Aber bald sollten sie sich auch mit eigenen Augen von der entsetzlichen Tatsache überzeugen, denn selbst der „Negertreiber“ war neugierig geworden und nach der Fenz14 zu geeilt, während die Sklaven sämtlich ihre Arbeiten einstellten und nach der nicht fernen Straße hinüberstarrten. Und dort kam der kleine Zug, voran ihr eigener Herr, Mr. Taylgrove, mit seinem Nachbar, dem wegen seiner Grausamkeit gegen seine Sklaven berüchtigten Urguard; neben diesem aber lief mit bloßen Kopf und triefender Stirn, die Arme auf den Rücken geschnürt, die Kleider nur in Fetzen an seinem Leib hängend, der unglückliche Gefangene – dann kamen die übrigen „Herren“, die sich der Jagd wie einem Vergnügen angeschlossen, unter ihnen auch der Doktor von Belleville, eine lange, hagere Gestalt mit einem bösen Gesicht und zum Überfluss auch einem schielenden Auge. Hinter diesen erst und ein Stück zurück kam der Yankee Sherard mit seinen beiden Bluthunden, diese aber fest an der Leine, so dass sie nicht selbst jetzt noch über die ihnen entzogene Beute herfielen. Sie hatten ihre Schuldigkeit getan, ihrem Herrn an dem Morgen etwa fünfunddreißig Dollar Silber, wie vorher ausbedungen, verdient, und ein Menschenleben war jetzt der Willkür dieser übermütigen Baumwoll-Barone verfallen.
Eine typische Fenz aus roh behauenen Stangen
Taylgrove sah allerdings, dass seine Neger feierten, und zu jeder anderen Zeit würde er es streng gerügt haben; unter diesen Umständen aber war es ihm vollkommen recht, denn sie gerade sollten sehen, wie die Weißen in allem, was ihr „Eigentum“ betraf, keinen Spaß verstanden und irgendeinem auch nur gemachten Versuch, sie in dessen Besitz zu stören, die Strafe auf dem Fuße folgen ließen.
Jetzt näherte sich der Zug dem Hause, auf dessen Balkon die Damen schon aufmerksam geworden. Sie waren aufgestanden und an die Rampe des Balkons getreten, und es gab kaum einen lieblicheren Anblick als diese drei reizenden Frauengestalten, wie sie dort, von Blütenbüschen und geschwungenen Ranken umgeben, herausschauten.
„Habt Ihr ihn?“, rief Mrs. Taylgrove ihrem Manne entgegen, wie sie ihn nur in Hörweite wusste.
„Ei gewiss!“, lautete der fröhliche Ruf zurück. „Die Hunde waren vortrefflich!“
„Bravo, bravo!“, riefen die beiden jungen Damen und klatschten vor Freuden in die Hände. „Und was geschieht mit ihm, Mama?“
„Was mit ihm geschieht?“, sagte die Dame verwundert, als ob darüber auch gar kein Zweifel mehr obwalten könne. „Nun, versteht sich, wird er gehangen. In jetziger Zeit müssen abschreckende Beispiele gegeben werden oder die Herren Nigger wachsen uns über den Kopf.“
„Ach, wenn wir das nur auch mit ansehen könnten“, rief Lucie, die Älteste der Töchter, „darf ich mir mein Pferd satteln lassen, Mama?“
„Dann gehe ich mit!“, rief Jenny, die Jüngste.
„Wir wissen ja noch gar nicht, wann und wo das geschieht, Kinder“, sagte aber die Mutter, „jedenfalls stecken sie den Menschen jetzt erst ins Gefängnis, sie hätten ihn sonst gar nicht mit herein gebracht und bis dahin kommt dann auch der Vater nach Hause. Hören wir nachher etwas Bestimmtes, so lasse ich anspannen und wir fahren alle zusammen.“
Die Damen folgten dem Zug mit den Augen, so lange sie den unglücklichen Mulatten in Sicht behalten konnten.
