Der Mann gehorchte mit ziemlich mürrischem Gesicht. -
„Fehlen noch zwei Stück," sagte er dann, „die der Dings da in das Haus getragen hat."
„Ach ja, ein Koffer und eine Hutschachtel" - rief Hetson - „bitte, Kellner, bringen Sie die beiden Stücke einmal wieder heraus."
„Mit dem größten Vergnügen, mein Herr," erwiderte der Angeredete, ohne sich jedoch von der Stelle zu rühren - „sobald Sie mir die fünf Dollar Miethe für den heutigen Tag entrichtet haben."
„Die Miethe für den heutigen Tag?" rief der junge Amerikaner erstaunt aus - „ich habe noch gar nicht daran gedacht, mich hier einzumiethen "
„Sie haben von dem Zimmer mit Ihrem Gepäck Besitz genommen," sagte achselzuckend der Kellner, „und ich hätte es seit der Zeit schon dreimal wieder vermiethen können. Wenn Ihnen unser Hotel nicht gut genug ist, zahlen Sie wenigstens, was Sie schuldig sind, oder Sie bekommen Ihr Gepäck nicht eher wieder." /44/
„Nun das ist aber doch zu arg," rief Hetson entrüstet, „ich will doch einmal sehen, ob -"
„Zahle um Gottes willen," beschwichtigte ihn jedoch der Andere, „und laß die Gerichte hier in Frieden, wenn Du nicht hundert Dollar für Deine fünf loswerden willst. Du kannst noch froh sein, daß der junge Herr mit der weißen Schürze nicht unverschämt war und zwanzig forderte. - Ich werde Euch empfehlen, Jack," wandte er sich dann an den Kellner, „doch nun schafft die Sachen heraus, denn unser Fuhrmann wird ungeduldig. Ihr sollt Euer Geld bekommen."
Der Bursche nickte nur mit dem Kopfe, verschwand dann in der Thür und kam nach wenigen Minuten mit dem Gepäck zurück. Dieses wurde auf den Karren geworfen, Hetson zahlte, bot seiner Frau den Arm, und wenige Minuten später erreichten sie den Hauptplatz der Stadt, die sogenannte Plaza, und mit ihr das Parkerhaus, ein mehrstöckiges hölzernes Gebäude.
Siftly hielt Wort; der Wirth machte Raum für die beiden Gatten, wenn er ihnen auch nur ein einziges Stübchen anweisen konnte, und Mrs. Hetson fand sich bald, wenn auch nicht gerade wohnlich, doch wenigstens erträglich eingerichtet. Hetson hatte übrigens seinen so zufällig gefundenen alten Universitätsfreund gebeten, unten auf ihn zu warten, da er ihn noch um Einiges fragen wolle, und Siftly ihn zu dem Zweck in den Schenk- und Spielsalon des Hauses bestellt. Als Hetson seine Frau eben in der Eile so gut es gehen wollte eingerichtet, stieg er die schmale Treppe wieder hinab. Aus dem ersten Gange aber schon traf er Doctor Rascher von der Leontine, der eben seine Zimmerthür hinter sich abschloß.
„Ah steh da, Mr. Hetson!" sagte dieser, über das Begegnen sichtlich erfreut - „haben Sie sich ebenfalls hier einquartiert? Das Haus ist wie ein Bienenstock, und Ihre Frau Gemahlin wird eine unruhige Zeit bekommen."
„Ach Doctor," rief Hetson, ihm die Hand entgegenstreckend, „es ist mir lieb, daß wir Sie wenigstens in der Nähe haben. Gedenken Sie in San Francisco zu bleiben?"
„Für's Erste, ja," erwiderte der alte Mann, „dann aber werde ich hinauf in die Berge ziehen, mir das Leben dort einmal mit anzusehen."
„Und Gold zu graben?"
„Nein, das nicht," lächelte der alte Mann gutmüthig, „dazu reichen meine Kräfte doch wohl nicht aus. Aber der Hauptzweck, wegen dessen ich hierhergekommen, ist, die Flora des Landes zu untersuchen. Ich will nicht im Mineralreich, sondern in der Pflanzenwelt meine Schätze sammeln, und glaube kaum, daß ich darin einen Mißgriff machen werde. Sie, mein lieber Mr. Hetson, werden sich wohl auch nach andern Beschäftigung als Spitzhacke und Schaufel umschauen.“
„Wer weiß," lächelte der junge Mann düster vor sich hin - „in den Bergen drin - wenn sie so sind, wie ich sie mir denke, - entgeht man vielleicht mancher unangenehmen, unerwünschten Gesellschaft, die uns hier in der Stadt doch aufgedrungen wird. - Ich habe große Lust in die Minen zu gehen."
„Mit Ihrer Frau?"
„Und warum nicht? Wie ich aus den Zeitungen gesehen habe, sind gar nicht so wenig Frauen in den Bergen, und die Sommermonate über muß der Aufenthalt sogar reizend sein."
