„Nanu, das sind ja ganz neue Töne. Die hätte ich mir bei der letzten Prüfung durch die Steuerfahndung gewünscht!“
„Nun mal halblang“, mischte sich jetzt Roy ein. „Die Steuerfahndung war das letzte Mal vor drei Jahren bei Ihnen. Da können Sie sich eigentlich nicht beschweren.“
Vic Noureddine verzog das Gesicht.
Er nahm mich zur Seite.
„Ich habe das Gefühl, dass Ihr Kollege mich nicht leiden kann, Kommissar Jörgensen“, meinte er.
„Sie wissen genau wer Blitz ist“, erwiderte ich eisig. „Sie brauchen mir gegenüber keine Komödie zu spielen. Blitz ist einer der effizientesten Lohnkiller, der jemals in diesem schmutzigen Gewerbe gearbeitet hat. Alle Welt dachte, dass er irgendwo unter südlicher Sonne seine Millionen genießt, aber jetzt gibt es Hinweise darauf, dass er pleite ist und wieder seinen Job macht...“
„Ich wüsste nicht, weshalb mich Ihre Geschichten über irgendwelche Kriminellen, denen Sie offenbar nicht das Handwerk legen konnten, interessieren sollten!“, sagte Vic Noureddine und verzog dabei angewidert das Gesicht.
„Sie sind das Ziel, Herr Noureddine. Jemand hat diesen Lohnkiller beauftragt, um Sie zu töten und am besten überlegen Sie mal, wer das sein könnte!“
Vic wechselte einen kurzen Blick mit seinem Neffen. Er hatte für einen kurzen Moment seine Mimik nicht ganz unter Kontrolle, dann erstarrte sein Gesicht wieder zu einer kalten Maske.
„Ich weiß nicht, weshalb Sie mich mit diesem Zeug belästigen, Kommissar Jörgensen, aber ich kann Ihnen sagen, dass es juristische Konsequenzen für Sie haben wird, wenn Sie irgendein mieses Spiel mit mir zu spielen versuchen.“
„Eigenartig“, sagte ich. „Es scheint Sie gar nicht zu interessieren, aus welcher Quelle wir diese Informationen haben.“
„Was soll das schon für eine Quelle sein? Irgendein schmieriger Informant, der sich wichtig machen will, das ist alles!“
„Sie sind nahe dran, Herr Noureddine. Aber dieser Informant heißt Harry Käding und wurde nur Minuten, nachdem wir mit ihm gesprochen haben, ermordet. Das ist auch ein Grund, weshalb wir Sie befragen.“
„Sie werden vielleicht bemerkt haben, dass mein Anwesen sicherheitstechnisch auf dem neuesten Stand ist und sich ein paar gut ausgerüstete Bodyguards darum kümmern, dass mir nichts passiert“, sagte der Pate von St. Pauli schließlich gedehnt.
Warum weicht er aus?, fragte ich mich. Es konnte eigentlich nur eine Erklärung für sein Verhalten geben. Vic Noureddine wusste sehr genau, wer ihm ans Leder wollte. Ich hielt es sogar für möglich, dass Käding seine Informationen nicht nur an uns, sondern auch noch an Noureddine verkauft hatte.
„Haben Sie Harry Käding persönlich gekannt?“, fragte ich.
„Ich weiß nur, dass er ein Buchmacher war, der so ziemlich bei jedem Schulden hat, der in St. Pauli mehr als zwei Dollar in der Tasche hat.“ Vic machte eine wegwerfende Handbewegung. „Ist wahrscheinlich besser, ich sage jetzt nichts mehr, sonst drehen Sie mir daraus am Ende noch irgendeinen Strick. Geben Sie es doch zu, Sie wollen mich in irgendeinen wie auch immer gearteten Zusammenhang mit dem Tod dieses Mannes bringen. Wir können das Gespräch gerne ein anderes Mal in Anwesenheit eines Anwaltes fortsetzen – oder Sie haben einen Haftbefehl dabei und nehmen mich fest. Ansonsten wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie mein Haus möglichst schnell wieder verlassen würden!“
Vic Noureddine drehte sich um.
Die Blondine namens Kimberley folgte ihm. Beide verschwanden durch eine der Türen, die von der pompösen pseudo-klassisch gestalteten Eingangshalle aus in die anderen Gebäudetrakte führten.
Schwer fiel die Tür ins Schloss.
