels Blaugefiederten Grünschnabel buchstäblich ausgeschlossen worden war.

      Ich kann mich noch bestens daran erinnern. Der sternelose, aber vier Hauben innehabende Beherbergungsbetrieb wurde damals im Reisebüroprospekt ausdrücklich als Geheimtipp für Liebespaare angepriesen. Mein damaliger Brieffreund und ich haben uns zu einem Wochenende akkurat an diesem Ort verabredet. Wie gesagt, neugierig bin ich mein ganzes Leben nie gewesen, daher ließ ich mich schon ungefähr eine Stunde vor unserer Verabredung mit dem Taxi dorthin bringen. Damit ich ja nichts versäume.

      Mein gebuchter Unterstand, in Wahrheit sollte es ein ganz und gar geeigneter Hochstand werden, der für Beobachtungen sowohl für die nähere Umgebung als auch für die Ferne wie geschaffen war, entpuppte sich als ideal. Ich kannte ja meinen Quer- und Zurückschreiber noch nicht persönlich. Ein Foto von ihm habe ich irgendwann schon einmal bekommen. Das Bildchen habe ich aber so gut versteckt, dass ich nicht mehr weiß, wohin ich das teure Stück abgelegt habe.

      Wegen der vielen Stiegen und Stufen, die ich hätte bewältigen müssen, um in das Zimmer im vierten Stock zu kommen, wurde mir von der zimmerschlüsselaushändigten, stark überschminkten und nicht gerade geruchfreien älteren Dame der Lift empfohlen. Es war ein Lift aus der Zeit der Christenverfolgung.

      Das Haus hatte fünf Stockwerke, wurde aber bestimmt schon vor Urzeiten wie ein Turm gebaut. Zweifellos eine Rarität in der Landschaft. Ob das Bauwerk geeignet gewesen wäre, als Duplikat für den schiefen Turm der Pisa-Studie als Vorzeigeobjekt zu dienen, sei einmal in die Ecke gestellt. Ich jedenfalls stieg in den Einpersonenlift ein. Sehr geräuschvoll ging´s los. Und dann im düsteren Zwischenraum, nämlich zwischen den Stockwerken zwei und drei, blieb der hochtechnisch keinesfalls ausgestattete Nachobenbringer plötzlich stecken. Notsignaltasten oder andere Einrichtungen, die auf meine missliche Lage hingewiesen hätten, gab es in der halb offenen Kabine nicht. Auch meine Hilferufe blieben lange Zeit erfolglos.

      Jedenfalls hat es stundenlang gedauert, bis ich wieder aus meinem Käfig heraussteigen konnte. Gottseidank hatte ich eine Literflasche Wasser und dreieinhalb Müsliriegel vom BILLA noch in meinem Gepäck mit dabei. Sonst wäre ich womöglich erfroren auch noch. Es herrschte in dem rundumbetonierten Schlauch eine Zugluft, als würde der Railjet ungebremst an mir vorbeisausen. Den verehrten Brieffreund habe ich nie persönlich kennengelernt, der hat wahrscheinlich das Weite gesucht. Zwischen uns gab es dann auch keinen literarischen Austausch mehr. Du wirst mir verzeihen, wenn ich in keinen Lift mehr hineingehen werde, um mich irgendwo hinauf oder hinunter transportieren zu lassen, auch nicht am Bahnhof in Zell am See.

      Also an diesem besagten Samstag am Bahnsteig drei, ging plötzlich die Schiebetüre beim Lift auf und eine mir bestens bekannte männliche Person kam heraus. Er hielt in der linken Hand einen halbverwelkten Blumenstrauß, der offensichtlich nicht für mich bestimmt gewesen war. Und so war es auch.