„Das überlegen Sie sich doch vorher noch recht reiflich, mein guter Mr. Hetson," sagte aber der alte Mann, bedenklich dabei mit dem Kopfe schüttelnd. „Für einen einzelnen Mann geht es wohl, ja; aber eine so zarte Frau wie die Ihrige hielt es am Ende nicht aus, und Sie machten sich nachher die bittersten Vorwürfe. Gold ist schon ein gut Ding, und wir brauchen es nun einmal zu unserem Leben; aber wir dürfen dagegen nichts noch Kostbareres einsetzen, sonst bleiben wir immer die Verlierer, erbeuteten wir auch noch so viel davon."
„Haben Sie keine Sorge, guter Doctor," sagte der junge Mann, „das Gold hat mich nicht nach Kalifornien geführt, und wird mich also auch nicht verleiten, einen thörichten Streich zu begehen. Also auf Wiedersehen, Doctor. - Sie thun mir aber einen Gefallen, wenn Sie nachher einmal nach meiner Frau sehen, Nr. 57. Ich bleibe vielleicht eine /46/Stunde aus, und sie klagte vorhin über heftigen Kopfschmerz."
„Es wird mir ein Vergnügen sein, Mrs. Hetson auf festem Lande zu begrüßen," sagte der alte Herr, und Hetson sprang mit einer freundlichen Handbewegung die Treppe hinab, seinen Gefährten dort aufzusuchen.
Der Doctor folgte ihm langsam, um unten im Hause noch einige Abänderungen in seinem Zimmer zu verlangen. Die californische Lebensart war ihm noch zu fremd - er hatte die deutschen Gasthöfe noch nicht vergessen. Außerdem sehnte er sich aber auch einmal wieder nach einer kräftigen Mahlzeit von grünem Gemüse und frischem Fleisch, was man auf einer so langen Seereise freilich entbehren muß, und zuletzt oft schmerzlich vermißt.
Der Speisesaal - ein großer, mit einer Menge von Tischen besetzter Raum - war zu dieser Tageszeit noch ziemlich leer. Zwischen Mittag und Abend lag immer eine stille Zeit, die nur von geschäftig hin und her eilenden Kellnern benutzt wurde, die Tische wieder für das Souper in Ordnung zu bringen. Das Schicksal der armen, hier nach Kalifornien geworfenen Dame ging dem alten Mann aber doch im Kopfe herum, und er achtete deshalb weniger auf seine Umgebung, als sonst wohl der Fall gewesen wäre. Leise nickte er dabei vor sich hin, als er der heimlichen Beweggründe gedachte, die den geängstigten Mann in die Minen trieben - und war es denn gar nicht möglich, ihn von diesem Wahn zu heilen?
Der Oberkellner - eine dürre, vertrocknete Gestalt - wie alle Uebrigen in Hemdsärmeln, schneeweißer Wäsche, einer Granattuchnadel und einem ächt französischen, sonngebräunten Gesicht, hatte den einzelnen Gast bemerkt und sandte einen seiner dienstbaren Geister zu ihm, zu fragen, was er verlange. Der Geschickte, ein schlanker junger Mann mit blondem Haar und blauen Augen, einem leichten lichten Schnurrbart und einer, für einen Kellner eben nicht passenden, tiefen Narbe auf der rechten Wange, trat zu dem Fremden, die Serviette unter dem einen Arm, den Speisezettel in der Hand:
,,Anything you want, Sir?"
Der Doctor sah langsam, noch ganz in seine Grübeleien vertieft, auf und starrte verwundert in das lächelnd auf ihm haftende Auge des Kellners.
„Und was bringt Sie nach Califormen, Doctor? lachte dieser endlich, indem er dem Doctor die Hand entgegenstreckte.
„Baron Lanzot?" rief der Doctor aber, in vollem Erstaunen von seinem Sitz emporspringend - „guter Gott, spielen Sie Komödie?"
„Wenn Sie wollen - ja," lautete die leichtherzige Antwort des jungen Edelmanns, indem er des Doctors Hand ergriff und schüttelte. „Für zweihundert Dollar per Monat spiel' ich eine kurze Zeit Marqueurs-Rollen, anstatt einem Phantom in den Minen nachzulaufen - dem Phantom des Millionärs."
„Aber um Gottes willen, Baron, wenn das Ihre Eltern erführen - Ihre Mutter grämte sich zu Tode."
„Ich halte sie für eine weit vernünftigere Frau, Doctor. Sie wird mich lieber hier mein Brod in ehrlicher Weise verdienen sehen, als daß ich müßig ginge und vielleicht Schulden machte. Wir, die uns das Schicksal an diese Küste geworfen, arbeiten nun Alle einmal für unser Leben, und während ich einem Theil der Leute hier verlangte Speisen als garcon vorsetze, lasse ich mir von Anderen als gentleman mein Gold aus den Minen graben. Ob das nun