Der Roboter hatte auf Anweisung seiner Schutzbefohlenen den Amboss an Bord gebracht und irgendwo verstaut. Nun patrouillierte er am Saum des Dschungels und hatte schon eine tiefe Spur in den Sand getreten. Käme die Flut bis hierhin, würde sie für kurze Zeit einen Wassergraben füllen, der einen halben Meter breit und zweihundert Meter lang war. Die Rigelianerin wollte ihm schon etwas zurufen, als er am Ende seines Wachgangs zwei Meter zurücktrat und am Rande seines von ihm geschaffenen Grabens eine neue Spur begann.
Laurent Girard hatte schon nach einer Viertelstunde seine Teilnahme an der Untersuchung der Schmiede beendet, sich – weit von ihnen entfernt – ausgezogen und in das sehr flache Wasser der Bucht gelegt. Nach einem kurzen bewundernden und auch ein wenig neidischen Blick Nayas, den er natürlich nicht mitbekommen hatte, war er aufgestanden und tiefer ins Wasser geschritten. Sein Kopf und ab und an seine Arme waren alles, was Naya von ihrer Position aus von ihm zu sehen bekam.
Na, wenigstens er macht etwas Vernünftiges, dachte sie gerade, als Bérénice sich bückte und einen kleinen Erzbrocken aufhob.
»Hast du etwas gefunden?«, fragte Naya eher aus Langeweile, denn aus echtem Interesse. Was sollte hier schon zu finden sein?
»Ein Stück Erz … recht schwer, wie ich finde.« Naya sah, wie Bérénice das Stück in den Händen hielt und nach allen Seiten drehte. »Hat ein wenig Ähnlichkeit mit dem Zeug von Violetta III. Ich sollte es mitneh…«
Sie wurde durch ein Rauschen unterbrochen, das wie eine Springflut klang und auch aus Richtung Meer zu ihnen brandete. Gleichzeitig zitterte der Strand unter mächtigen Sprüngen, die rasch näher kamen. Nayas Kopf ruckte herum und sie sah den BEHEMOTH mit immer schnelleren Sätzen auf sie zu rennen.
»Bitte begeben Sie sich sofort an Bord des Schiffes, Trooper!«, dröhnte seine Stimme über den Strand. So laut, dass sie auch bis zu dem Mann im Wasser reichen musste.
Die beiden Frauen reagierten sofort. Naya sprang in den weichen Sand, rollte sich ab und hatte ihren Pulser schon schussbereit, als Bérénice aus dem Kreis kam und an ihr vorbeihastete. »Komm schon, Süße! Die Flutwelle kommt von dort. Wenn du nicht nass werden willst, dann beeil …«
Wieder beendete sie ihren Satz nicht. Denn jetzt hatte sie gesehen, dass die von ihr vermutete Flutwelle kein einfaches Naturereignis war, sondern von etwas anderem ausgelöst wurde.
Von etwas weitaus Größerem.
Etwa fünfhundert Meter von der Stelle entfernt, an der Laurent Girard gerade begann, in rekordverdächtiger Eile zu kraulen, erhob sich ein Berg aus Wasser. Doch das Seltsame an der Erscheinung war, dass sie punktuell auftrat.
»Ein Untersee-Vulkan?«, schrie Naya, die hinter Bérénice über den Sand flog, als wäre der Teufel selbst hinter ihr her.
»Nein«, rief die zurück. »Sieht eher wie eine riesige Gasblase aus.«
Der Kampfroboter hatte sie längst überholt und sie sahen, wie er weiter Richtung Strand rannte. Offensichtlich wollte er Laurent Girard beistehen, der der unbekannten Gefahr am nächsten war. Bérénice und Naya wären beinahe übereinander gestolpert, als die Stimme des Roboters eine andere Ursache verkündete.
»Die Messwerte lassen nur eine Ursache der Erscheinung als akzeptabel zu: Es ist ein Raumschiff.«
Die Trooperinnen waren nur noch wenige Meter von der Eingangsschleuse ihres Schiffes entfernt, als die Wassermassen das Raumschiff freigaben und den Frauen hastige Blicke darauf gestatteten.
»Ein Mazzarschiff«, rief Bérénice und sprang die kleine Rampe der MATA HARI hinauf.
