Dem Glück auf der Spur Band 3. Sigrid Jo Gruner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Sigrid Jo Gruner
Издательство: Bookwire
Серия: Schicksalsgeschichten Band 3
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742786081
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Muskel, aber er blieb höflich und gelassen und nahm dem Onkel den abgetragenen, schweren Wollmantel ab, den er trotz mildem Aprilwetter fest zugeknöpft und mit hochgeschlagenen Kragen trug.

      "Kühl hier!" Onkel Franz schob Franzi eine knochige Hand entgegen, die durch Gichtknötchen und hervortretende Adern an einen Baumstamm denken ließ. Sie griff nach seinem Arm und führte ihn in das Wohnzimmer. "Mach es dir gemütlich, setz dich an dicht an die Heizung."

      Der alte Herr klappte wie ein Taschenmesser zusammen und ließ sich steif in einen Sessel nieder. Dann rieb er die großen Hände aneinander; es gab ein Geräusch, als ob ein Reptil sich schuppte. Franzi sah ihn beinahe fasziniert an. Er hatte einen unglaublich langen Kopf. Unter einem hohen weißen Haarschopf fixierten tief liegende Augen die Einrichtung.

      "Ich habe Tee gerichtet", sagte Franzi und schob ihm ein Kissen in den Rücken. Onkel Franz zuckte zusammen, dann dankte er mit einem sonoren Räuspern. Franzi goss duftenden Darjeeling in ihre besten Tassen, und Onkel Franz beugte sich über einen Teller mit hauchdünnen Lachs- und Gurkenschnittchen.

      "Es gibt auch was Süßes, selbstgebackene Kekse, dazu hausgemachte Marmelade", bot Franzi an.

      "Muss erst mal ankommen", tönte der alte Herr, "war ja nicht gerade eine Unterhaltungsshow. Sterben alle weg, das war der letzte aus meiner alten Klasse, mein bester Freund. Es wird jetzt leer um mich herum." Seine Augen wurden wässerig, er schluckte.

      Nanu, dachte Franzi, er ist ja sensibler, als ich dachte. "Das tut uns auch sehr leid", meinte sie mitfühlend.

      "Ach was! Ihr kanntet ihn doch gar nicht. Junge Leute sollten sich nicht mit dem Alter beschweren!" polterte Onkel Franz. Franzi senkte den Kopf. Es war nicht einfach. Worüber sollten sie eigentlich mit ihm reden? Aber Onkel Franz kam ihr zu Hilfe. "Wo ist denn euer Kind? Ein Mädchen, nicht wahr?"

      "Ein Junge, der Jonas", meinte Krischan, der von Onkel Franz argwöhnisch beäugt seine Teetasse auf dem Knie balancierte.

      "Vielleicht nehme ich doch einen Bissen", meinte der alte Herr. Während er sich mit plötzlich erwachtem Appetit über die Schnittchen hermachte, ging Franzi nach oben. Auf der Treppe sah sie von der Seite in den Flurspiegel. Eine dünne, gar nicht fröhlich wirkende Person blickte zurück, mit Augenschatten und einem wirbeligen Pony. Sie fühlte leichte Übelkeit. Schön wäre es jetzt, sich in ihr warmes Bett zu verkrümeln. "Das schaffen wir schon", sagte sie zu der dünnen Person und grinste etwas schief.

      Mit Jonas im Schlepptau wurde die Atmosphäre im Wohnzimmer schlagartig lebhafter. "Bist du nicht ein wenig klein für dein Alter?" knurrte Onkel Franz und bestand darauf, Jonas auf seine knochigen Knie zu nehmen, um ihn an der Wange zu zupfen. Der Junge starrte ihn mit seinen großen hellblauen Augen an, Onkel Franz begann leise wie ein kleines Kätzchen zu miauen. Jonas quietschte zurück und die beiden schlossen vorsichtig Freundschaft. "Du musst ein wenig lauter reden, mein Junge!" trompetete Onkel Franz. Jonas blies seine Backen auf und prustete los.

      "Und du, meine Liebe", wandte sich Onkel Franz an Franzi, "wann ist es bei dir wieder soweit?" Franzi errötete. Er hatte doch tatsächlich gesehen, dass sie wieder schwanger war, dabei war sie gerade erst im zweiten Monat. Scharfes Auge! Als ob er ihre Gedanken lesen könnte, sagte Franz: "Hab da 'nen Blick für!"

      Krischan, der sich bislang zurückgehalten hatte, kam ihr zuvor: "Im Oktober kommt es!"

      Der alte Herr ließ wieder den Blick schweifen. "Aha. Noch vor dem Winter. Es wäre gut, wenn ihr da eine bessere Bleibe hättet", meinte er. Er streckte seinen knotigen Arm aus. "Geht’s da hinaus?" Er stand mühsam auf, straffte seine hohe, steife Gestalt und ging zum Fenster. "Das kann man ja kaum einen Garten nennen", raunzte er abfällig. "Wie sieht's denn sonst hier aus?" Krischan bot ihm an, ihn durchs Haus zu führen. Der Onkel nickte.

      "Aus dem Viertel wollen wir nicht weg, ist ideal für uns, nicht teuer, nette Nachbarn, der Kindergarten um die Ecke, Krischan hat es nicht so weit zur Arbeit", sagte Franzi trotzig. "Zugegeben, das Haus macht wirklich nicht viel her, aber die Miete ist erschwinglich, nur schade, dass wir nur eine Dusche haben – ich bade so gerne - und der Garten nicht benutzbar ist."

