IHP Last Hope: Epicinium. Andreas Bernrieder. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Andreas Bernrieder
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783753132228
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still und machte sich Notizen. Am Ende führte er seine Beobachtungen aus, ging auf einige Kritikpunkte ein und forderte von der Gruppe eine abschließende Analyse bis zu seiner nächsten Unterrichtsstunde.

      Danach präsentierten die anderen Gruppen, mal etwas besser, mal etwas schlechter. Naomi verfolgte die verschiedenen Ansätze interessiert, merkte sich gute Ideen und achtete auf Kirginjas Feedback. „Gruppe 5, wenn ich bitten darf.“, sagte dieser schließlich. Sollte sie ihr Ergebnis präsentieren und dadurch die anderen ihrer Gruppe vorführen? Bevor sie sich dazu durchringen konnte hörte Naomi, wie jemand nach vorne ging. Es war Misa, deren schwarzes Kleid um ihre Knöchel strich. Sie trat vor die Klasse und blickte erst einmal schweigend in die Gruppe hinein. Schließlich räusperte sich Professor Kirginja und bedeutete ihr zu beginnen.

      „Wir als Gruppe haben uns darauf konzentriert gesellschaftlich bedeutende Personen zu evakuieren und dafür zu sorgen, dass möglichst viele der Drahtzieher gefangen zu nehmen, um sie zu verhören und dieses Terroristennetzwerk auszuheben.“ Sie öffnete einen Plan, auf dem die Geiselnehmer und ihre Geiseln markiert waren. Diese leuchteten jetzt in verschiedenen Farben auf und Misa erklärte „Die Grün markierten haben wir als wertvoll markiert. Unsere Kriterien waren dabei zum Beispiel der gesellschaftliche Stand, der Beruf und das Alter der betroffenen. Die orangen markierten Terroristen waren die Rädelsführer des Angriffs und sollen für spätere Verhöre verschont bleiben. Soweit ich weiß wurde beim realen Angriff nur eine “, ihre Augen flackerten zu Naomi, „Anführerin festgenommen. Mit unserem Plan wäre es möglich bis zu 5 hochrangige Personen gefangen zu nehmen und dabei bis zu 200 Personen zu evakuieren. Beim realen Angriff wurde diese eine Anführerin gefangen genommen, während nur 53 Personen den Anschlag auf lange Sicht überlebten.“

      Daraufhin startete sie ihre Simulation und erklärte die Vorgehensweise der Eingreiftruppe detailliert. Naomi kam nicht umhin zu bemerken, dass sich die kleinen dicht gedrängten Punkte, die Misa zur Evakuierung ausgewählt hatte weit weg von der Position war, wo sie selbst zusammen mit ihrem Vater und ihrer Schwester vor so vielen Jahren gestanden hatte. War Misa das bewusst, oder unterstellte sie ihr nur aufgrund ihrer verletzten Gefühle etwas? Sie wischte ihre Gedanken beiseite und konzentrierte sich auf den Plan, den die übrigen Mitglieder von Gruppe 5 ausgeheckt hatten. Sie musste zugeben, dass der Plan brilliant durchdacht, wenn auch in der Ausführung enorm komplex sein würde. Misa hatte schon immer viel von Strategie verstanden, sie wusste um die Schwächen ihrer Gegner und auch wie man sie ausnutzen konnte, wie Naomi schon zur Genüge am eigenen Leib erfahren hatte.

      Auf einmal kamen ihr Zweifel, würde ihr Plan mit Misas mithalten können, was würden die anderen über sie denken. Naomi hatte sich einzig darauf konzentriert die Zahl an geretteten Leben zu erhöhen. Kompromisslos. Im Vergleich zu Misas Plan wirkte er kalt, Misa warf ihre Soldaten in Linien in das Gefecht, um so die Angreifer von den Zivilisten zu trennen. Doch zu viele schafften es die Bomben zu aktivieren und lösten so ein ums andere Mal eine Kettenreaktion aus Toten hervor.

      Nachdem Misa fertig war setzte sie sich unter höflichem Klopfen ihrer Klassenkameraden wieder auf den Platz, während Kirginja seine üblichen Beleherungen hielt. Als er daraufhin Anstalten machte den normalen Unterricht fortzusetzten entspannte sich Naomi etwas. Ihm war wohl nicht aufgefallen, dass auch sie eine Simulation bereitgestellt hatte und vielleicht war es besser so. Sie musste ihre Klasse auf andere Weise davon überzeugen, dass sie auf der richtigen Seite stand. Doch in diesem Moment fragte der Professor in den Raum hinein.

      „Ich denke einer von Ihnen sollte mir etwas erklären.“ Er ließ seine Worte einen Moment im Raum stehen, streifte mit dem Blick durch die leicht unruhigen Studenten und fuhr dann fort. „Ich war der Ansicht, soeben die Simulation der Gruppe fünf gesehen und bewertet zu haben. Aber mein Terminal hier möchte mir weißmachen, dass es noch eine weitere Simulation dieser Gruppe gibt.“ Nach einem Moment des Zögerns fügte er schärfer hinzu. „Also?“

