Eringus - Hungersnot im Kinzigtal. Rainer Seuring. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Rainer Seuring
Издательство: Bookwire
Серия: Eringus
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783752924848
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ordentlich über die Höhe gepfiffen. Schweigend marschiert die Truppe vorwärts, öfters hinauf, manchmal hinab. Manchmal macht ein Ochse seinem Unmut über die Arbeit Luft; manchmal meckert eine Ziege. Den Vogelsberch hat man hinter sich gelassen und strebt nun den Ausläufern Rainobuchonias entgegen.

      * * * * *

      Am Abend des dritten Tages hat man Uulthaha erreicht. Je näher man der großen Siedlung kam, desto mehr wiesen Spuren im tiefen Schnee auf häufigere Wanderer zwischen den Weilern und Dörfchen hin. Hier war man anscheinend auch schon kurz nach der Auflösung der Wolke aktiv geworden und hat die allgemeine Lage geprüft. Vermutlich führt hier ein großer Herr seine Bauern und sorgt für klare Verhältnisse. Wo sich der Herrensitz aber befindet, war nicht feststellbar. Auch liegt den Zwergen nichts daran, sich mit diesem Menschen zu treffen. Ihr Ziel ist das Kloster von Uulthaha. Hier soll eine größere Rast eingelegt werden.

      Es ist schon fast dunkel, als der Zug vor dem Heim der Mönche anlangt. Doch auf das Klopfen an der Pforte öffnet niemand. Auch auf das Rufen Anschilds rührt sich nichts.

      „Es ist niemand mehr da, Herr.“, sagt ein Mann, der um die Ecke kommt. „Die Brüder sind schon vor gut einem Jahr in ihr Stammhaus gerufen worden. Es heißt, dort habe man von der verheerenden Wolke bereits früher Kenntnis gehabt und habe deshalb die Mönche in Sicherheit gerufen. Uns hat man nichts gesagt und wir haben nur dank Ramwold die schreckliche Zeit überlebt. Dafür stehen wir ihm nun auf Lebzeiten als eigen im Dienst.“

      Der Mann ist schrecklich dürr. Trotz seiner dicken Bekleidung ist das erkennbar. Das Gesicht spricht Bände, ausgemergelt und mit tief liegenden Augen. Die Nase wirkt wie der Schnabel eines Greifvogels.

      „Seid gegrüßt.“, antwortet der Großkönig. „Wir hatten gehofft, hier ein wenig rasten zu können. Unsere Zugtiere wollten wir im Hof unterbringen, damit sie dort in Sicherheit sind. Wisst ihr, wer uns Einlass verschaffen kann?“

      „Das kann niemand, denn die Mönche haben den Schlüssel mitgenommen. Aber ich denke es ist nun auch ihre Schuld, wenn sich jemand mit Gewalt Zutritt verschafft.“ Tiefe Wut und Enttäuschung ist aus der Antwort zu hören.

      „Ihr seid nicht wohl zu sprechen auf die Brüder, stimmt’s?“

      „Wen wundert’s. All die Jahre haben wir treulich den Mönchen geholfen und gedient. Stets war alles zu ihrer Zufriedenheit. Doch dann haben sie uns einfach verlassen und unsrem Schicksal überlassen. Sie kämen bald wieder, haben sie gesagt. Ist das Lohn und Dank für treue Dienste?“

      Darauf geht Anschild nicht ein. Solch ein schäbiges Verhalten ist unehrenhaft. Darüber braucht man kein Wort zu verlieren.

      „Wo wohnt ihr und wie seid ihr uns gewahr worden?“, will er wissen.

      „Unsere paar Hütten liegen gleich hinter der Ecke. Wir durften nicht vor dem Kloster siedeln, um den Zugang frei zu halten. Und, mit Verlaub, Herr, ein Zug von solcher Größe ist nicht in der Lage, unbemerkt irgendwo vorbei zu kommen. Die Ochsen und Ziegen tönen, das Stapfen solch vieler Füße und die gerufenen Befehle verraten euch auf Meilen hinweg. In der Stille ist jedes Geräusch weithin vernehmbar, auch wenn der Schnee es zu dämpfen sucht.“

      Wider besseres Wissen hat der Zwerg diesen Umstand nicht bedacht. Ein gewichtiges Problem für die weitere Reise und vor allem für den Rückweg offenbart sich ihm. Darüber muss er ausgiebig nachdenken.

      „Wahrscheinlich wird auch bald unser Herr, Ramwold, vom Ugesberg herab kommen. Sicherlich hat er von dort oben euch auch schon längst bemerkt und er wird wissen wollen, was hier von Statten geht.“, ergänzt der Mann und trifft ein zweites Mal einen groben Fehler in der Reiseplanung. Von wohl postierten Anwesen auf der Höhe sind sie wohl so auffällig, wie ein schwarzer Wurm auf weißem Tuch.

