„Wie nennt dich denn das Krankenhauspersonal?“
Sie lächelte leicht.
„Ich bin die junge Dame aus dem Zimmer elf.“
Andres nickte.
„Und wie geht es dir allgemein?“
„Seit drei Tagen bin ich auf der normalen Station. Hier ist es viel angenehmer, da es viel leiser ist, als auf der Intensivstation. Laute Geräusche und helles Licht wirken sich verstärkend auf meine Kopfschmerzen aus, deshalb haben sie mich in ein Einzelzimmer verlegt. Es ist zwar schön still hier, aber dafür auch langweilig. Ich freue mich immer, wenn die Visite kommt oder die Krankenschwestern nach mir sehen. Alleine kann ich leider noch nicht aufstehen, da ich nicht schwindelfrei bin.“ Sie machte eine Pause und blickte ihm offen in die Augen. „Es ist schön, dass du mich besuchst.“
Andres erwiderte ihren Blick.
„Wenn du möchtest, dann besuche ich dich wieder. Vielleicht am Mittwoch?“
„Das würde mich sehr freuen.“
Andres erhob sich und drückte leicht ihre Hand, an der kein Tropf angeschlossen war.
„Jetzt muss ich leider gehen. Brauchst du vielleicht irgendetwas? Soll ich dir am Mittwoch etwas mitbringen?“
Sie zögerte und er sah ihrem Gesicht an, dass sie sich nicht traute.
„Los, raus mit der Sprache! Was brauchst du?“
„Ich … ich habe nur dieses OP-Hemd, das ich anhabe. Ani, die Krankenschwester, war so lieb und hat mir Pantoffeln, Unterwäsche und ein paar Drogerieartikel besorgt. Ich bräuchte aber noch ein, zwei Hosen, T-Shirts und vielleicht noch eine Jacke, wenn ich irgendwann nach draußen darf. Ich habe sonst niemanden, den ich darum bitten könnte.“
„Ist gar kein Problem“, erwiderte er lächelnd, „Kriegst du alles in drei Tagen. Vielleicht sogar schon in zwei, wenn ich mir am Dienstag etwas Zeit freinehmen kann. Welche Größe hast du denn?“
Sie zog die Schultern hoch und sah ihn unglücklich an.
„Ich weiß es nicht.“
„Auch gut, wird auch so irgendwie gehen. Ich kaufe ein paar Sachen, du probierst sie dann an und was dir nicht passt, bringe ich wieder in den Laden zurück, okay?“
„Das wäre sehr nett von dir.“
Er lächelte und drückte wieder leicht ihre Hand.
„Bis bald, junge Dame aus dem Zimmer elf.“
„Bis bald, Andres“, erwiderte sie und blickte ihm nach, bis er die Tür hinter sich wieder schloss.
*
Das Einkaufen erwies sich als kein so einfaches Unterfangen. Wäre die Verkäuferin nicht so geduldig, kompetent und hilfsbereit gewesen, hätte Andres es kaum geschafft vernünftige Sachen für seinen Schützling, wie er das Mädchen in Gedanken nannte, zu kaufen. Er kaufte noch etwas Obst auf dem Markt und einen Strauß aus rosafarbenen Pfingstrosen.
Als er durch den Flur der Station lief, kam ihm wieder die junge Krankenschwester, die er schon am Sonntag gesehen hatte, entgegen. Er grüßte sie und sie grüßte freundlich zurück.
„Da wird sich aber jemand über Ihren Besuch freuen“, sagte sie fröhlich. „Sie hat schon gestern den ganzen Tag auf Sie gewartet.“
Er lächelte und zuckte entschuldigend mit den Schultern.
„Es ging leider nicht früher.“
Am Zimmer elf angekommen, klopfte er leicht an die Tür und als er ein leises ´Herein´ hörte, trat er ein.
„Hallo! Na, wie geht es der jungen Dame aus dem Zimmer elf heute?“
Sie saß aufrecht in ihrem Bett, das Kissen im Rücken und ihre Augen leuchteten kurz auf, als sie ihn sah.