Naya folgte ihr dichtauf. »Wenn sie uns gesehen haben, werden sie das Feuer auf uns eröffnen. Wir haben ihr Schiff geklaut.«
»Bozadd«, drückte Bérénice ihre Hoffnung in einem Wort aus und öffnete die Innenschleuse. Binnen weniger Sekunden waren sie in der kleinen Zentrale und hörten die aufgeregte Stimme des Mazzars klacken. Der Translator übersetzte prompt:
»… an Nest-Schiff. Bozadd an Nest-Schiff. Bitte eröffnen Sie nicht das Feuer auf uns. Die Menschen, die Sie womöglich gesehen haben, sind Teil meiner Besatzung. Der Krieg mit der Menschheit ist beendet. Ich wiederhole: Der Krieg mit der Menschheit ist beendet!«
Die beiden Trooperinnen warfen sich in ihre Sitze, taten aber nichts, was von der Besatzung des anderen Schiffes als feindliche Aktion missverstanden werden könnte. Weder errichteten sie den Tarnschirm, noch machten sie ihre Waffen schussbereit. Auch ihr mazzarisches Besatzungsmitglied wagten sie nicht zu stören. Bozadd tat ohnehin schon das einzig Vernünftige. Sie lagen völlig wehrlos vor den Mündungen des deutlich größeren Raumschiffes.
Bérénice sah auf dem Frontschirm gerade Laurent Girard aus dem Wasser springen, den Roboter wie einen Schutzschild zwischen sich und dem ruhig in der Luft schwebenden Mazzar-Raumer. Auch die Nacktheit des Mannes und die erstaunliche Inaktivität des Kampfroboters schienen die Besatzung des anderen Schiffes davon abzuhalten, sie nicht sofort unter Beschuss zu nehmen. Trotzdem fuhr Bozadd in seinen Bemühungen fort.
»Bozadd an Nest-Schiff«, wiederholte ihr amphibischer Freund seine Durchsage. »Bitte eröffnen Sie nicht das …«
»Tocaff an Bozadd«, dröhnte eine überlaute Stimme aus dem Audiosystem des Scoutschiffes. Die Automatik regulierte ein wenig verzögert die Lautstärke auf ein erträgliches Maß herab. Die Stimme blieb trotz der Übersetzung immer noch eindrucksvoll. »Aktivieren Sie Ihre Vid-Übertragung … nein, warten Sie! Verlassen Sie das Schiff! Ich will sehen, ob Sie wirklich ein Mazzar sind.«
»Es könnte eine Falle sein«, gab Naya rasch ihrer Befürchtung Ausdruck. »Vielleicht wollen sie nur ihren Artgenossen in Sicherheit wissen und vernichten uns dann.«
»Nein«, widersprach Bozadd und wuchtete sich aus dem Pilotensitz. »So sind wir Mazzar nicht. Vergessen Sie bitte nicht, dass ein Individuum bei uns noch keinen großen Stellenwert besitzt. Dieser Tocaff will wirklich nur wissen, ob er angelogen wird. Ich gehe hinaus … und Sie lassen bitte die Finger von allen Schaltungen, die er als Aggression auffassen könnte.«
»Selbstverständlich, mein Freund«, antwortete Bérénice. »Aber ich muss mit hinaus. Allein schon wegen Freitag. Ich bin wirklich überrascht, dass er nicht einfach aus allen Rohren geschossen hat.«
Bozadd nickte nur und ging voraus.
Kurz darauf bot sich ein Anblick, der von einem kleinen und gut getarnten terranischen Schiff im stationären Orbit Sambolls mit höchstem Interesse verfolgt wurde.
»Der BEHEMOTH hat nicht das Feuer eröffnet.«
Mister Greens Verwunderung hing ein Ton nach, der seine Kollegin Miss Silver veranlasste, die eingehenden Daten noch einmal zu überfliegen.
»Wahrscheinlich hat er entsprechende Anweisungen von Savoy erhalten, Sir. So wie die Messwerte aussehen, hat dieses Schiff aus dem Meer keinen Schutzschild aktiviert. Der BEHEMOTH könnte also das Ding locker in seine Einzelbestandteile zerlegen.«
»Meinen Sie? Das Schiff ist etwa zehnmal so groß wie das Scoutschiff der Trooperin. Entsprechend stärker dürfte seine Panzerung sein. Ich schätze die Besatzung auf 50 bis 80 Mazzar.«
»Mit Verlaub, Sir: Das ist reine Spekulation. Wir wissen nichts vom Mannschaftsbedarf eines Mazzar-Raumschiffes, von diesem Scout-Modell einmal abgesehen. Außerdem kennen wir sicher längst nicht alle ihre Schiffstypen. Die, die wir in den vergangenen Jahrzehnten des Krieges gesehen haben, waren entweder intakt und ballerten auf uns, also für uns nicht zugänglich. Oder so zerstört, dass man nur vage Rückschlüsse aus den Trümmern ziehen konnte.«
Green wusste dies alles, zuckte aber mit den Schultern und wandte sich an den Analytiker seines Teams. »Mister Blue. Bitte schicken Sie ein paar Tratschweiber hinunter. Ich denke, drei sollten genügen.«
»Aye, Sir«, bestätigte Agent Blue den Befehl und nahm eine Handvoll rascher Schaltungen