»Richtig, also lass uns möglichst schnell diesen weithin sichtbaren Bergrücken verlassen!«
Sie wandern mit beschleunigtem Schritt weiter und beobachten die Berghänge und den Himmel. Von Zeit zu Zeit müssen sie einige Vögel und Kaninchen verzaubern.
Am Spätnachmittag verlassen sie den Weg auf dem Bergrücken, um einem abzweigenden Pfad den Hang abwärts zu folgen. Die ersten Umzäunungen sind zu sehen, die aber nicht genutzt werden. Bisher vereinzelt stehende Sträucher werden immer häufiger, so dass sie manchmal kleine Gebüsche bilden. Jetzt müssen sie den Zauber immer öfter anwenden. Viele Dohlen und kleine Vogelschwärme suchen dort Unterschlupf.
Die ersten Bäume werden passiert, als die Dämmerung bereits einsetzt. Lautes Blöken einiger Schafe lässt sie erneut den Zauber sprechen. Noch immer ist kein Mensch in Sicht.
Halt, da vorne ist eine alte Hütte. Hat sich dort nicht gerade etwas bewegt? Vorsichtig um sich spähend, gehen sie langsam weiter. Die alte Hütte entpuppt sich als Stall, der aus grauen Steinen errichtet worden ist. Das pultförmige Dach ist mit der niedrigen Seite zum Berghang ausgerichtet. Es besteht aus alten, dünnen Steinplatten, die auf Knüppelholz gelegt wurden. Jetzt erkennen sie auch, woher die Bewegung kam. Ein alter Tuchfetzen hat sich an einem der knorrigen Knüppel verfangen und flattert etwas, sobald eine Windböe ihn erreicht. Beide atmen auf, sie hatten jetzt mit einem Menschen gerechnet.
Der Stall wird untersucht. Innen scheint er trocken zu sein. Etwas Heu finden sie auch, so dass sie beschließen, die Nacht über hier zu bleiben.
Eila spricht erneut ihre Schutzzauber, dann essen sie etwas und fallen beide in traumlosen Schlaf. Albin schläft auch. Er hat sich neben Eila ausgestreckt, den Kopf in Richtung des Eingangs. Hin und wieder zuckt eines seiner Ohren im Schlaf.
Am Morgen erwachen beide durch ein leises Knurren des Hundes. Er steht am Eingang des Stalls und schaut nach draußen. Beide Ohren sind aufgerichtet, seine Rute hängt aber entspannt nach unten. Sein Fell ist auch nicht gesträubt, also droht keine direkte Gefahr.
Trotzdem stehen die jungen Zauberer sofort bei ihm und lugen vorsichtig nach draußen. Erleichtert bemerken sie lediglich fünf Schafe, die sich grasend ihrem Unterschlupf nähern.
In diesem Moment denkt Eila an Erdmuthes Ziegen, die durch ihre Ausbilderin plötzlich in todbringende Kämpfer verwandelt werden können. Sollten die so harmlos erscheinenden Schafe ebenfalls verzaubert werden können, so dass sie doch gefährlich sind?
»Anghofio totalus«, murmelt Eila, ihre Hände versteckt auf die Schafe gerichtet. Falls ein Zauberer in geistigem Kontakt zu den Tieren steht, soll er nicht bemerken, dass sie gerade einen Zauber wirkt. »Vielleicht erreicht der Zauber über den geistigen Kontakt auch den Zauberer?«, hofft das Mädchen heimlich, obwohl das vermutlich unwahrscheinlich ist.
Nach einem hastigen Frühstück brechen sie wieder auf. Sie wollen möglichst schnell die erste Wegkreuzung erreichen.
Das karge Gras der Weiden wird bereits leicht bräunlich. Dieses Jahr hat es wenig Regen gegeben. Auch jetzt scheint die Sonne wieder. Einige Wiesenblumen färben die sonst eintönige Fläche etwas bunt. Ab und zu sind violett blühende Heidebüsche dazwischen. Hier gibt es aber wohl nicht so viele davon, wie im Norden. Eila denkt etwas wehmütig an die Gegend, in der ihr Großvater wohnt.
»Hoffentlich geht es Brian gut!« Sie macht sich leichte Vorwürfe, dass sie ihn wohl für längere Zeit nicht sehen wird.
»Du musst dich um deine Zaubererausbildung kümmern. Der Einfluss der bösen Zauberer wird immer größer. Es gibt vermehrt seltsame Unglücksfälle, für die unsere Behörden keine Erklärungen finden. Für mich ist aber klar, dass das die Dubharan sind. Ich bin überzeugt, dass du dich nur schützen kannst, wenn du schnell mit der Entwicklung deiner Fähigkeiten vorankommst. Sobald du den magischen Sprung anwenden darfst, kannst du mich kurz besuchen. Aber erst dann!«, hatte er an einem ihrer letzten gemeinsamen Abende von ihr gefordert. Das hat sie sich fest vorgenommen, aber es wird erst in etwa zwölf Wochen soweit sein. Sie seufzt und konzentriert sich wieder darauf, die Umgebung nach möglichen Spähern abzusuchen.
