Wohl eine Viertelstunde mochte er so gelegen haben; die abgearbeitete Brust begann etwas ruhiger zu atmen, und aus einem neben ihm liegenden Rindenstück, in dem der letzte Regen etwas Wasser zurückgelassen, schlürften die trockenen Lippen die Feuchtigkeit auf. Da fuhr er plötzlich jäh und scheu empor – die blutunterlaufenen Augen wandten sich angstvoll der Gegend zu, von der er gekommen, und sekundenlang horchte er mit peinlicher Spannung dem geringsten Geräusch und wandte nur einmal rasch und erschreckt den Kopf, als dicht neben ihm, im nächsten Busch, eine kleine Eidechse blitzschnell über die Wurzel des Baumes hinglitt und unter dieser verschwand.
Da – wieder der lang gezogene, wenn auch noch weit entfernte Laut.
„Oh Du großer Gott!“ stöhnte der unglückliche Mulatte und barg sein Antlitz für kurze Sekunden in den Händen – aber auch nur für Sekunden, denn wieder klang der Ton durch den Wald, der ihm das innere Herzblut erstarren machte, und sich vom Boden emporraffend, floh er noch einmal in wilder Hast in das Dickicht hinein.
Momentan lag der Wald jetzt wieder so still als vorher – die Grillen zirpten in den Bäumen, der Häher kreischte, und oben aus dem Wipfel eines Pecannußbaumes5 fielen die Schalen der Früchte in das dürre Laub nieder, die sich ein Eichhorn dort oben gepflückt und aufgeknackt hatte. Aber deutlicher schallten jetzt die Menschenstimmen durch die Wildnis – das laut ausgestoßene „Hupih!“ der Verfolgenden ließ sich schon bis hierher vernehmen, ja bald sogar das gierige Winseln der auf der Fährte heranhetzenden Bluthunde unterscheiden.
Und nun brachen und knackten die Büsche – der Häher strich kreischend ab und ließ seinen ängstlichen Warnungsruf erschallen: das Eichhörnchen hielt mitten im Knacken ein und horchte erstaunt nach den fremdartigen Lauten nieder, und aus dem Dickicht hervor sprangen die Hunde, die stumpfen Nasen dicht am Boden, bis zu dem Baum, unter welchem der Mulatte gelegen. Hier aber hielten sie plötzlich; die Spur wurde zu frisch und warm, und ordentlich gierig bohrten sie ihr Gefänge in das Laub hinein, als ob sie darunter hervor das Opfer wühlen könnten.
Dicht hinter ihnen kamen die Reiter.
„Hallo!“, rief Harper, indem er sich hoch im Sattel emporrichtete. „Hat der Schuft da aufgebaumt?“ Der Yankee schüttelte mit dem Kopf.
„Nein“, sagte er. „Nur hier im Laub gelegen; ich denke, er wird matt und ist auch wohl nur frisch aufgesprungen, als er uns in der Ferne hörte. Jetzt haben wir ihn bald, Gentlemen – ich garantiere Ihnen, dass es keine Viertelstunde mehr dauert; und nun ist er auch nicht mehr imstande, den Fluss zu erreichen, ehe wir ihm auf den Hacken sitzen. Hupih! Meine Hunde! Vorwärts! Huh! Huh!“
Bull hatte schon, während Nigger noch mit augenscheinlicher Gier den warmen Geruch des Feindes einschnüffelte, den Kreis um den Baum abgesucht, aber auch rasch wieder die Fährte gefunden, und wie er nur den ersten Laut gab, war auch Nigger an seiner Seite. Dorthin schossen sie, und hinter ihnen her mit jauchzendem und gellendem Jubelruf, die berittenen Truppen der – Henker.
Die Jagd dauerte in der Tat nicht mehr lange. Das abgehetzte menschliche Wild konnte seinen schnellfüßigen Verfolgern nicht mehr lange ausweichen, so oft es auch noch versucht zu haben schien, an passenden Plätzen seitab zu springen und dadurch jene entsetzlichen blood hounds – wenigstens auf eine Zeit lang – irre zu führen. Nach ein paar Kreuz- und Quersprüngen trafen sie immer gleich wieder den richtigen Punkt und brachen, je wärmer die Fährte wurde, nur so viel wütender hinterdrein.