      "Das müsst ihr ändern", meinte Onkel Franz nachdenklich und unterdrückte einen Schluckauf.

      Na klar, nichts leichter als das! Franzi blies die Wangen auf. Was dachte er sich denn - kam einmal im Leben vorbei und meckerte an allem herum. Plötzlich meinte sie, ihr bescheidenes Häuschen und den unansehnlichen Garten verteidigen zu müssen.

      Aber Onkel Franz hatte schon einen weiteren Schmerzpunkt entdeckt. "Kommt ihr denn finanziell klar?" Er schluckte an einem Gurkensandwich. "Krischan verdient doch genug?"

      Dieser räusperte sich, aber Franzi kam ihm zuvor: "Also, sobald das Baby zwei Jahre alt ist, werde ich wieder arbeiten."

      Ihr Mann sah auf: "Ach, davon weiß ich ja gar nichts."

      Und Onkel Franz murmelte mit vollem Mund: "Mütter gehören zu den Kindern! Hatte zwar nie welche... war vielleicht auch besser so!" Er klopfte mit dem Zeigefinger auf die Nase und versank ins Grübeln. Seine Mundwinkel sanken nach unten.

      Nach einer Weile, in der die jungen Leute etwas verlegen abwarteten, ob Onkel Franz wieder an die Oberfläche tauchen würde, räusperte sich Franzi: "Ja, ich habe da einen Plan." Sie stoppte und warf einen Seitenblick auf ihren Mann, dann nahm sie wieder Anlauf: "Nur so für mich habe ich mir vorgestellt, ich könnte doch Tagesmutter werden und noch 4, 5 Kleinkinder gegen Entgelt betreuen, mir würde das riesigen Spaß machen. Viel Platz ist ja nicht, aber wenn erst der Garten in Ordnung ist..." Franzis Stimme sank.

      Onkel Franz mümmelte jetzt an den Keksen. "Aber in diesem feuchten Haus! Die armen Kleinen kriegen ja frühzeitig Rheuma! Und aus diesem Garten wird nie was!"

      Franzis Augen füllten sich schlagartig mit Tränen. Er war eben doch ein Scheusal. Sie bereute, ihm von ihrem Traum erzählt zu haben. Krischan griff beruhigend nach ihrer Hand. "Nun, wir wollen schauen, das ist gar keine so schlechte Idee." Ach, der Gute, dachte Franzi mit einem dankbaren Seitenblick, er hält zu mir.

      Onkel Franz zog eine Zigarre heraus, mit einem Blick auf Jonas legte er sie aber wieder zur Seite. "Wie viele Räume braucht ihr denn eigentlich?" fragte er nachdenklich.

      Franzi sah Christian an, der ein wenig zögernd antwortete: "Na, etwas mehr als wir hier haben wäre schon gut."

      Und Franzi fiel mit plötzlich hochroten Wangen ein: "Und vor allem ein richtiges Bad, mit Wanne, nicht nur die olle verrostete Dusche, und eine Veranda oder einen Wintergarten." Sie stoppte, weil sie sich fast ertappt vorkam.

      "Mmmh", machte Onkel Franz und sah ins Weite, während Jonas an ihm hochkletterte. Er bohrte dem alten Herrn seine kleine Faust in die Seite und fragte: "Bleibst du jetzt immer bei uns?" Franzi stieß ein Stoßgebet zum Himmel und setzte ihre unschuldigste Miene auf, als Onkel Franz dies bedauernd verneinte. Den Rest des Nachmittags blätterte Onkel Franz in Familienalben, dann und wann gluckste er laut auf oder hielt ein paar Selbstgespräche. "Iss ne schöne Sache, so'n Fotoapparat!" beschied er dann und streckte seine hagere Gestalt, als Franzi ihre Spezialität „Provenzalischer Lammtopf mit grünen Bohnen“ auf den Esstisch stellte.

      Nach dem Abendessen, bei dem Onkel Franz wenig gesprochen, sich aber immer wieder kritisch umgesehen und schon mal mit schwerer Faust prüfend an die Wände geklopft hatte - "War schließlich mal im Bauamt" - , öffnete Krischan eine zweite Flasche Rotwein. Aber Onkel Franz blies bald zum Aufbruch. Todmüde sah er plötzlich aus, beim Verabschieden brachte er ein schiefes Lächeln zustande. Obwohl Krischan ihn zum Hotel bringen wollte bestand er darauf, ein Taxi zu rufen. Franzi drückte ihm eine Blechdose in die Hand. "Kekse, für die nächsten Tage!" Der alte Herr sah verdutzt auf die kleine Liebesgabe. Auf der Schwelle machte er noch mal kehrt und nahm Franzis Hand, die in seiner Pranke fast verschwand. "Wird schon werden, min Deern!" brummelte er in seinen nicht vorhandenen Bart hinein. Teufel auch, dachte Franzi, das war für ihn sicherlich 'ne richtige Überwindung. Als er gegangen war, fühlte sie sich beklommen. Irgendwie tat ihr der alte Herr in der Seele leid. Krischan half ihr beim Geschirr.

      "Wenigstens eine Tafel Schokolade für Jonas hätte er aber schon mitbringen