»Ich dachte, ich bringe diesem Lager den Frieden. Für beide Seiten. Stattdessen habe ich nur Leid und Tod verbreitet.«
»Sie haben es versucht.«
»Und versagt! Vielleicht hätten wir doch einen anderen Weg gefunden, das Lager aufzulösen … Menschen und Sambolli vom Ende des Krieges überzeugen zu können. Die Zahl meiner Freunde nimmt in erschreckendem Tempo ab.«
Bozadd ließ seine Zunge mehrmals von links nach rechts über die wulstigen Lippen gleiten, der mazzarischen Gebärde für Unsicherheit. Bérénice kannte die Geste mittlerweile. Aber jetzt schien sie in einem anderen Kontext zu stehen. Sie interpretierte sie nun als einen Ausdruck von Trauer. Bevor sie etwas Entsprechendes äußern konnte, fuhr sich Bozadd mit einer Klaue über die geschlossenen Augen. Als er sie wieder offen hatte, sah er das Unverständnis in ihrem Gesicht.
»Es ist erstaunlich, wie schnell wir voneinander lernen, trotz solcher Vorkommnisse. Noch vor wenigen Ihrer Monate wäre mir der Verlust einer Gefährtin nicht so nahe gegangen. Siyoss war zwar nicht meine Nestpartnerin, sondern Gesinnungsgenossin, eben eine Pazifistin. Der Verlust eines oder mehrerer Mitglieder unserer Rasse hat uns über Jahrhunderte wenig gekümmert … wir waren und sind einfach immer noch zu zahlreich.« Er blinzelte sie seltsam an und bewegte sich so, als würde er sich von einer Last befreien. »Ihr Menschen seht ein Individuum viel wertvoller an als wir Mazzar. Und dass Sie so um Siyoss trauern, lässt in mir die Hoffnung keimen, dass Sie irgendwann wirklich den Frieden erringen werden, den wir alle ersehnen, Menschenfrau.« Dann wandte er sich ab und begann zur Sonne gerichtet den summenden Trauergesang, den Bérénice schon einmal auf L28 vernommen hatte.
Flashback Zwei
In Bérénice klang immer noch das Klagelied Bozadds nach, als sie inmitten des Gefangenenlagers stand und die Sonne Sambolls fast den Scheitelpunkt erreicht hatte. Die befreiten Trooper, Naya und sie waren in Reih und Glied angetreten und Girard hatte als Ranghöchster die Aufgabe übernommen, eine Rede für ihre Kameraden zu halten. Obwohl sie zerlumpt waren und die Umgebung nichts mit einer anderen Feier zu tun hatte, schob sich diese in Bérénices Vorstellung hartnäckig vor die Pflanzen des Dschungels und die Reste des 45. Spacetrooper-Bataillons …
Major Tyler Palmwood schritt die Reihe der Anwärter ab und blieb bei jedem Einzelnen einen Moment stehen. Sein prüfender Blick glitt wie ein Scanner über die weißen Uniformen der Männer und Frauen und fand jedes kleinste Stäubchen. Als er zu Bérénice Savoy gelangte, verharrte er ein paar Sekunden länger. Aber niemandem schien es aufzufallen. Nur das Blitzen in seinen Augen verriet, dass er auf diese Bewerberin besonders stolz war. Dann schritt er den Rest der Linie ab und beendete seine formelle Inspektion.
Mit militärischer Akkuratesse ging er auf ein Podest zu und verharrte für kurze Zeit, als er es erreicht hatte. Sol stand genau am Mittagspunkt und ließ die Uniformen strahlen, als wären sie selbst Leuchtkörper.
»Anwärter!«, rief er laut und 148 Schuhsohlen klackten perfekt zur Antwort. »Wir haben uns heute hier versammelt, um Ihren Übertritt in den Terranischen Geheimdienst zu vollziehen.«
Er warf einen Blick neben sich und nickte den Vertretern des Korps zu, welche die einzigen Gäste waren. Weder die bisherigen Vorgesetzten, noch Freunde oder Verwandte waren zu solchen Veranstaltungen zugelassen, geschweige denn, wussten vom Schicksal der Betroffenen. Für sie galt nur, dass ihr Sohn oder ihre Tochter in eine andere Einheit, die nicht näher beschrieben wurde, versetzt worden war. Auch der Ort dieser Zeremonie lag abgeschirmt von der Öffentlichkeit, sogar weitab der Kasernen und Militärakademien.
»Wie Sie unschwer erkennen können, ist dies eine Feier ohne großes Publikum. In Ihrer Ausbildung haben Sie als allererste Regel gelernt, was geheim bedeutet: Einsamkeit … Verzicht … harter Dienst … und unbedingter Wille, die Mission zu erfüllen!«
Palmwood atmete tief ein und zeigte mit einem Finger nach oben.
