FREMDKÖRPER. Michael Haderer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Michael Haderer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738088106
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deutlich zu verstehen. Kein Zweifel. Es war das Wort. Das Wort, das den Landauer in Aufregung versetzte. Der Gorilla schaute verstört. Alles in allem hoffte er, wegen dieses Vorfalls seinen Arbeitsplatz nicht zu verlieren.

      »Er hat Bá-e-Yaan gesagt, stimmt das?«, wandte sich der Landauer an seinen Angestellten. »Stimmt das?«

      »Ja, Chef.« Das war jetzt nicht einfach nur Unterwürfigkeit. Er hatte das Wort wirklich gehört, auch wenn es ihm nichts bedeutete.

      »Vergiss die Rettung, trag ihn ins Büro!«, kam die neue Order. »Sofort!« Der Leibwächter trug Herb also ins Büro und trat mit einem Fuß so gegen die Tür, dass diese hinter ihm zufiel. Man wollte ungestört sein. Er legte Herb auf eine teure Lederbank. Vorsichtig, um das Möbel nicht zu beschmutzen. Designerstück. Normalerweise durfte sich nur der Landauer dort ausruhen. Sein Privileg als Chef. Wehe, es wagte jemand, sich draufzusetzen. Und jetzt? Jetzt lag da ein heruntergekommener Spieler, dreckig und von einer seltsamen Krankheit befallen, zitternd auf dem Allerheiligsten. Hoffentlich nichts Ansteckendes. Das wäre so ziemlich das Letzte, was der Landauer jetzt noch brauchte, in seinem erbärmlichen Zustand. Er schluckte den Ekel und die Angst vor Ansteckung trotzdem runter. Etwas von dem, was Herb da in seinem Delirium gemurmelt hatte, musste von unschätzbarem Wert sein. Das hatte sogar der Leibwächter verstanden.

      Über der edlen Couch hing ein weniger edles Schwarzweiß-Foto von einer nackten Frau und einer sprudelnden Sektflasche zwischen den Brüsten. Typisches Erotik-Aktbild bei schwacher Beleuchtung, irgendwo zwischen vermeintlichem Kunstanspruch und weniger vermeintlicher Anspielung auf die Freuden einer Ejakulation. Der Rest des Raumes war mit dem typischen vorhersehbaren Bürointerieur angefüllt. Billige Metallregale für die Geschäftsbücher und Steuerordner. Ein PC. Nicht das allerneueste Modell, aber auch nicht aus dem Jahre Schnee. Am ehesten würde man geschmacklich dem alten Schreibtisch etwas abgewinnen. Erbstück. Wahrscheinlich konnte da jemand seine Schulden nicht zahlen und setzte die Antiquitäten seiner Oma stattdessen für sein Leben ein.

      Herbs Anfall schien nachzulassen. Das Zittern klang allmählich ab. Aber er war noch nicht wirklich ansprechbar.

      »Hey, du! Bist du endlich wach?« Der Landauer beugte sich über Herbs Gesicht und nahm die Sauerstoffmaske zur Seite, damit er deutlicher sprechen konnte. »Was weißt du von Bá-e-Yaan? Na los, red schon! Genug geschlafen!« Er schlug ihm ins Gesicht, so fest es ein COPD-Kranker eben konnte. Keine Regung.

      Was dachten die sich? Natürlich kam von Herb keine Antwort. Man stelle sich das mal vor. Erst kriecht dir ein Käfer ins Ohr, du zerstichst dir selbst das Trommelfell, die monatliche Stütze geht dir flöten, weil du von einem chinesischen Neujahrsdrachen in die Irre geführt wirst, dann streckt dich ein klassischer Epi auf dem dreckigen Boden eines dreckigen Cafés nieder und am Ende wollen alle nur von dir wissen, was du während dieses Anfalls genau gesagt hast, obwohl dein Bewusstsein gerade auf Grund gelaufen ist. Und sie nehmen dir noch nicht einmal den Beißkeil aus dem Mund. Die spinnen doch!

      »Pass gut auf ihn auf. Dass er mir nicht abhaut. Er mag ein Nichts sein, ohne Wert für die Welt, aber für mich ist er in Gold nicht aufzuwiegen. Van Helsinger ist in der Stadt. Macht seine Verkaufstour für die reichen Einfaltspinsel. Das ist morgen, glaube ich, in diesem Gasthaus zum Mittelpunkt der Welt. Ich freu mich schon auf van Helsingers Gesicht, wenn er von dieser Geschichte hört.«

      06

      Janis hing im Griff der beiden Wachmänner wie ein Kleid an einer Wäscheleine. Ihre Füße baumelten gerade mal ein, zwei Zentimeter über dem Boden. Fast hätte sie die Fliesen berühren können. Sie fühlte sich wie in Trance, verwirrt, weil sich ihre Träume in abgewandelter Form zu wiederholen schienen. Ihr Widerstandsgeist, wenn sie denn überhaupt einen besaß, begann sich aufzulösen. Irgendwie war ihr das eigene Schicksal langsam egal. Hauptsache, es entschied sich endlich, was es wollte.

