Nur der alte Assessor war zurückgeblieben, und als das zweite Lichterboot von Bord abstieß, kauerte die Frau noch immer mit in den Händen geborgenem Antlitz auf dem Deck, und der alte Mann stand neben ihr, hielt das Jüngste wieder auf dem Arm und zeigte ihm, mit selber blutendem Herzen, die bunte lebendige Bai, das rege, lustige Schaffen und Treiben da draußen - damit es nur nicht mehr so schreien sollte.
3.
Anf kalifornischem Boden.
Auf einer so laugen Seereise, und in einen so engen Raum zusammengedrängt, gewöhnen sich auch natürlich die Passagiere aneinander. Man ißt aus einem Topf, schläft unter einem Deck mitsammen, und wird zuletzt so gewöhnt, sich „guten Morgen" zu sagen, daß man sich ordentlich unbefriedigt fühlt, wenn man nicht mit jedem neuen Tage die verschiedenen Gefährten wieder begrüßt und gesehen hat. Unterwegs werden gewöhnlich Pläne gemacht, daß man nach der Landung sich zusammenhalten, oder, wenn wirklich ent/40/fernt, schreiben wolle - und was geschieht nach der Landung? -
Werft einen Tropfen Quecksilber auf den glatten Boden und seht, was mit ihm geschieht, und so eng eine Schiffsgesellschaft auch an Bord zusammengehalten haben mag: der erste Schritt an Land, noch dazu wenn das Land der Boden eines Golddistricts ist - trennt alle Bande, löst alle Versprechungen und streut die Einzelnen wie Spreu im Winde umher.
Schon auf dem Ueberfahrtsboot existirte keine Gemeinschaft mehr. Jeder hatte auf sein eigenes Gepäck zu sehen, die verschiedenen theils in die, theils in jene Ecke geworfenen Gegenstände zusammenzusuchen, oder wenigstens im Auge zu behalten, und wie das Fahrzeug nur festen Grund berührte, keuchte was immer konnte den ziemlich steilen, staubigen, heißen Hang hinauf, so rasch als möglich in das neue Leben einzutauchen. - Wer dachte hier daran, auch nur den Reisegefährten Lebewohl zu sagen? Fanden sie diese zufällig wieder, desto besser; wo nicht - nun so war hier Kalifornien, und Jeder mußte ja doch zusehen, daß er selber durchkam.
Mr. Hetson hatte mit seiner Frau in dem leichten Boot die Landung schon weit früher erreicht, dort zufällig einen leeren Karren getroffen, der Güter an den Strand geführt, und diesen augenblicklich gemiethet, sein Gepäck in irgend ein Hotel zu schaffen. Der Karren hielt auch bald, durch die bunten Straßen dieser wunderlichen Stadt fahrend, vor einem Mittelding zwischen Zelt und Schuppen, denn die Wand rechts von der Thür bestand aus übereinander genagelten Brettern, die links aus Segeltuch. Ueber dem Eingang aber prangten mit großen schwarzen Buchstaben die Worte „Union Hotel", und er durfte nicht daran zweifeln, den erfragten Platz erreicht zu haben.
Union Hotel - der Verschlag sah eher einer Meßbude ähnlich, in der Merkwürdigkeiten um ein geringes Eintrittsgeld gezeigt werden, als einem Hotel, aber, lieber Gott, in solch' einem neuen Lande durfte man auch nicht hoffen, all' die Bequemlichkeiten des alten Vaterlandes wiederzufinden. Vielleicht hielt auch das Innere mehr, als das Aeußere ver/41/sprach, und Hetson wünschte deshalb vor allen Dingen zu erfahren, ob er hier Aufnahme, und dann ein eigenes Zimmer für sich und seine Frau bekommen könne.
Eine Art Kellner - ein Individuum wenigstens, das in Ermangelung eines Besseren dafür gelten konnte, - war auf des Karrenführers Ruf in der Thür erschienen, und zeigte sich hier auch insofern geschäftig, als es ohne Weiteres einen Koffer und eine Hutschachtel aufpackte und damit im Innern wieder verschwinden wollte.
„Halt!" rief ihm da Hetson nach - „kann ich hier ein eigenes Zimmer bekommen?"
