Zwischenräume im Tagebuch von Jeannine Laube-Moser. Wilhelm Kastberger. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Wilhelm Kastberger
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742775511
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Blödsinn, und wenn ich den nicht verstanden habe, dann meint er ich sei ein braves Mädchen.

      Aber der Tomi nicht. Der ist nicht brav, weil er ein Polizist werden möchte. Jawohl das hat er uns gesagt, als wir alle zusammen, und die drei Tanten, mit dem Bus zur Polizei gefahren sind. Zurück sind wir dann mit dem Zug gefahren. Die Schaffnerin kontrollierte die Fahrkarten. Wir Kinder hatten keine, dafür bekamen wir eine. Nicht alle, aber vier oder fünf waren es schon. Ich habe auch eine gekriegt, schau … Ich habe sie auch schon bemalt.

      Nein danke, Marmorkuchen mag ich keinen mehr, aber bitte kann ich den Schokoregenschirm, ja genau den dort drüben mit dem roten … danke Oma Schani …

      Bei der Polizei haben wir uns alles Anschauen dürfen, aber nichts angreifen. Das war blöd. Eine junge Polizeifrau hat uns herumgeführt. Sie hat uns auch jede Menge Fotos von Gaunern gezeigt die gesucht werden. Ich habe keinen wiedererkennen können und der Baldi auch nicht. Die Manuela durfte sogar hinter die Gittertür gehen. Nur rauchen durfte sie nicht dabei. Überall Rauchverbot hat man uns gesagt.

      Viel g’scheiter wäre es gewesen, wenn die Polizeifrau die Tante Berta hinter Gitter gebracht hätte. Nicht die Manuela. Aber die Tante Berta wollte und wollte nicht, freiwillig schon gar nicht, obwohl wir Kinder geklatscht haben und obendrein eine Mordsgaudi gehabt hätten, wenn sie eingesperrt worden wäre. Aber nichts da! Wir wurden sie nicht los. Niemand wurde eingesperrt, auch der Tomi nicht. Und der hat draußen dann die Tante Berta gefragt, warum die Polizei zuerst von den Gaunern Foto macht, und die Leute dann wieder freilässt. Ja und dann wieder von vorne anfängt sie zu suchen … Das hat nicht nur der Tomi nicht verstanden, auch die Tante Berta nicht - und ich auch nicht.

      Ich darf bis morgen bei Oma und Opa bleiben, weil der Papa und die Mama ins Theater gehen. Der Pauli schläft eine Nacht bei seinem Freund Peter. Ach ja, in unserer Schneckerl Gruppe haben wir zwei Buben, die Peter heißen. Der eine ist der blonde Peter und andere der Schwarze Peter. Ja und Schwarzerpeterspielen tu ich manchmal daheim auch. Nur der Pauli wird immer gleich so wütend, wenn er den Schwarzen Peter als Letzter von uns in die Hand bekommt.

      Aber jetzt muss ich gehen, weil sonst muss mich die Oma abholen, obwohl sie leise zum Opa einmal gesagt hat – da geh ich um alles in der Welt nicht rauf. Ich schon.

      Pfiat di i Oma Schani, morgn kimm i wieda “.

      Mit dieser lieblichen Androhung verließ sie, nach dem ich ihr die Wohnungstüre geöffnet hatte, ohne sich umzudrehen meine Wohnung.

      Einen Tag später!

      Es war gegen halb drei Uhr am Nachmittag. Es pumperte jemand so laut gegen meine Wohnungstür, dass ich als leicht Hörbehinderte es auf jeden Fall mitkriegen musste. Eine leise Vorahnung hatte ich schon, wer das sein könnte. Sicherlich die Bernie. Gestern schon hatte sie mir ihren heutigen Besuch angekündigt. Ich öffnete einen schmalen Spalt von meiner Wohnungstür. Tatsächlich, es war Bernie!

      Gestern war sie mit einem blauen Freizeitanzug bekleidet. Na ja, auch hübsch, könnte man behaupten wollen. Aber heute war sie fesch. Einfach fesch. Sie trug ein zart mit Blumen gemustertes helles Kleid mit einem nur angedeuteten, aber gebundenen Brustteiler und dazu leider unpassende klobige Hauspatschen. Diese unförmigen Beschützer ihrer sehr kleinen Füße wurden von ihrer Großmutter gemacht, sagte Bernie einmal zu mir voll Stolz.

      Bernies halblange mittelbraune Haare wurden wahrscheinlich von ihrer Mama kunstgerecht mit zwei Zöpfchen, die mit jeweils einer kleinen roten Masche geschmückt gewesen sind, kindgerecht drapiert. In ihrer linken Hand hielt sie Anton. Den kannte ich auch schon eine Zeitlang.

      Du musst nämlich wissen, Anton ist so eine zerlumpte Stoffpuppe, eine typische Fetzenpuppe halt, mit frisierunfähigen, langfransigen, grellroten und querstehenden struppigen Wollhaaren. Die passten überhaupt nicht zu einem Anton. Eher schon zu einem – wie heißt er gleich – egal. Nein, das ist nicht egal glaube ich. Allerdings fällt mir grade der Name von der quirligen Geisterpuppe nicht ein. Du kennst diese Figur bestimmt, wo auch der der Meister Eder ...

