„Mann, was waren das für Zeiten,kein Vergleich zu der heutigen Jugend!“
„Ne“, lachte Hermann,„die haben ja auch mit dem Krieg Gott sei Dank nichts mehr am Hut.“
„Richtig“, stimmten die beiden zu.
Ömmes stellte Getränke auf die Theke und ging wieder.
„Wenn wir unsere Kinder zum Bauern aufs Feld zum Arbeiten schicken würden, würden die uns für verrückt erklären“, nahm Wilhelm den Faden wieder auf.
„Wir kamen gar nicht schnell genug zum Bauern, Schulschluss, Schularbeiten gemacht und dann aber los. Ob Runkeln verziehen oder Heu- und Getreideernte,Kartoffeln stoppeln oder Rüben ziehen. Wir waren schon richtige kleine Fachleute: wir wussten genau, wann was fällig war, welcher Bauer einen Groschen mehr bezahlte oder bei wem die Vesper-Brote besser waren. Bei einigen Bauern konnten wir auch Tierpflege machen, Pferde striegeln und die Kühe mit dem Schlauch abspritzen und wir sammelten die Hühnereier ein, die die Hühner überall legten. Von dem einen oder anderen Bauern bekamen wir auch schon mal eine zusätzliche Stulle für unterwegs.“
„Einmal, wisst ihr noch,hatten wir richtig Pech“, gab Hermann seinen Teil dazu, „ein Bauer hatte eine riesige, ehemalige Wasserburg als Hof und dieser Bauer kam direkt zu unserer Schule und holte sich die Kinder dort und das mit sagenhaften Versprechen. Da konnte natürlich kein Kind nein sagen und alle sausten nach der Schule zu diesem Bauern. Dort angekommen, wurden wir auf Leiterwagen verteilt und fuhren auf die Felder. Nach vierzehnTagen war die Arbeit getan und zum späten Nachmittag versammelten sich die vielen Kinder auf dem Innenhof und wollten ihren Lohn haben.“
„Wir wurden von dem Bauern vertröstet,wir sollten übermorgen wieder kommen, dann sollten wir unser Geld bekommen“, machte Jürgen weiter.
„Und was war, nichts, kein Geld, wir sollten noch mal wieder kommen.Wir kamen alle wieder und da jagte uns der Mistkerl von Bauer mit Hunden vom Hof.“ Hermann und Wilhelm schüttelten ihre Köpfe: „Das war schon ein Mistkerl.“
Ömmes stand wie immer abseits in seiner Ecke und bewegte bestätigend seinen Kopf, als wolle er sagen: das kenne ich auch. Ömmes mischte sich selten in die Gespräche seiner Gäste ein, es sei denn, er wurde direkt angesprochen und mit einbezogen. Das machte ihn so angenehm.
„Ja“, sprach Jürgen weiter, „wir waren aber auch nicht dumm. Wisst ihr noch, als der Kerl Kinder in denHerbstferien haben wollte und keiner ist hingegangen? Da stand der Saukerl aber voll im Regen. Zwei Tage später war der wieder da und gab jedem Kind ein paar Groschen und meinte, dass wir am Nachmittag auf seinen Hof kommen sollten. Wir steckten die paar Groschen ein und keiner ging hin!
Bei unserem herum stromern haben wir dann festgestellt,dass der Bauer jeden Sonntagmorgen mit seinen Leuten zur Kirche fuhr, nur ein alter Knecht blieb zurück. Der war in Ordnung und er fand es auch nicht gut, was der Bauer mit den Kindern gemacht hatte. Wir konnten uns ungehindert auf dem Hof bewegen und dann entdeckte ich etwas, was mir absolut die Sprache verschlug.
Ich suchte ganz aufgeregt meine Kumpels und zeigte die Entdeckung. Eine Räucherkammer war es, voll bis unter die Decke mit Würsten, Schinken,Speckseiten und anderen Dingen, die wir gar nicht kannten.
Jeder steckte sich eine kleine Wurst ein und wir machten uns davon. Wir sahen nicht mehr, wie der alte Knecht vor sich hinschmunzelte. Wir drei wussten, dass wir dieses Ding nicht alleine schaffen konnten.
Ich sagte: ‚Ihr müsst eure Väter einweihen,meinen können wir dafür vergessen.‘ Sie nickten.“Die Väter von Hermann und Wilhelm ließen sich am folgenden Sonntag von den Jungs die Sache aus sicherer Entfernung zeigen. Die vier lagen am Grabenrand im hohen Gras und die Jungs wurden von ihren Vätern ausgefragt, wo das Fenster der Räucherkammer sein könnte und ob es noch einen zweiten Zugang gäbe. Die zwei Jungen sahen sich unsicher an, grinstenund sagten: „Kleinen Moment, haben wir gleich.“
Sie rannten am Graben entlang zum Haupteingang durch den Torbogen auf den Hof und grüßten den alten Knecht, der fragte schmunzelnd: „Wollt ihr euch mal wieder umsehen?“
Hermann und Wilhelm nickten bejahend und legten den Zeigefinge rauf ihren Mund, der Alte kicherte nur. Und sie verschwanden schnell im Pferdestall.