      Der Literat, Buchautor und Geizkragen in einer Person, nämlich Heinrich Otto Stormhänger, stand beinahe angewurzelt auf dem mit Betonziegeln gepflasterten Boden. Er starrte mir ins Gesicht, als ob ich vom Mond oder gar mit der letzten Marsexpedition soeben auf die Erde zurücktransformiert worden bin. Wir gingen uns beide entgegen. Er taste mich mit seinen Augen von oben bis unten ab, als wollte er mich auf der Stelle entkleiden. Darauf meinte er lapidar: „Ach du bist es nur, Schani.“

      In dem Augenblick ahnte ich Beängstigendes. Mir sind nämlich Teile des Textes von der Ansichtskarte wieder in mein Bewusstsein gerückt und bei dem Namen – Heini – ins Stocken geraten.

      Ich weiß schon, erinnern kann ich mich auch noch sehr gut, große Geschäfte hatte er mit mir nie gemacht. Unbestritten, ich war einmal seine Co-Autorin in einem Roman, der eigentlich ein Besteller werden hätte können, wenn er ihn nicht geschrieben hätte. Das war im Grunde auch ein unüberlegter Schnellschuss eines ungehobelten Pseudokritikers.

      Ich weiß noch immer nicht, ob der unsympathische Lobhudler mit mir anbandeln oder mich vergiften wollte. Egal. Der Roman ist zwar dank meiner Zwischenraumschreibekunst nicht völlig aus dem Gleis gerutscht, aber immerhin statt der erhofften Millionenauflage wurden bislang nur zehn Stück an lebende Liebhaber verschenkt.

      Vielleicht ist der Heinrich Otto Stormhänger nur deshalb mit einem grantigen Gesicht mir entgegengetreten, weil ich beim Verlag durchgesetzt habe, dass sein voller Name, nämlich auch der Zwischenraum-Otto, am Cover abgedruckt werden muss. Und der Name Otto, das weißt Du ja längst schon, der ist halt bei der Taufe dazwischen hineingerutscht. Einfach so.

      Meine Begrüßung fiel wesentlich freundlicher aus als seine. Ich sprach wie ein monoton klingender Dauerton auf der Zufahrt zur Mautstation der Großglocknerstraße: „Wos tuast den du do?“

      Heinrich Otto Stormhänger ist kein Freund, sich irgendwo bei irgendwem aufzudrängen, wenn er nicht am fernen Horizont irgendeinen Hoffnungsschimmer bereits zu erkennen glaubt, der ihm lohnende Überraschungen prophezeit. Der halbverwelkte Blumenstrauß, vom Supermarkt aus der Vorwoche, in seiner Hand, ist eine Vorahnung dessen, was seinen Charakter wiederspiegelt. Ja, die fetzigen, kraftloswirkenden Blütenstengeln wiesen eben genau auf seine ausgeprägte Persönlichkeit hin.

      In seiner rechten Hand hielt er dieselbe Ansichtskarte, die ich in meiner Handtasche aufbewahrt hatte. Das erkannte ich erst im zweiten Hinschauanlauf, quasi aus nächster Nähe. Allerdings hielt er das große Drum in der Mitte gefaltet. Die Innenseite mit dem Geschriebenen war verdeckt. Ich habe eigens eine meiner größeren Handtaschen genommen, damit ich die Ansichtskarte unversehrt transportieren konnte, das war dem Heini offenbar wurscht.

      Niemand wird mein Erstaunen besser verstehen können, als ich selbst. Hättest Du vielleicht jemals daran denken können, ich könnte mit dem Querkopf, der jetzt neben mir breitbeinig stand, verwandt sein. Nicht im Traum sage ich Dir. Und eine Brücke hätte ich zu ihm niemals bauen lassen, da hätte ich mich im Bett dummgestellt und überdies quergelegt. Darauf kannst Du einen heben, wenn Dir danach sein sollte.

      „Hot dir die Vanessa a so a Kartn zuakäma lassn. Bist du vielleicht goar da Heini?“

      Wortlos übergab mir Heinrich Otto Stormhänger seine gefaltete Karte und zeigte mir nicht nur die Vorderansicht, sondern