Elgeros seufzte. »Das ist eine Menge ›nichts‹.« Er hielt noch immer sein
Schwert in der Hand und schob es nun in die Scheide zurück. Als er
aufschaute, sah er die Blicke der anderen auf sich gerichtet, die offenbar eine
Entscheidung erwarteten. Auch wenn einige Elfen unter den Männern waren,
die älter und erfahrener als er selbst sein mochten, so war er doch der Führer
der Bogen und musste bestimmen, was nun zu tun war. »Nun gut, wir werden
Niyashaar besetzt halten und einen Boten zu den Häusern entsenden, der sie
über die Vorkommnisse hier unterrichtet. Die erste und zweite Zehn beziehen
Wache auf der Mauer und oben auf der Turmplattform. Eine Gruppe
überprüft das Tor, die anderen richten Niyashaar für unsere Bedürfnisse her.
Sammelt das Eigentum der verschwundenen Besatzung ein und schaut, ob
Dinge dabei sind, die wir den Familien überstellen sollten. Geodas, du teilst
die Wachen ein. Du, Keodaros, prüfst die Vorräte und bereitest ein Mahl
vor.« Er sah seinen Freund nachdenklich an. »Und du, Neolaras, wirst mich
begleiten. Ich will mich weiter umsehen.«
Die Hundertschaft zerfiel in geschäftige Gruppen, und Elgeros konnte sich
darauf verlassen, dass der Vorposten bald gegen einen Angriff gewappnet
sein würde. Denn dass ein solcher bevorstand, war jedem von ihnen bewusst,
schließlich verschwand eine elfische Hundertschaft nicht einfach spurlos.
Elgeros und Neolaras gingen nebeneinander her über den Innenhof. »Die
Besatzung ist nicht ausgerückt. Sie hat sich nicht auf einen Ansturm
vorbereitet. Es finden sich keine Kratzer von Pfeilen, Bolzen oder
Schwertklingen an Mauern und Wänden und keinerlei Blutflecken auf dem
Boden.« Elgeros deutete mit einer vagen Handbewegung um sich. »Nur diese
Brandmale, deren Ursache wir nicht kennen.«
»Jedenfalls hat kein Pfeil oder sonstiges Geschoss sie verursacht. Der
Flammzauber eines Grauen Wesens wäre vielleicht stark genug, einen Körper
zu verbrennen.«
Elgeros nickte. »Aber nicht stark genug, um massiven Stein zu schmelzen.
Ich habe keine Erklärung, aber ich spüre, dass uns Gefahr droht. Jemand hat
die Besatzung von Niyashaar überwältigt, und ich bin mir sicher, dass keiner
unserer Freunde mehr am Leben ist. Wer immer sie bezwang, wird bald
bemerken, dass der Posten wieder besetzt ist. Er wird versuchen, auch uns zu
vernichten. Wir müssen vorbereitet sein.«
Neolaras schürzte die Lippen und lachte dann leise auf. »Auch die
verschwundene Hundertschaft war auf einen Kampf vorbereitet.«
»Wir haben dennoch einen Vorteil, mein Freund. Im Gegensatz zu den
anderen wissen wir von der Gefahr, die uns droht. Wer uns bezwingen will,
der muss sich uns zeigen, und dann wird er unseren Klingen und Pfeilen
begegnen.«
Neolaras nickte. »Wohl gesprochen, Bogenführer. Wollen wir hoffen, dass
man uns noch Gelegenheit zur Gegenwehr gibt.«
Elgeros blickte hinauf zur Turmplattform, über der das blaue Elfenbanner
lustlos im Wind flappte. Die Schatten wurden länger, und es würde bald
dunkel werden. »Ich werde den Boten bei Tagesanbruch losschicken. Nendas
ist der schnellste Läufer. Er soll die Nachricht überbringen.«
Sie erreichten eine der steinernen Treppen, die auf die Wehrmauer führten,
und schritten nebeneinander die Stufen hinauf. Oben angelangt, wandten sie
sich der Ostmauer zu und konnten so gleichermaßen nach Norden und Osten
sehen.
»Ich glaube nicht, dass es Orks oder Graue Wesen waren«, sagte Neolaras
leise. »Wir kennen die Handschrift dieser Bestien nur zu gut.«
Elgeros legte seine Hände auf eine der Zinnen und nickte bedächtig. »Es
heißt, die nördliche Öde sei tot. Rushaan ist vergangen.«
»Jenseits der alten Grenzen Rushaans lebt das Volk von Julinaash.«
»Vor wenigen Monden kehrte ein Spähtrupp des Hauses Elodarion aus
dem Norden zurück. Sie sind bis an den Rand des Eises marschiert, fanden
aber keine Hinweise dafür, dass das Volk des Eises nach Süden vorstößt. Im
Gegenteil, sie entdeckten eine verlassene Siedlung. Nein, die Julinaash haben
sicherlich andere Probleme zu lösen, bevor sie sich nach Süden wenden
können.«
»Fand der Trupp Anzeichen für Leben in Rushaan?«
»Das Reich Rushaan ist vergangen, mein Freund. Es wird nicht wieder
auferstehen.«
Elgeros löste sich von der Zinne und blickte zum Pass hinüber. »Dennoch
… Irgendetwas befindet sich in dieser trostlosen Öde. Etwas, das uns nicht
wohlgesinnt ist.«
Kapitel 3
»Es kommt selten vor, dass sich ein ganzes Rudel in die Hochmark verirrt.«
Der stämmige Mann, der soeben gesprochen hatte, stand weit über die Spuren
gebeugt und fuhr sich nachdenklich mit der Hand durch den dichten Bart. Er
trug die kniehohen rotbraunen Stiefel der Pferdelords und deren bodenlangen
grünen Umhang. Dieser war mit einem schmalen blauen Saum eingefasst und
damit von der gleichen Farbe wie der lange Rosshaarschweif am Helm des
Mannes. Es waren die Farben der Hochmark des Pferdefürsten Garodem, und
der kleine Trupp bestand aus seinen Männern. »Aber es sind mindestens fünf
Tiere. Eher sechs.«
Hinter ihm beugte sich ein Mann im Sattel vor, und das Leder knarrte leise.
»Ich glaube auch, dass es sechs Raubkrallen sind, guter Herr Kormund. Eine
große und fünf kleine.«
Scharführer Kormund richtete sich wieder auf und stützte sich dabei
unmerklich auf die lange Lanze, an welcher sein dreieckiger Wimpel flatterte.
Einer der anderen Reiter beugte sich nun ebenfalls vor. »Möglicherweise