Sie stiegen die Treppe hoch zum ersten Geschoss, liefen ein Stück nach rechts zu einer schmalen Stiege und standen kurz darauf vor der Tür zur Räucherkammer.Sie liefen durch die Kammer zum Fenster,öffneten es und sahen ihre Väter am Rand des Grabens stehen.
Sie winkten sich zu, der Hermanns Vater zeigte an, dass sie zurück kommen sollten. Die beiden Jungs steckten sich noch zwei von den kleinen Würstchen ein und machten sich auf den Rückweg.
Als sie bei ihren Vätern an kamen, zeigten sie, bis über beide Ohren breit grinsend, die mitgenommenen Würstchen. Die Väter grinsten genau so zurück und auf dem Heimweg wurde über die verschiedenen Möglichkeiten gesprochen,wie man am sichersten und vor allem am unauffälligsten an die Speckseiten kommen könnte.
Hermann und Wilhelm informierten Jürgen über den Stand der Dinge und er rieb sich hocherfreut und erwartungsvoll die Hände. Die drei schafften in der Woche kaum die Schule, sie mussten immer wieder an das denken, was sie da entdeckt hatten.
Endlich war Wochenende und ungeduldig warteten sie darauf, dass sich ihre Väter melden würden. Es dauerte bis nach dem Abendessen.Hermanns Vater winkte sie zu sich und sagte: „Wir gehen zu Wilhelms Vater.“
Hermann hüpfte auf dem Stück Weg zu Wilhelm aufgeregt um seinen Vater herum, der beschwichtigte ihn: „Immer mit der Ruhe, mein Junge. Wir holen uns schon die Wurst.“
Jetzt wurde Hermann noch aufgeregter.
Er liefWilhelm entgegen, der vor der Haustür stand, und sagte ganz rappelig: „Es geht los, es geht los.“
Wilhelms Vater deutete auf den Schuppen und zustimmend folgten sie ihm. Sie hockten sich in dem dämmerigen Schuppen hin und Hermanns Vater begann die einzelnen Möglichkeiten auf zu zählen. Sie hörten gespannt zu, aber irgendwie war nicht das Richtige dabei, bis sich Jürgen leise und schüchtern meldete und vorschlug, er könne erst einen Faden mit der Fletsche aus dem Fenster rüber schießen und daran dann ein dickeres Seil rüber ziehen.
Wilhelms Vater begriff als erster diesen Vorschlag von Jürgen,er klopfte ihm anerkennend auf die dünne und knochigeSchulter. „… und an dem Seil lassen wir die Würste runtersausen!“
Jürgen war puterrot im Gesicht und wagte noch einzuwenden:„Man kann ja eventuell auch einen Korb nehmen oder ein größeres Tuch zusammen knoten.“
Wilhelms Vater sah Jürgen wieder überrascht an: „Gut, sehr gut. Den Korb hängen wir an einen Haken und mit einem zweiten Faden bremsen wir den Korb, sonst würde er zu schnell werden.“
Die zwei Erwachsenen und die drei Jungs grinsten sich hocherfreut an und Wilhelms Vater sagte: „Nächsten Sonntag gehtes los.“
Vor lauter Aufregung konnte Hermann nicht schlafen und war am Morgen hundemüde. Nach dem Frühstück waren seine Kumpels schon da und die fünf zogen los in Richtung Fußballplatz … Jupp und Karl waren schon da und während sich die Jungs umzogen, kamen die anderen dazu, die Mannschaft war damit komplett.
Es fand wieder mal eine Olympiade statt, diesmal in Finnland und es waren sogar deutsche Sportler dabei!
Ein argentinischer Rennfahrer fuhr mit einem deutschen Rennauto von Sieg zu Sieg.
Die drei Jungs wussten gar nicht, wie sie die Woche herum kriegen sollten, alles war für sie unwichtig, selbst Wilhelm hatte Probleme, in der Schule einigermaßen mit zu machen. In den Pausen wurde nur von dem kommenden Wochenende gesprochen, bis Hermann auf einmal besorgt sagte: „Wir müssen aufpassen und den Mund halten. Wir fallen schon auf, die großen Jungs beobachten uns dauernd.“
In den folgendenPausen