      Naomi wollte sich gerade erklären, als sie Marcos Stimme hörte. Sie drehte sich zu ihm um, er war aufgestanden und trug nun in leicht anklagenden Blick vor. „Ja Sir, das kann ich. Wir wollten alle gemeinsam an der Aufgabe arbeiten, aber die Neue, Naomi Orinama, wollte nicht mit uns zusammenarbeiten.“ Er hob hilflos die Arme. „Sie hat gesagt, wir würden nicht wissen wie so etwas anzupacken …“ „Das stimmt nicht.“, fuhr Naomi auf, einen Moment lang ihre Besonnenheit vergessend. „Ihr wolltet mich nicht dabeihaben!“ Jetzt schaltete sich auch Misa ein und rief. „Sie lügt, Marco hat Recht. Laura und Nils haben auch gehört was sie gesagt hat.“ Alle Augen richteten sich auf die Zwei, die nach einem zögernden Moment schleppend nickten. Naomi spürte die Zornesröte in ihr Gesicht steigen. Die vier trieben ein falsches Spiel mit ihr und sie hatte keine Chance sich zu wehren. Ihr Ausbruch hatte ihr in der Klasse wahrscheinlich weitere Antipathien eingebracht und so schwanden ihre Hoffnungen auf einen Neuanfang immer weiter.

      Professor Kirginja schaute sie, Marco und Misa abwechselnd an, bevor er hinter seinem Pult hervorkam und sich vor ihrem Platz aufbaute. Es war ein beeindruckender Anblick, wie eine Mauer stand er vor ihr, die Arme vor der Brust verschränkt und missmutig auf sie hinabsehend.

      „Also Miss Orinama.“, begann er kühl, „ich denke in Ihrer bisherigen Ausbildung wurde eine Tatsache, eine wichtige Komponente des Sicherheitsdiensts sträflich vernachlässigt.“

      Er setzte eine bedeutungsschwere Pause. „Zusammenarbeit, Miss Orinama. Zusammenarbeit ist das was unsere Bemühungen zusammen hält. Denken Sie ein einziger Mann kann einen wütenden Mob von Demonstranten aufhalten. Denken Sie eine einzelne Frau könnte die Last der Welt auf ihren Schultern tragen? Nein. Niemand kann das. Allein sind wir schwach, kaum besser als Tiere. Zusammenarbeit ist das was die Menschheit voran bringt.“, er breitete die Arme aus, umschloss den ganzen Raum mit ihnen. „Zusammenarbeit ist das, was diesen Ort erschaffen hat, im am Leben hält. Alleine wären wir schon alle mausetot. Merken Sie sich das, bei der nächsten diesbezüglichen Abweichung werde ich dies in Ihrer Akte vermerken. Bis dahin legen Sie bis nächste Woche einen Aufsatz vor, der sich mit dem Sinn von Zusammenarbeit in militärischen Belangen befasst.“

      „Ja, Sir“, brachte Naomi mühsam heraus und blickte auf Kirginjas Kinn, zu zermürbt, um ihn in die Augen zu sehen. „Gut, da wir das geklärt haben.“, er hockte sich wieder auf seinen Sitz, „Sie dürfen uns nun zeigen, was ein Einzelner schaffen kann. Zeigen Sie uns Ihre Demonstration.“

      Naomi schluckte, sie spürte beinah die Schadenfreude mancher ihrer Mitschüler und war nicht erpicht darauf sie noch weiter gegen sich aufzubringen. Aber dem Professor zu widersprechen stand außer Zweifel, also erhob sie sich, strich ihr Kleid glatt und trat vor die Klasse.

      Von dieser Perspektive wirkte er größer, die Rekruten saßen dicht gedrängt beieinander, einige tuschelten miteinander. Naomi schloss einen Moment die Augen, atmete einmal ein, einmal aus und ließ dann mit einigen Gesten den Beginn ihrer Simulation hinter sie projizieren. Sie erklärte mit ruhiger Stimme ihren Plan, versuchte keine Emotionen in ihre Stimme einfließen zu lassen, sie wollte ihn wie die logische Konsequenz der Ausgangslage darstellen und dazu passte keine persönliche Betroffenheit.

      „Die einzige Möglichkeit eine Vielzahl an Zivilisten zu retten ist das persönliche Opfer anderer.“, sagte sie. Ihre Simulation zeigte, wie die Soldaten sich von verschiedenen Stellen aus auf den Weg machten und Reihe um Reihe Menschen niederschossen. Es war eine schreckliche, ja im Prinzip unverzeihliche Tat. Aber Naomis Plan sah vor, dass die Soldaten so schnell wie möglich zu den Attentätern kamen, und diese versteckten sich nun mal in der Menschenmenge. Einige der anderen Gruppen waren mit Stoßtrupps in die Menschenmenge vorgerückt und hatten versucht die Terroristen auszuschalten, aber die verängstigten Menschen kosteten den Soldaten Zeit.

      „Diese Opfer sind bedauernswert, müssen aber in Kauf genommen werden, um eine größere Anzahl an Menschen zu retten.“ Ihre Simulation lief weiter und zeigte, wie ein Terrorist nach dem anderem aufflackerte und dann verblasste. Sie starben. Aber nicht durch ihre eigene Hand, durch die Bomben, die sie sich umgeschnallt hatten, nein sie starben durch Gewehrkugeln der Soldaten. Unter der Annahme, dass die Attentäter denselben zeitlichen Ablauf abhalten würden, versuchten sich zu verstecken und die Bomben nur als letzte Möglichkeit sahen ermöglichte Naomis Plan es einen großen Teil von ihnen auszuschalten. Der Preis dafür waren Leben.