Indessen hatte der herbeigerufene Vice-Sheriff von Belleville, ein heruntergekommener Franzose, der früher ebenfalls Sklaven gehalten, dann aber Bankrott machte und durch den Trunk so tief sank, dass er zuletzt froh war, diesen Posten als quasi Gefängniswärter zu bekommen, den gebundenen Gefangenen übernommen und in seine Zelle abgeführt, und die Reiter zügelten natürlich vor dem Hotel ihre Pferde an, um dort einmal einen frischen Trunk – Claret mit Eis15 – zu tun und dabei nachher das Schicksal des Unglücklichen, oder doch wenigstens die Form, zu beraten; denn was mit ihm überhaupt geschehen müsse, darüber herrschte nicht die geringste Meinungsverschiedenheit unter ihnen. Es verstand sich von selbst, dass er gehangen wurde, aber es war trotzdem nötig, ein gewisses Verfahren dabei zu beachten, dass sich die Betreffenden nicht später den Vorwurf verübten Mordes zuzogen. Lag doch eigentlich noch nicht einmal eine Anklage gegen den Gefangenen, sondern nur eine Denunziation, noch dazu eines Negers, vor, und gerade deshalb war es nötig, die weiße Bevölkerung des Ortes zu dem Urteil heranzuziehen.
Einer Unregelmäßigkeit gegen die Gesetze machte man sich bei alle dem schuldig, denn das eigentliche Gericht saß jetzt nicht, und dem regelmäßigen Gang der Geschäfte nach hätte der Gefangene für die gesetzlichen Assisen16 aufgehoben werden müssen, aber wer kümmerte sich um die genaue Befolgung solcher Vorschriften im Krieg. Jetzt herrschte ein Ausnahmezustand, und dass sich die Pflanzer, überdies gereizt und erbittert, eine solche Gelegenheit nicht entgehen ließen, verstand sich doch von selbst.
Das Hotel de Belleville hatte früher das Sternenbanner im Schild gehabt und sich lange Jahre wohl darunter befunden. Gleich aber nach Ausbruch der Revolution, und nachdem die Rebellen bei der Einnahme von Fort Sumter17 die „Sterne und Streifen“ in den Staub geworfen und ihre eigene Flagge gehisst hatten, fand es der Wirt für unumgänglich nötig, auch sein Schild zu wechseln und vertauschte es natürlich mit der neugewählten Flagge der Sezessionisten.
Es war überhaupt das Verkehrteste gewesen, was die Rebellen hätten tun können, dass sie nämlich das Sternenbanner, für das ihre Vorfahren eben so gut gekämpft als der Norden, da selbst Georgien zu den ersten dreizehn Staaten gehörte, welche England den Krieg erklärten18 – dass sie also das Sternenbanner fallen ließen und zu einer neuen und den Staaten fremden Flagge schwuren. Tausende wären unsicher geblieben, auf welcher Seite sie kämpfen sollten, wenn beide das nämliche Banner beibehalten hätten; die alten Sterne und Streifen übten aber doch die größte Anziehungskraft, und von dem Moment an blieb auch schon das Schicksal der Rebellion – ob es sich auch noch Jahre hinaus zögerte – entschieden.
Die amerikanische „Betsy-Ross-Flagge“, der Legende nach 1776 entstanden
Die Flagge der Union mit 35 Sternen zu Beginn des amerikanischen
Bürgerkrieges
Flagge der CSA, der Konföderierten Staaten Amerikas von 1864/65
Das Hotel war, wie die meisten dieser südlichen Staaten, dem Klima angemessen eingerichtet. Vorne und gleich am Eingang befand sich ein fast das ganze Haus einnehmender Salon, der allerdings auch einen Kamin hatte, weil es im Januar und Februar doch manchmal kalte Tage gab, und die frostigen Südländer dann ein Feuer liebten – der sonst aber hohe Fenster und weite Türen zeigte, so dass in der heißen Jahreszeit der Luftzug durch das ganze Gebäude strich.
Hinter dem Frontsalon lag der Speisesaal, rechts davon das Comptoir19, links die Wohnung für den Wirt und seine Familie, während die oberen Räume allein zu Logier- oder Fremdenzimmern bestimmt schienen. Die „Bar“ oder der Schenkstand befand sich im Speisesaal und konnte Nachts durch eine Doppeltür verschlossen werden, während das dazugehörige Fenster nach außen hin ein eisernes Gitter zeigte. Spirituosen sind nämlich in Negerdistrikten ein sehr verlockender Gegenstand und mussten besonders gegen Einbruch oder Veruntreuungen geschützt werden.
Die ganze Gesellschaft begab sich in den Speisesaal, wo die Bar lag, um dort den gegenwärtigen Fall zu beraten; und wenn sich Sherard, der seine Hunde