Vor ihnen liegt ein Gebüsch, dessen dichtes Laubwerk sie mit Blicken nicht durchdringen können. Einige Felsbrocken sind davor verstreut. Albin läuft etwas voraus. In diesem Augenblick steht er stocksteif und lässt ein tiefes Grollen in seiner Kehle erklingen. Seine Ohren sind nach vorne gerichtet und sein Fell ist gesträubt. Er zieht seine Lefzen hoch. Finley und Eila sind alarmiert und gehen vorsichtig auf das Strauchwerk zu. Das Mädchen schaut sich vorsichtshalber noch einmal um.
Ungläubig sieht sie zwei Wölfe auf dem Weg heran spurten. Nein, es sind sogar vier. Wo kommen die denn her? Hinter ihr erklingt jetzt bedrohliches Knurren, sowohl von Albin, als auch von weiteren Wölfen. Sie werden dort von einem kleinen Rudel aus insgesamt fünf Wölfen angegriffen. Diese halten ihre Köpfe etwas gesenkt und zeigen drohend gefletschte Zähne. Ihr Fell ist gesträubt.
»Bleib hinter mir«, fordert Finley sie auf, der die vier Wölfe in ihrem Rücken noch nicht bemerkt hat. »Albin und ich kümmern uns um diese Viecher.«
Worauf Eila ruhig zurückgibt: »Abgemacht, dann übernehme ich die vier auf meiner Seite.«
Der junge Zauberer wirbelt herum, erschrocken wägt er ab, wo er zuerst eingreifen muss.
»Eila kennt doch nur Defensivzauber, wie können die jetzt helfen?«, überlegt er, während er sich wieder den wesentlich näheren fünf Angreifern zuwendet. Er muss erst hier für Sicherheit sorgen. Die Wölfe auf dieser Seite beginnen sich zu verteilen. Sie wollen ihre Gegner einkreisen.
Jetzt stürzt sich Albin auf einen besonders großen Wolf, vermutlich das Alpha-Tier. Finley schleudert den ersten Blitz, der einen Wolf zu Boden streckt, der sich gerade auf Albin stürzen will. Jetzt trifft ein weiterer Blitz sein Ziel. Die letzten beiden Wölfe werden kurz darauf ebenfalls ausgeschaltet. Nach einem kurzen Moment ist auch das fünfte Tier erledigt. Es war für Albin nicht einfach, aber er hat es ohne das Eingreifen des Zauberers geschafft.
Dieser dreht sich sofort in die andere Richtung, um erstaunt auszurufen: »Wo verstecken sich denn die vier, oder sind sie vor Schreck geflohen?« Jetzt stockt er. Eilas Haare leuchten noch etwas, dann ist nichts mehr davon zu bemerken. Ihr Blick mutet eher traurig als froh an.
»Was ist passiert? Du hast sie mit einem Zauber erledigt, aber wie?«
Eila schluckt, dann erklärt sie: »Auch wenn sie uns angegriffen haben, waren es doch Lebewesen. Ich werde heute Nacht sicher nicht gut träumen. Ich weiß, es musste sein, trotzdem schmerzt es mich. –
Ja, ich habe sie getötet. Mit »Torpor« habe ich sie gelähmt dann hat »Interrumpo« den Erdboden aufgerissen und sie verschluckt. Ich bin wirklich nicht stolz darauf, dass ich diese, von Erdmuthe erlernten Sprüche genutzt habe.«
»Beruhige dich, du hattest keine Wahl. Entweder sie oder wir. Sie hätten uns sicher nicht verschont, sondern zerrissen und getötet. Wir haben das auf jeden Fall schnell erledigt, so dass sie nicht leiden mussten.«
Das Mädchen nickt zwar, trotzdem bleibt sie etwas bedrückt.
»Wir müssen überlegen, was dieser Angriff für uns bedeutet. Sind uns die Dubharan auf der Spur? Waren die Wölfe zufällig hier, oder nicht?«
Beide wandern grübelnd weiter, können aber keine befriedigende Erklärung finden.
Die Umgebung wird jetzt noch genauer beobachtet. Die Landschaft verändert sich nicht. Eine große Ebene erstreckt sich in alle Richtungen, bis hin zum Horizont. Als sie eine Wegkreuzung passieren, atmen sie etwas auf. Eine Stunde später kommen sie an einer weiteren vorbei. Bald darauf erreichen sie einen Unterstand, den sie für eine kurze Rast nutzen. Bis hierhin haben sie jedes entdeckte Tier mit dem Vergessenszauber belegt. Menschen sind ihnen immer noch nicht begegnet.
Als sie weitergehen,