»So hell wie unsere Heimatsonne heute auf Sie scheint, so hell und strahlend werden Sie vermutlich nie wieder im Licht unserer Gesellschaft stehen. Mit großer Wahrscheinlichkeit liegen dunkle Jahre vor Ihnen. Jahre im All, Jahre auf finsteren Planeten und Monden, in Städten unserer Feinde oder im Dunkel des Untergrundes …«
Wieder fiel sein Blick wie zufällig auf Bérénice.
»Es mag Menschen geben, die unter solchen Bedingungen scheitern würden. Sie nicht! Wir haben jeden Einzelnen von Ihnen auch deswegen ausgewählt, weil Sie mental stabil sind und nicht der Gefahr unterliegen, depressiv werden zu können oder an der Finsternis Ihrer Aufgaben zu zerbrechen. Und doch kann auch ein Agent des Terranischen Geheimdienstes wanken. Sie sind gut, viele verdammt gut, wenige außergewöhnlich. Dennoch muss Ihnen klar sein, dass Sie nicht unsterblich sind. Vielleicht haben sich einige von Ihnen schon gefragt, warum Ihre Decknamen so einfach sind … und einmalig. Wieso ist es möglich, dass Orange, Grey, Pink und andere Farben verfügbar sind?« Er ließ die Frage ein paar Sekunden wie ein schwebendes Menetekel in der Luft hängen. Dann fuhr er fort. »Weil die vorherigen Träger gestorben sind oder ihren Dienst beendet haben.«
Er lächelte und hatte dabei einen diebischen Ausdruck im Gesicht.
»Jetzt werden Sie sicher darüber nachdenken, wie viele Codenamen durch Farben möglich sind? Wir pflegen auf Terra immer noch über 200 Sprachen und Dialekte. Also gibt es Rot, Red, Rouge und so weiter. Dabei rede ich hier nicht von Himbeerrot oder Veilchenblau. Solch blumige Namen sind nicht Sinn und Zweck knapper Codes.«
Ein paar der Anwärter lachten und Palmwood gestattete den Heiterkeitsausbruch, nur um sofort wieder ernst zu werden.
»Ich kenne Ihre neuen Namen noch nicht und Sie kennen mich nur als Major Tyler Palmwood. Viele von Ihnen haben meine Vorlesungen an der Militärakademie besucht. Mein Spezialgebiet sind Extraterrestrier … und die Suche nach Kandidaten für das Korps! Ich bin das Bindeglied zwischen Militär und Geheimdienst. Für einige von Ihnen habe ich Vorschläge zu Ihren Codenamen … und Ihrer ersten Verwendung eingereicht. Sie werden am Ende dieser Feier einen versiegelten Umschlag erhalten, in dem Sie Ihre Codebezeichnung finden. Es steht außer Frage, dass Sie in der Lage sind, sich diesen merken zu können …«
Wieder lachten einige der Anwärter.
»Nach ein paar Sekunden wird der Umschlag zu Staub zerfallen und verschwinden … wie Sie. Unmittelbar nach der Party, die Sie noch genießen dürfen, werden Sie Ihren Einsatzbefehl erhalten und unverzüglich antreten … Agents! Ich wünsche Ihnen eine fröhliche Feier, stets Erfolg … und ein langes Leben!«
»Ein langes Leben!«, hallte es von den 74 Männern und Frauen zurück.
Als dann die Musik einsetzte und Robot-Stewards die Hauben des Buffets hoben, war es Bérénice, die wie zufällig an Palmwood herantrat.
»Sir, welchen Namen haben Sie für mich vorgeschlagen? Und: Wurde er angenommen?«
»Würden Sie es lustig finden, Ihnen einen anderen als Black zu verleihen?«
»Nein, Sir. Ich habe vor, diesen Namen sehr lange zu tragen«, entgegnete sie sehr leise und lächelte. »Damit ich diese Farbe trotzdem nicht blockiere, schlage ich vor, Sie ergänzen ihn um ein paar Buchstaben.« Dabei nahm sie einen Löffel und schaufelte sich ein paar Kugeln Eis auf ihren Teller.
»Warum nicht, Savoy. Für mich waren Sie schon immer Black Ice.«
Dann gaben sie sich den vorzüglichen Speisen und Getränken und der Musik hin. Das letzte Lied der Feier hatte einen bewusst friedlichen Ausdruck. Bérénice und Palmwood tanzten sogar einmal miteinander, verloren sich dann aber aus den Augen.
Bérénice summte die Melodie und nahm nur unbewusst wahr, dass sich Girard zu ihr setzte. »Was ist das für ein Lied, Madame?«
»Ein altes Lied von der Erde, Monsieur … Ich habe es nur ein einziges Mal gehört. Aber es hat sich mir so eingeprägt, dass ich es wohl nie vergessen