„Das ist jetzt nicht bloß meine persönliche Sichtweise, in dieser Angelegenheit, das wissen Sie. Der Generalstaatsanwalt und der Senator sehen das genauso.“
Und du machst vor denen natürlich brav Männchen, denkt Biedermann.
„Da sind wir uns jetzt doch einig, oder? Sie sind in dieser Sache doch nicht weiter tätig, oder?“
Der Tonfall des Leitenden ist jetzt kein bisschen mehr jovial. Seine Augen haben sich zu Schlitzen verengt. Irgendwie gleich er in diesem Moment einem Krokodil. Das auf Beute lauert.
„Ich? Natürlich nicht. Ich kenne die Gepflogenheiten und halte mich an die Regeln. Das wissen Sie doch, Herr Dr. Meier-Streng.“
Biedermann denkt an den Kollegen. Den, mit den knallharten Plädoyers. Der jetzt Revisionen bearbeitet.
„Natürlich, mein lieber Biedermann, natürlich.“
Vielleicht ist die Bearbeitung von Revisionen ja ganz interessant, überlegt Biedermann.
* * *
Limbach in Aufbruchstimmung. Hat er die vergangenen Tage noch in tiefer Depression verbracht, verzweifelt über die Verdorbenheit und Niveaulosigkeit der Welt, ist er nun schon wieder eifrig am Pläne schmieden. Er ist fest entschlossen, dem Literaturbetrieb den Rücken zu kehren. Mit dem Geld, das er dort verdient hat und noch verdienen würde, würde es ihm bestimmt gelingen, in einer anderen Branche Fuß zu fassen. Hat er sich sonst bei der Zeitungslektüre hauptsächlich für das Feuilleton und die Politik-Seiten interessiert, studiert er nun auch intensiv den Wirtschaftsteil. Es muss doch Branchen geben, die einigermaßen krisensicher sind.
Die gibt es in der Tat. Er könnte zum Beispiel Teilhaber eines Bordells werden. Oder bei einem Bestattungsunternehmen einsteigen. So lange es Menschen gibt, besteht für beide Bereiche große Nachfrage. Die Gastronomie erscheint ihm dagegen zu unsicher. Am vielversprechendsten wäre es wahrscheinlich, irgendein Internet-Portal ins Leben zu rufen, aber dafür kennt er sich zu wenig in diesem Metier aus. Bei solchen Gelegenheiten bedauert er manchmal, nichts Vernünftiges gelernt zu haben.
Sich an einer Bank zu beteiligen verbietet ihm sein Gewissen. Obwohl man damit absolut auf der sicheren Seite wäre. Geht alles den Bach runter springt immer der Staat ein.
Egal: Limbach ist jetzt wieder ganz guter Dinge. Irgendwas würde sich schon ergeben. Schließlich kann er es sich wahrscheinlich sogar bald leisten, gar nichts mehr zu tun. Das wäre ihm sowieso am liebsten und käme seiner angeborenen Trägheit sehr entgegen. Ich bin gesund, sagt er sich, das ist die Hauptsache, und ich habe jetzt Geld. Beides Dinge, die alles andere als selbstverständlich sind. Ein ehemaliger Schulkollege ist kürzlich an Krebs gestorben. Was rege ich mich also auf? Soll doch die Pornoschlampe den Literaturnobelpreis bekommen. Jauch Kanzler werden. Beckenbauer Bundespräsident. Was kümmert es mich?
Heilfroh ist Limbach, dass seine vor ein paar Jahren aus purer Geldnot geschlossene Scheinehe mit einer Prostituierten aus der Karibik geschieden wurde, kurz bevor der Geldsegen über ihn gekommen ist. Jetzt kann der notorische Junggeselle auch offiziell wieder vollkommen artgerecht und ganz nach seinen Vorstellungen leben.
Endlich völlig unabhängig von allem und jedem, ein Zustand, der er jahrzehntelang herbeigesehnt hat und der endlich eingetreten ist, als er die Hoffnung schon aufgegeben hatte.
Eines ist aber klar: Er würde sich nicht heimlich, still und leise aus dem Literaturbetrieb davonstehlen. Sondern sich mit einem großen Knall verabschieden. Ideale Plattform dafür: „Deutschland sucht den Super-Autor“, der neueste Versuch des öffentlich-rechtlichen Fernsehens, das sich im rasanten Sinkflug befindende Niveau der Privatsender noch zu unterbieten. Dort macht er seit ein paar Monaten den Buch-Bohlen, was enorme Auswirkungen auf die Verkaufszahlen seines Buches hat. Immer wenn er einen hoffnungsvollen Jungautor, eine hoffnungsvolle Jungautorin besonders gemein runterputzt, worüber die Blöd-Zeitung jeweils verlässlich und genüsslich berichtet, verkauft sich sein Buch besonders gut. Voller sadistischer Vorfreude malt er sich aus, wie er vor laufenden Kameras öffentlich die Brocken hinwerfen und es zum Eklat kommen lassen würde. „Deutsche zu blöd: Star-Autor will auswandern.“ Oder: „Limbach wirft hin: macht euren Dreck alleine!“ Oder so ähnlich. Auf die Blöd-Zeitung ist in solchen Fällen stets Verlass.