„Ich muss mich für meinen Onkel entschuldigen“, sagte Maik Noureddine. „Wir werden Sie natürlich in jeder Form unterstützen, nur fürchte ich, dass mein Onkel in der Sache vollkommen Recht hat....“
„Dann wollen auch Sie allen ernstes behaupten, dass Vic Noureddine, der Mann, den man den Paten von St. Pauli nennt, keine Feinde hat?“, fragte Roy ironisch.
12
Wir verließen die Noureddine-Villa und fuhren mit dem Sportwagen nordwärts. Es war inzwischen bereits halb zwei Uhr in der Nacht. Die Silhouette der Stadt glich um diese Zeit einem funkelnden Sternenmeer, als wir über eine Brücke Richtung Hafen City fuhren.
Wenn man um diese Zeit im Großraum Hamburg unterwegs war, hatte das den Vorteil, dass man wenigstens nicht dauernd im Stau stand und einigermaßen schnell vorankam.
Zwischendurch nahmen wir telefonisch Kontakt mit dem Polizeipräsidium auf. Da wir die Freisprechanlage eingeschaltet hatten, konnten wir beide mithören.
Kriminaldirektor Hoch war noch immer im Büro.
Wir lieferten ihm einen knappen Bericht über den Verlauf unseres Gesprächs in der Noureddine-Villa.
Unterwegs gingen wir noch in eine rund um die Uhr geöffnete Snack Bar, um einen Hot Dog zu essen.
„Auf die paar Stunden Schlaf kommt es jetzt auch nicht mehr an“, meinte Roy während wir in der Snack Bar saßen.
„Wir werden Käding und sein Umfeld ganz genau ausleuchten müssen“, meinte ich. „Ich frage mich nur, wer seine Quelle war, was diesen Lohnkiller namens Blitz angeht.“ Das Ganze erschien mir im nach hinein immer dubioser.
„Worauf willst du hinaus, Uwe?“
„Es fällt mir einfach schwer, an Zufälle zu glauben, Roy. Wir finden innerhalb relativ kurzer Zeit mehrere Häuser voller Giftmüll, die einem Mann namens Talani gehören. Endlich gelingt es uns, eine vage Verbindung zu Noureddine und seiner Organisation zu konstruieren, da taucht dieser Käding aus der Versenkung auf und tischt uns die Story über den reaktivierten Blitz auf.“ Ich zuckte die Achseln. „Das hängt alles irgendwie zusammen, aber das entscheidende Teil in diesem Puzzle haben wir einfach nicht gefunden.“
13
Später jagten wir das beschlagnahmte Bildmaterial, das den Mörder von Käding zeigte, durch den Computer. Unser Innendienstkollege Kommissar Max Vandersteen aus der Fahndungsabteilung half uns dabei, denn er war in der Handhabung der Suchsysteme weitaus geübter als wir.
„Der Kerl hat sich regelrecht verkleidet, damit ihn später niemand identifizieren kann“, war für Max der Fall sofort klar. „Aber ein telemetrischer Abgleich lässt sich durch einen Schnauzbart nicht betrügen. Das Problem ist nur, dass die Zahl der telemetrischen Merkmale, die standardmäßig von dem Programm verglichen werden, sich durch die Maskierung verringert hat. Der exakte Abstand der Augen zueinander, der Abstand zwischen Lippen und Nase und noch ein paar andere Merkmale können wir anhand dieser Bilder nicht vergleichen. Zehn bis zwölf dieser Merkmale sind notwendig, um einen Menschen eindeutig zu identifizieren.“
„Versuch es einfach, Max!“, forderte Roy.
Und ich ergänzte: „Was wir brauchen ist auch nicht unbedingt eine gerichtsverwertbare Identifizierung. Es reicht uns schon Hinweis, wo wir nach dem Kerl suchen könnten.“
Max kopierte aus dem aufgezeichneten Videomaterial ein Standbild heraus, von dem er glaubte, dass es sich besonders gut zur telemetrischen Vermessung eignete. Natürlich blieben im Wesentlichen die Merkmale des Kinnbereichs übrig. Selbstverständlich war auch ein Abgleich von Körpermerkmalen möglich, etwa das Verhältnis der Größe zur Schulterbreite, die Länge von Armen und Beinen, das Verhältnis des Unterarms zum Oberarm und so weiter. Das Problem war nur, dass bei einer erkennungsdienstlichen Behandlung in der Regel nur Fotos angefertigt wurden, die Kopf und Oberkörper aus verschiedenen Perspektiven zeigten, sodass Max sich auf die Kinnpartie beschränkte.
Das Programm lief. „Ihr solltet nicht zu sehr enttäuscht