„Wenn die Hunde mit ihm aufkommen“, sagte der junge Harper, der mit dem alten Mr. Taylgrove an Sherards Seite galoppierte, „so werden wir doch nichts von ihm haben, denn sie reißen ihn jedenfalls in Stücke.“
„Tot oder lebendig war der Contract, Gentlemen“, sagte der Yankee, der sich hier in den südlichen Staaten anfangs mit Sklavenhandel, d.h. mit dem Detailgeschäft6, befasst hatte und jetzt, da es damit nicht mehr so gut ging wie früher, ein halb Dutzend echte Bloodhounds hielt.7 Es war auf die Neger kein rechter Verlass mehr, und deshalb ratsam, etwaigen Fluchtgelüsten derselben stets so rasch als möglich zu begegnen.
„Tot oder lebendig?“, rief Harper lachend. „Ei gewiss, Sherard, das war der Contract und soll so bleiben; glaubt Ihr, dass ich mich um dessen braune Haut sorge?“
„Es ist auch nur ein freier Neger“, warf Taylgrove ein, „der überhaupt in diesen Distrikten gar nichts zu suchen hat – es geschieht deshalb keinem Menschen ein Schaden, als ihm selber. Aber was haben die Hunde? – Doch nicht wieder die Spur verloren?“
„Sie sind unsicher geworden“, erwiderte Sherard, der zu den Bloodhounds jetzt hinangaloppierte. „Was gibt’s, Nigger? – Was habt ihr Bestien? – Komm, Bull, such’ hübsch, huß, fass’, mein Hund – Du sollst Dir auch ein richtiges Maul voll aus ihm herausnehmen dürfen.“
Die Hunde schienen aber wirklich die Fährte wieder verloren zu haben, und Sherard winkte seinen Begleitern, die vorher zurückgeblieben, mit aufgehobenem Arm, damit sie die hier unsicher gewordenen Spuren nicht zerstörten. Da richtete sich Nigger plötzlich mit beiden Vorderfüßen an dem nächsten Baume empor und zog die Luft ein; in demselben Moment schrie auch einer der jetzt herankommenden Reiter:
„Dort ist er! Da oben sitzt er – hip hip hip Hurra! Wir haben die Kanaille!“
Im Nu warfen die Reiter ihre Pferde herum und ritten ein Stück zurück, um einen besseren Überblick über den bezeichneten Baum zu gewinnen. Es dauerte denn auch nur sehr kurze Zeit, bis sie in dem Wipfel eines wilden Maulbeerbaumes die dunkle, zusammengekauerte Gestalt des Mulatten erkannten. Der Stamm des Maulbeers war allerdings ziemlich stark, und es würde selbst einem jungen und unerschöpften Menschen schwer geworden sein, soweit daran hinaufzuklettern, um die ersten, unten auszweigenden Äste zu erreichen. Dicht darunter stand aber ein niedriger Dogwoodbaum , der sich ziemlich leicht ersteigen ließ, während der eine Ast des Maulbeers unmittelbar über dessen Wipfel hinlag und von dort nicht allein sehr leicht erreicht werden konnte, sondern auch noch durch eine niederhängende Rebe die beste und sicherste Hilfe bot, sich hinauf zu schwingen.
Diese Hilfsmittel musste der zum Tod Erschöpfte benutzt haben, um einen Platz zu erreichen, der ihn wenigstens außer den unmittelbaren Bereich der gefürchteten Hunde brachte, denn dass er den Verfolgern damit nicht entrinnen konnte, wusste er gut genug. Er war seinem Geschick verfallen – und Gerechtigkeit? – Du großer Gott, er hatte als N e g e r die Meute der W e i ß e n hinter sich, die durch den Krieg mit den Nordstaaten und durch die Proklamierung der Negerfreiheit kurz vorher , an ihrem sämtlichen Vermögen und ,Eigentum’ bedroht und wütend und erbittert waren, und dass er von denen kein Erbarmen hoffen durfte, lag auf der Hand. Wie er da oben, zum Tode ermattet, und mit kaum noch Kräften genug, sich nur an den Zweigen festzuhalten, in dem Baume hing, kam ihm auch wohl der Gedanke, ob es nicht besser sei, rasch unter den scharfen Fängen der mordgierigen Bestien zu verbluten, als sich erst noch langsam zum Galgen schleppen zu lassen; aber es war das wenigstens a u g e n b l i c k l i c h e Rettung, und wer hinge nicht so am Leben, dass er die Stunde seines Todes, so lange es in seinen Kräften steht, nicht hinauszögerte!
Ein nordamerikanischer Sklave mit den Narben von Peitschenhieben
„Haha, mein Bursch!“, rief da Taylgrove, indem er einen seiner Revolver rasch aus dem Halfter riss und mit der gespannten Waffe nach dem also Gestellten zielte. „Soll ich Dich von droben wie einen wilden Truthahn herunter schießen, oder willst