Deutschland wird er wohl nicht wirklich verlassen, jedenfalls nicht ganz. Dafür ist einfach zu heimatverbunden. Aber ein zweiter Wohnsitz wäre schon nicht schlecht, als Fluchtpunkt und Rückzugsgebiet, wenn ihm wieder einmal alles zu viel würde. Island und Norwegen stehen dabei auf seiner Favoriten-Liste ganz oben.
Limbach sitzt in einem Bistro im Hamburger Hof am Jungfernstieg. Vor sich eine heiße Schokolade und mehrere Tageszeitungen. Zwei kichernde Teenies erkennen ihn, lassen ihn aber in Ruhe. Hamburg eben. Schade eigentlich.
Sehen ganz süß aus, die beiden, denkt Limbach. Hätten mich ruhig um ein Autogramm bitten können. Für den Abend hat ihn sein Verleger zu sich nach Hause zum Essen eingeladen. Das hat er bisher noch nie getan. Bevor sein Buch zum Renner wurde, hat er seinen Verleger nicht einmal persönlich gekannt. Zwar ist der Verlag ein kleiner Verlag, aber seinen Autoren bringt der Verleger normalerweise kaum Interesse entgegen. Zumindest ist es Limbach lange Zeit so vorgekommen und es hat ihn sehr irritiert.
Doch dann hat sein Buch die Bestsellerlisten gestürmt. Und plötzlich war sein Verleger eng mit ihm befreundet. So wie jeder Verleger mit dem jeweils erfolgreichsten Autor seines Verlages eng befreundet ist.
Jetzt geht dem alten Fettsack der Arsch auf Grundeis, denkt Limbach schadenfroh. Rutscht auf den Knien vor mir rum und küsst mir die Füße. Denkt wohl, ohne mich geht sein Anarchisten-Verlag, auf dessen Homepage ehemalige RAF-Terroristen, die ihre Memoiren oder sonstige Pamphlete veröffentlicht haben, immer noch als „Protagonisten des bewaffneten Kampfs“ tituliert werden, und nicht als Verbrecher, den Bach runter. Eine Befürchtung, die wahrscheinlich völlig berechtigt ist. Keiner der anderen Autoren des Verlags ist auch nur annähernd so erfolgreich wie Limbach. Er verkauft alleine mehr als zehnmal so viel wie alle anderen zusammen. Ist ohnehin sowieso ein Wunder, dass diese linke Klitsche so lange überlebt hat.
Bestimmt macht der Verleger ihm heute Abend wieder ein Angebot. Nachdem er zuletzt mit einer Million Euro Garantiehonorar und zwanzig Prozent vom Ladenpreis für jedes verkaufte Exemplar seines nächsten Buches gelockt hat, würde er ihm nun wahrscheinlich die Teilhaberschaft anbieten. Oder eine seiner Töchter zur Frau geben. Wahrscheinlich aber beides.
Nicht schlecht für jemanden, der vor einem Jahr noch auf Hartz IV angewiesen war, denkt Limbach. Eigentlich könnte der Verleger ruhig einmal in der Woche meinen Lambo waschen, überlegt er, still vor sich hin grinsend. Oder seine Töchter könnten meine Wohnung putzen. Nackt natürlich. Limbachs Gesichtsausdruck ist jetzt hämisch. Erfolg ist einfach geil. Sexy.
„Hi Stefan, so blendend gelaunt heute? Alles wieder gut?“
Limbach schreckt hoch. Er hat sie gar nicht herankommen sehen. Hätte er, hätte er sie außerdem gar nicht erkannt. Zumindest nicht sofort. Sie trägt eine große Sonnenbrille und eine Baseball-Kappe. Keck und flott.
„Hallo Vivien. So ein Zufall. Hasse frei heute?“
„Hm. Mach' grad' n' Stadtbummel. So schönes Wetter heute. Und du?“
„Ich? Och, ich mach' grad' 'ne Schreibpause. Musste mal raus. Immer am Schreibtisch, weisse... Setz' dich doch. Ich lad' dich ein.“
„Gerne. Danke.“
* * *
Durch Hamburg zieht sich eine Spur der Gewalt. Seit kurzem werden bekannte Persönlichkeiten in ihrem privaten Umfeld angegriffen. Das Auto eines Politikers ging direkt vor dessen Wohnhaus in Flammen auf. Einem Chefredakteur wurden zu Hause die Fensterscheiben eingeworfen, ein paar Farbbeutel flogen hinterher. Einem Banker ist besonders übel mitgespielt worden: Er wurde am helllichten Tag bewusstlos und mit vollgekackter Hose mitten auf dem Rathausplatz gefunden. Jemand hatte seinen Drink mit k. o.-Tropfen angereichert und ihn dann in Hamburgs gute Stube befördert.
An die zehn Fälle dieser