      Anton hat auch zwei aufgemalte, gleichermaßen freche wie lustige Augen und drunter einen gezeichneten Strichmund. Nicht einmal eine Nase hatte der Anton mehr, die man ihm hätte putzen können. Na ja, wenn er, wie schon so oft, einen Niesanfall bekommt, den er zwar nur über ihre Besitzerin anzudeuten vermochte.

      Auch die Hände und Füße von Anton waren eine schlapprige Angelegenheit. Sie konnten in alle Richtungen bewegt werden. Nicht so wie der Bauch und der Kopf. Die waren offenbar kerniger ausgestopft. Und die hellbraunen Stoffüberzüge derselben waren schon so stark abgegriffen, dass ihre darunter versteckten Innereien zum Durchschimmern angehalten waren. Aber sieh Dir doch das an: Das Hemd von Anton wurde offenbar aus demselben Stoff geschneidert, wie das Kleid von Bernie! Nur die halblange Hose war hochmodern. Die war nämlich löchrig und mit Kaukauflecken übersäht.

      Schlagfertig war Bernie immer schon gewesen. Und sie weiß ganz genau, was sie will. Sie weiß freilich auch, dass es bei mir hier oben immer einen Marmorkuchen gibt. Fast immer, das würde der Wahrheit entsprechen. Leider kann sie draußen an der Türglocke noch nicht läuten, weil sie mit ihren kurzen Händen, ihren kleinen Fingern und trotz ihrer klobigen Hauspatschen den Druckknopf der Glocke noch nicht ganz erreichen kann. Es fehlen ihr gut und gerne noch knappe zwei Zentimeter. Nächstes Jahr wird’s dann schon gehen. Deswegen muss sie halt noch immer an meine Wohnungstür pumpern.

      Na ja, ich habe sie ja schon erwartet. Gestern hatte sie mir jede Menge über ihren Kindergarten erzählt. Heute wird sie höchstwahrscheinlich mich mit ihrer ausgeprägten Vorwitzigkeit unterhalten wollen, dachte ich mir und war daher auf jede Überraschung vorbereitet. Umgekehrt war ich ja neugierig, mit welchen der Fantasie zugeordneten, abenteuerlichen Gschichterln ihr Kindermund mich gleich einmal überraschen werden wird.

      In der Küche, auf der Eckbank, hatte sie ihren Stammplatz. Um die Ebene des Küchentisches für Bernie problemlos erreichbar machen zu können, musste ich erst einige Polster zurecht und aufeinanderlegen, auf die sie sich dann draufsetzen konnte. Die Gefahr bestand ja nur beim Kaukau. Da kann es sehr leicht passieren, dass der abgebogene Plastikstrohhalm, der für sie als Trinkhilfe an sich praktisch sein kann, dann aber doch für Überschwemmungen am Tisch die Verantwortung trägt. Kaukauflecken, vor allem auf ihrem Kleidchen, sind dann schon weniger erfreulich. Solche sollten jedenfalls für ihre Mama unsichtbar bleiben. Beim Anton ist es so und so wurscht. Der hatte ja schon lebenslang auf seiner Hose jede Menge Kaukauflecken angesammelt.

      Um Dir wieder einen fast lückenlosen Bericht über Bernies Erzählfreude machen zu können, habe ich vorgesorgt. Noch gestern am späten Abend habe ich die Stromversorgung bei meinem Smartphone auf einhundert Prozent hinaufgetrieben. Jetzt am Nachmittag liegt der Ladezustand immerhin noch bei dem ansehnlichen Wert von knapp über neunzig. Das dürfte für einen halbstündigen, ohne Unterbrechung geführten Monolog, von Bernie ausreichend sein.

      „Weißt du Oma Schani, ich bin immer dann ganz brav, wenn ich bei dir bin oder beim MAXI Markt. Im Kindergarten auch, aber nur manchmal. Im MAXI Markt überhaupt, wenn die unruhige Zeit hereinzubrechen droht.

      Oma Schani das ist gewaltig. Dann kommen nämlich aus den versteckten Lautsprechern dort oben Werbedurchsagen über die gestrigen Krapfen heraus. Dieses Getue mit Vanillesoße vermischt sich dann mit der weniger heiligen Musik. Alles zusammengerechnet muss einen Schall erzeugen, der meiner Mama ordentlich am Nerv zwickt. Das sagt sie es jedenfalls. Mir ist das wurscht. Ich esse eh keine Krapfen. Einmal schon. Aber da spritzte schon beim Hineinbeißen die Marmelade heraus und der Mama direkt in Gesicht. Seither esse ich keine MAXI Markt Krapfen mehr.

      Nein danke, Wurscht mag ich heute keine nicht. Aber wenn du vielleicht … genau jaaa jaaa das bitte, wenn du noch ein kleines Stück vom Marmorkuchen von gestern für mich übrig hast … das ist super Oma Schani … Nein, danke, Kaukau soll ich heute keinen mehr trinken bei dir, hat die Mama am Telefon gesagt … ich war gestern am Abend noch vertropft … Aber Milch mit ein bisschen Ovomaltine oder wie das heißt, wäre auch gut. Es schaut zwar aus wie Kaukau, ist aber keiner und die Mama kennt sich eh nicht aus.

      Weißt du, wegen der Musik beim MAXI Markt stöpselt sich der Papa immer seine Ohren mit einem Taschentuch