      „Dann braucht er sich nicht zu beeilen.“, meint Anschild in leichtem Ton. „Wir werden noch etwas hier verweilen. Habt Dank für euren Rat.“ Dann dreht er sich um und ruft: „Brecht das Tor auf. Führt die Wagen hinein und spannt die Zugtiere ab. Das Lager wird direkt hier vor dem Tor aufgeschlagen.“

      Reges Treiben entsteht. Der Mann aus dem Dorf sieht sich allein stehen gelassen. Niemand achtet ihn mehr. Keiner bietet ihm eine erhoffte Mahlzeit an. Missmutig wendet er sich ab und geht nach Hause.

      Nach drei Schlägen hat der Riegel an der Tür nachgegeben. Das große Tor wird dann von drinnen geöffnet. Schon bald sind die Tiere versorgt, die Feuerschalen aufgestellt und in Betrieb genommen. Zuvor hat man den Schnee soweit bei Seite geschafft, dass die heißen Schalen nicht darin versinken und das Schmelzwasser die Feuer löscht. Die Gebäude des Klosters werden nicht betreten. Der Großkönig achtet die Sitten andersgläubiger. Er weiß um die Unantastbarkeit mancher Räume die nur den Brüdern erlaubt sind. Geflissentlich ignoriert er, dass Türen in die Häuser weit offenstehen. Bestimmt sind die Bewohner der Siedlung über die Mauer und haben sich an dem was die Mönche zurückließen, schadlos gehalten. Und, auch wenn das Anwesen recht stattlich ist, reicht der Platz sowieso nicht, um alle unter zu bringen. Gleiches Recht für alle; alle bleiben draußen. Auch er.

      Verwunderlich ist die Tatsache, dass die Brüder schon so früh ihr Kloster verließen. Hatte man die Mönche in Wolfgang vergessen? Oder hat der gierige Abt den Rückruf missachtet, um seine Geschäfte machen zu können?

      Er gesellt sich zu den anderen Gruppenführern und wird prompt mit den neu aufgeworfenen Problemen konfrontiert.

      „Habt ihr bedacht, dass wir so auffällig sind?“, will Genefe Eisengießer wissen.

      „Ich gestehe: Ich habe es im Innersten gewusst, aber gerne beiseite gedrängt. Auch ich habe erkannt, dass dieser Umstand neue Fragen aufwirft. Mit all dem Vieh, das wir besorgen wollen, können wir auch gleich Herolde vor uns her senden, die unsere Ankunft verkünden. Wir werden auffallen wie bunte Hunde. Dabei spielt es keine Rolle, ob wir in kleinen Gruppen oder als großer Haufen durch die Lande ziehen. Die kleinen Gruppen sind dann noch eher eine Einladung, uns zu überfallen. Aber seid getrost, Genefe, ich werde darüber noch ausgiebig nachdenken. Jetzt heißt es erst einmal, so schnell als möglich voran zu kommen. Ob man uns sieht oder nicht, das bleibt sich gleich. Noch rechne ich nicht mit Feindseligkeiten.“

      Ein Ruf verhindert weitere Fragen. „Großmächtiger, ein Reiter naht.“

      Anschild weiß, dass er sich diesen Fragen stellen muss, aber jetzt gilt seine Aufmerksamkeit dem Ankömmling.

      Der Reiter erscheint nicht allein. Vielmehr wird er von zehn Mann zu Fuß begleitet. Bei Anschilds Eintreffen sitzt der Mann immer noch auf seinem Pferd. Ein Fortkommen wird ihm von einer größeren Gruppe Zwerge verwehrt.

      „Wo ist denn der Großkönig der Zwerge? Wo ist Sigurd?“, forscht er herrisch und blickt suchend über die Köpfe hinweg. Als er den jungen Zwerg auf sich zukommen sieht stellt er fest: „Ihr seid nicht Sigurd. Aber ihr erscheint auf den Ruf nach dem Großmächtigen. Was geht hier vor?“

      „Wenn es euch beliebt abzusteigen und euch vorzustellen, so werde ich euch gerne erklären, was hier geschieht.“

      Anschild bleibt völlig ruhig, auch wenn ihm das Gehabe des Menschen nicht gefällt. Der Reiter versteht, dass er hier keinen Untergebenen vor sich hat und lenkt ein. „Verzeiht, sonst werde ich immer zu König Sigurd geleitet.“ Bei diesen Worten steigt er vom Pferd und gibt es einem seiner Leute. Er ist recht breitschultrig, doch mehr ist von seiner Gestalt nicht zu erkennen. Bis ins Gesicht ist er dick vermummt. „Auch wenn der Großmächtige kein Großkönig ist, so spiele ich doch gerne mit, um ihm ein Vergnügen zu machen und meinen Respekt ihm gegenüber auszudrücken. Eigentlich gebührt der Titel ja nur demjenigen, der Herr über alle Zwergenvölker ist. Da es aber nur noch ein Volk gibt, darf man ruhig darüber hinweg sehen, dass er sich den Titel angeeignet hat.“, fährt er irgendwie abfällig fort.

      Er