„Eigenes Zimmer? - gewiß," sagte der Kellner - „Nr. 7" und tauchte damit wieder hinter der Leinwand unter. Hetson blieb nichts weiter übrig als ihm zu folgen, um den bezeichneten Platz erst selber einmal in Augenschein zu nehmen. Selbst die geringsten Anforderungen aber, die er an dieses, dem Aeußern nach sehr bescheidene Hotel gestellt, fand er nicht befriedigt. Ein „eigenes Zimmer" zeigte ihm der Kellner allerdings, aber es war das nur ein kleiner Verschlag, eine Art Zeltabtheilung, die einfach durch ein Stück blauen Kattun hergestellt schien. Das ganze Hotel bestand aus acht oder zehn solchen oben offenen Abtheilungen unter dem gemeinschaftlichen Dach, jenen engen Gefachen nicht unähnlich, deren man sich in Badeanstalten zum Aus- und Anziehen bedient.
Das mochte nun allerdings für Männer, und auf kurze Zeit, ein erträglicher Aufenthalt sein; wenigstens ließ sich darin existiren und man konnte es als eine Art Bivouak betrachten. Hier aber eine Dame einzuquartieren, blieb ganz außer der Frage.
Der Karrenführer hatte indessen schon den größten Theil des Gepäcks heruntergegeben, als Mr. Hetson erklärte, hier unter keinen Umständen bleiben zu wollen. Irgend ein passenderer Platz war wohl schon aufzufinden, schlechter wenigstens konnte er ihn nirgends treffen.
Rasch ging er deshalb wieder zu dem Karren hinaus, sich das Fuhrwerk jedenfalls so lange zu sichern, bis er ein ihm genügendes Absteigequartier gefunden habe, und blickte eben ziemlich rathlos die von Menschen wogende Straße auf und ab,/42/ als ein an dem „Hotel" gerad' vorbeikommender Mann vor ihm stehen blieb, ihn einen Augenblick aufmerksam betrachtete und dann ausrief:
„Hetson! bei Allem, was lebt! Kamerad, welcher glückliche Wind hat Dich nach Kalifornien getrieben?"
Der Mann war eine zu auffallende Persönlichkeit, ihn je, wenn einmal gesehen, wieder zu vergessen, und doch konnte sich Hetson, als er überrascht zu ihm aufschaute, seiner nicht erinnern.
Um die hohe kräftige Gestalt hing eine bunte mexikanische Zarape, in derselben Art, wie sie die Spanier und Californier trugen, über die linke Schulter geschlagen; den Kopf deckte ein breitrandiger brauner Filzhut, unter dem die kleinen stechenden schwarzen Augen aus einem Wald von Haupt- und Barthaaren vorschauten. Die Beine staken in schwarzsammetnen, an den Seiten offenen und am Schlitz reich mit silbernen Knöpfen besetzten Hosen, und an den Schuhen klirrten ein Paar schwere mexikanische Sporen von polirter Bronze. Auch die dem jungen Amerikaner entgegengestreckte weiße, fast zarte Hand funkelte von fünf oder sechs steinbesetzten Ringen - aber wer war der Mann?
„Bester Herr," sagte Hetson etwas verlegen, „Sie sind da jedenfalls im Vortheil, denn Sie scheinen mich zu kennen, während ich mich in der That nicht besinnen kann, wo -"
„Hahaha!" unterbrach ihn aber lachend der Bärtige - „hab' ich mich so verändert, daß mich selbst ein alter Kommilitone nicht wiedererkennt? - Du erinnerst Dich wohl gar nicht eines gewissen Bill Siftly, heh?"
„Siftly? - ist es denn möglich!" rief Hetson jetzt erfreut, die noch immer dargebotene Hand ergreifend und schüttelnd, „das ist allerdings ein wunderbares Zusammentreffen. Das Woher? sollst Du mir aber nachher erzählen, jetzt erlaube mir erst, Dir meine Frau hier vorzustellen."
„Deine Frau?" rief der neugefundene Freund verwundert und drehte sich rasch nach der Dame um.
„Gentlemen," unterbrach da der Karrenführer die Unterhaltung, „ich kann mir wohl denken, daß es ganz angenehm sein muß, in diesem blutigen verbrannten Lande einen alten /43/ Bekannten zu treffen. Die Geschichte geht mich aber eigentlich nichts an, und ich kann deshalb nicht ein paar Stunden hier halten und meine Zeit versäumen. Zeit ist hier Geld, und wenn Sie mich nicht mehr haben wollen, so bezahlen Sie mich und ich fahre meiner Wege."
„Was giebt's? - was hast Du?" frug jetzt Siftly rasch, „Du kommst eben an? -"
„Ja - und suche ein Hotel, in dem ich mich und meine Frau einquartieren kann. In dem Neste hier ist es unmöglich."
„Ich sollt's denken," lachte der Andere, „aber ich weiß ein besseres. Dreh' um mein Bursch und fahr' nach dem Parkerhaus."
„Kein Platz mehr," brummte der Fuhrmann, „war schon vorhin