      Die Männer schleppten sie durch so viele verschiedene Zimmer, dass sie die Orientierung verlor und, wenn sie es denn gewollt hätte, nicht mehr von allein den Weg zurück in ihre Zelle gefunden hätte. Schließlich klopfte einer der beiden an die Tür eines Raumes mit der Aufschrift »BEFRAGUNG« und öffnete sie, ohne eine Antwort abzuwarten.

      Das Zimmer war fensterlos und nicht sehr groß. Seine Einrichtung karg. Nur das Nötigste. Ein einfacher Holzstuhl mit Gurten an den Armlehnen und den Stuhlbeinen dominierte die eine und ein schwerer Schreibtisch aus Eiche die andere Hälfte des Raumes.

      Janis ließ sich, ohne sich dagegen zu wehren, an den Stuhl fesseln. Die beiden Wachen postierten sich martialisch stramm hinter dem Schreibtisch. Es schien Janis eine Ewigkeit, bis sie hörte, wie sich hinter ihr die Tür öffnete und jemand eintrat.

      Sie drehte den Kopf, so weit es ging, und schaute einem kleinen, auffällig korpulenten Mann in schwarzem Talar und weißer Allongeperücke dabei zu, wie er, ob seines Übergewichts hörbar schnaufend, die paar Meter zu seinem Platz hinter dem Schreibtisch zurücklegte und sich erschöpft in seinen Drehsessel fallen ließ. Er wartete, bis sich sein Puls etwas beruhigt hatte, und legte die mitgebrachte Aktentasche vor sich auf den Tisch. Diese Anstrengung einmal hinter sich gebracht, nahm er kurz die Perücke ab, wischte sich mit einem Taschentuch den Schweiß von der Glatze und setzte den schulterlangen Kopfschmuck wieder auf seinen Platz.

      Er nahm schweigend einen Akt mit der Bezeichnung UES1/0 aus der Tasche und öffnete ihn. Trotz der schweren Hornbrille auf seiner Nase las er über die Gläser hinweg. Dabei formte er die Lippen zu einem Kringel. Durch das kleine Loch, das sich so bildete, stieß er ab und an Luft aus und schüttelte den Kopf, als könnte er nicht glauben, was er da sah.

      »Warum bin ich hier? Was haben Sie mit mir vor?« Janis wagte es, die quälende Ruhe zu unterbrechen.

      Der fette Beamte sah über den Akt und warf ihn dann achtlos vor sich hin auf den Schreibtisch. Nun nahm er sehr langsam die Brille ab, klappte ebenso langsam den einen und danach noch langsamer den anderen Bügel zusammen und legte sie sorgsam dazu. Er lehnte sich etwas vor und sprach in übertrieben ruhigem Tonfall:

      »Ich werde ihm nun erst einmal die Spielregeln erklären. Damit wir uns klar verstehen.« Er gab den Wachen ein Zeichen, indem er seinen Zeigefinger etwas krümmte, woraufhin sich die beiden aus ihrer statuenhaften Stellung lösten und sich neben Janis postierten. So konnten sie eine erneute Subordination der Gefangenen unterbinden oder sofort bestrafen.

      »Hier stelle ich und ausschließlich ich die Fragen. Es ist hier, um auf diese meine Fragen zu antworten. Wahrheitsgemäß. Nichts weglassend und nichts hinzufügend.«

      Janis wollte etwas erwidern, doch schon spürte sie die Hand der einen Wache auf ihrer Schulter und sie ließ es bleiben.

      »Außer ausführlichen und den Tatsachen folgenden Antworten erwarte ich mir unbedingte Kenntnisnahme und Befolgung meiner Anordnungen. Sonst nichts. Keine Zwischenfragen und keine anderweitigen Unterbrechungen meiner Rede. Dies hier ist keine Diskussionsveranstaltung. Ist das klar?«

      Ehe Janis überhaupt antworten konnte, wiederholte er in doppelter Lautstärke:

      »IST DAS KLAR?«

      »Ja«, kam es kleinlaut von Janis zurück.

      »Gut. Dann kann ich ja endlich mit der Befragung beginnen.«

      Er lehnte sich überlegen in seinem Stuhl zurück und faltete die Hände vor seinem Bauch, als wollte er beten.

      »Name?«

      »Janis«

      »Janis. Ist das alles? Janis?«

      »Das ist alles, woran ich mich erinnern kann.«

      »Was ist es? Woher kommt es? Warum ist es hier?«

      »Es?«

      »Na ES, das Subjekt, das behauptet, den Namen Janis zu tragen!« Er deutete auf sie!

      »Ah, ich! Das würde ich selber gerne wissen! Ich habe keine Ahnung. Ich werde hier gegen meinen Willen festgehalten …!«

      »Gegen seinen Willen?« Er zog eine seiner buschigen schwarzen