„Hallo, Andres!“
„Du siehst ja schon etwas besser aus, als am Sonntag“, meinte er und kam an das Bett.
„Doktor Ulven meint, dass ich einen kräftigen Körper habe und mich sehr gut erhole. Bis auf die starken Kopfschmerzen, die ich ohne die Medikamente nicht ertragen könnte, und das Schwindelgefühl, geht es mir auch schon viel besser. Ich habe mich seit gestern kein einziges Mal mehr übergeben und ich bin heute sogar schon vorsichtig alleine im Zimmer herumgegangen. Das ständige Liegen oder Sitzen habe ich schon so leid.“
Andres stellte die Tüten auf dem Stuhl ab und reichte ihr den Blumenstrauß. Mit einem verlegenen Lächeln nahm sie ihn entgegen.
„Oh, ist der aber schön. Vielen Dank!“, sie führte den Strauß an die Nase und schnupperte daran, „Hmmm, sie riechen wundervoll.“
„Ich habe mir gedacht, wenn du schon nicht nach draußen kannst, dann sollst du es wenigstens etwas schöner im Zimmer haben“, meinte er lächelnd. „Ich frage die Schwestern nach einer Vase.“
Er verließ das Zimmer. Nach ein paar Minuten kehrte er mit einer Vase zurück, ging gleich zum Spülbecken und füllte sie mit Wasser. Sie reichte ihm den Strauß und er stellte ihn auf den Tisch.
„Wie sieht es denn mit deinem Erinnerungsvermögen aus? Hast du dich schon an etwas erinnern können?“
Sie blickte ihn traurig an.
„Leider nein.“
„Was sagt denn der Doktor dazu? Ich wollte gern heute mit ihm sprechen, doch er operiert den ganzen Nachmittag.“
„Der Doktor sagt, dass so etwas passiert. Die Erinnerung kann plötzlich oder auch nach und nach fragmentweise wiederkehren. Er meint, ich soll mich deswegen nicht verkrampfen und auch nicht aufregen. Je eher mein Körper sich erholt, desto schneller könnte die Erinnerung wieder kommen.“ Sie blickte ihm in die Augen. „Weißt du, was das für ein Gefühl ist, nichts zu wissen?“
Er schüttelte verneinend den Kopf.
„Es ist so, als würde ein dunkles Monster in meinem Kopf wohnen und alles verschlingen, was ich je gewusst habe ...“ Sie machte eine Pause und ein wehmütiges Lächeln umspielte ihre Lippen. „Zum Glück lässt es mir die Erinnerungen nach dem Unfall.“
Andres überkam plötzlich der Wunsch, sie in den Arm zu nehmen und zu trösten. Sie sah in diesem Moment so verletzlich und so schutzbedürftig aus. Er griff nach ihrer Hand und drückte sie leicht.
„Wenn der Doktor sagt, dass die Erinnerungen wiederkehren, dann musst du einfach nur abwarten. Du wirst sehen, es wird alles wieder gut.“
Sie sah ihm fest in die Augen und erwiderte seinen Händedruck.
„Danke.“
Er hielt für einen Moment ihrem Blick stand, ließ dann ihre Hand los und griff nach den Tüten, die er mitgebracht hatte.
„So, ich habe dir ein bisschen Obst mitgebracht“, sagte er und legte die Tüte mit den Früchten auf den Tisch. „Wusste aber nicht was du magst.“
Sie lachte verhalten.
„Da bist du nicht der einzige.“
„Nun, du kannst dich durchprobieren und bald kennst du schon deine Vorlieben“, meinte er mit einem Augenzwinkern. „Und hier das Wichtigste, die Kleidung. Die Verkäuferin war so freundlich und hat mir geduldig bei der Auswahl geholfen. Ich hoffe die Sachen passen und treffen deinen Geschmack.“
Sie schluckte und ihre Augen füllten sich plötzlich mit Tränen. Er sah sie verdutzt an.
„Habe ich etwas Falsches gesagt?“
Sie versuchte durch die Tränen zu lächeln.
„Nein, natürlich nicht. Ich habe nur daran gedacht, was würde ich