Mord ohne Grenzen - Elsass-Krimi. Elke Schwab. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Elke Schwab
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783748599845
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hob sich die Fassade mit der alten Scheune im Dämmerlicht ab. Hohe Bäume bogen sich im Wind, als wollten sie sich auf dem Haus niederlegen. Tanja zog den Ersatzschlüssel hervor, den sie von Sabine bekommen hatte. Damit sperrte sie die Haustür auf.

      Im Inneren war es klamm und kalt.

      „Ich werde heizen“, beschloss Jean-Yves sofort.

      Verblüfft fragte Tanja: „Heißt das, dass du hier wohnen willst?“

      „Klar. Hier gibt es Zimmer genug für uns beide“, antwortete Jean-Yves. „Hier ist die Anlaufstelle für die Dorfbewohner und die Kollegen, die wir in Drulingen, Sarreguemines und Sarre-Union eingesetzt haben. Es muss also immer jemand hier sein.“

      „Heißt das, dass du auch einen Schlüssel zu diesem Haus bekommen hast?“

      „Genau das.“ Jean-Yves ließ einen einzelnen Schlüssel an einem Lederetui vor ihren Augen hin und her baumeln.

      Tanja fühlte sich überrumpelt.

      „Außerdem will ich mir unnötige Wege ersparen. Bis Saverne sind es über dreißig Kilometer.“

      Genau aus dem Grund wollte Tanja hier übernachten. Ihre Gedanken überschlugen sich. Sie ließ ihren Blick schweifen, sah die großen Zimmer, die Dusche, die Treppe nach oben und gab sich innerlich einen Ruck. Der Commandant hatte recht mit seiner Behauptung, hier sei für beide genügend Platz. Also ließ sie ihn das Feuer schüren. In der Zwischenzeit schaute sie sich in dem Haus genauer um. Der Boden der unteren Zimmer bestand aus sandfarbenen Steinplatten, die Decke wurde mit starken, dunklen Holzbohlen gestützt. Es sah anheimelnd aus. Die Zimmer im ersten Stock waren klein, mit Teppichboden ausgelegt, die Decke ebenfalls mit Holzbohlen gestützt. Vier Zimmer, die zu einem quadratischen Flur in der Mitte führten. Alle waren komplett möbliert. Sabines Erbe war bezugsfertig.

      Tanja entschied sich für ein Zimmer zur Dorfstraße, das mit einem großen Doppelbett ausgestattet war, bevor Jean-Yves Ansprüche darauf stellen konnte. Hier würde sie sofort mitbekommen, sollte sich jemand anschleichen.

      Jean-Yves rief nach einer Weile: „Der Kamin ist an.“

      Tanja trat die schmale Steintreppe hinunter. Sie fand Jean-Yves im Wohnzimmer. Er saß dicht vor dem Kamin und rieb sich die Hände.

      Tanja entschied sich für das zerschlissene Sofa und legte sich der Länge nach darauf. Die Wärme, die das Feuer spendete, tat wohl. Sie spürte, wie augenblicklich große Müdigkeit über sie kam.

      „Was weißt du über den Vermisstenfall von vor zwei Jahren?“ Mit dieser Frage unterbrach Jean-Yves’ dunkle Stimme die Stille.

      Sie überlegte eine Weile, bis sie eine Gegenfrage stellte: „Hängt der alte Fall mit unserem zusammen?“

      „Ich glaube ja.“

      Tanja berichtete ihm das wenige, was sie von Behrendt erfahren hatte, worauf Jean-Yves nickte und meinte: „Finden wir heraus, was damals passiert ist.“

      „Und wo ist da der Zusammenhang – außer, dass beide Mädchen in Potterchen verschwunden sind?“

      „Beide Mädchen wurden das letzte Mal an Pascal Battistons Stall gesehen“, erklärte Jean-Yves.

      „Wer ist Pascal Battiston?“

      „Der Tochtermann vom Bürgermeister.“

      Tanja schaute Jean-Yves begriffsstutzig an, woraufhin der erklärte: „Tochtermann heißt bei uns Schwiegersohn.“

      „Das ist der Mann, der Annabel ohne zu fragen auf ein Pony gesetzt und zum Ausritt mitgenommen hat?“, resümierte Tanja, die sich noch gut an Sabines Erzählung erinnerte.

      Jean-Yves nickte.

      „Und diesen Mann hast du noch nicht befragt?“

      „Ich habe es versucht. Aber der sture Lothringer spricht nicht mit mir.“

      „Was hat das damit zu tun, dass er aus Lothringen kommt?“

      Darauf blieb Jean-Yves ihr eine Antwort schuldig. Stattdessen murrte er: „Dir erzählt er vielleicht mehr als mir. Ich rede solange mit dem Bürgermeister.“

      „Moment mal“, bremste Tanja. „Ich bin hier nur Verbindungsbeamtin. Ich darf nicht eigenmächtig ermitteln.“

      „Das weiß Pascal Battiston aber nicht.“

      Die Reaktion des Commandants verwunderte Tanja. Aber die grimmige Miene, die er zog, seit das Thema auf diesen Mann gefallen war, hielt sie davon ab, nachzuhaken.

      13

      Trübes Licht fiel in die Stallgasse. Pascal Battiston hatte die Pferde gefüttert und wollte gerade den Stall verlassen, da versperrte ihm sein Schwiegervater den Weg.

      „Wir müssen reden“, lautete sein Gruß am frühen Morgen.

      Mürrisch folgte Pascal ihm. Sie betraten einen kleinen Raum, in dem ein großer Schreibtisch in der Mitte den meisten Platz einnahm. Die Wände zierten Pokale von Reitturnieren. Der Geruch der Pferde breitete sich in dem kleinen Büro aus. In einer Ecke brummte ein Kühlschrank.

      Pascal Battiston musste die Deckenlampe einschalten, damit sie sich besser sehen konnten. Hinter dem Schreibtisch stand eine breite Couch. Ihr Bezug schimmerte fleckig. Hastig warf er eine Decke darüber.

      „Du weißt, wie wichtig der Bau des Ponyhotels für uns ist“, begann Ernest Leibfried, nachdem er sich auf den einzigen Stuhl gesetzt hatte.

      Pascal blieb stehen und schaute auf seinen Schwiegervater herab.

      „Setz dich, wenn ich mit dir rede“, befahl der Bürgermeister und wies dabei auf die Lehne der Couch

      „Ich setze mich, wann es mir passt.“

      „Du solltest zuerst nachdenken, bevor du redest“, mahnte der Bürgermeister. „Nicht gerade deine Stärke, aber zum Dazulernen ist man nie zu alt.“

      Pascal erwiderte den Kommentar mit einem gleichgültigen Schulterzucken, setzte sich aber nicht.

      „Es sollte in unserem Interesse sein, dass das deutsche Mädchen so schnell wie möglich gefunden wird. Solange befinden wir uns im Mittelpunkt polizeilicher Ermittlungen. Das ist nicht der geeignete Zeitpunkt, mit dem Bau eines Hotels zu beginnen.“

      „Warum nicht?“, fragte Pascal aufgebracht.

      „Weil du das Kind auf einen Ausritt mitgenommen hast. Wie konnte sie herunterfallen, ohne dass du etwas bemerkst?“

      „Ich habe doch gesehen, wie sie gefallen ist. Aber sie war viel zu weit weg. Als ich an der Stelle ankam, konnte ich sie nirgends finden“, wehrte sich Pascal.

      „Ist das auch wirklich die ganze Wahrheit?“

      „Was hältst du von mir?“

      „Diese Frage stellst du besser nicht.“

      Böse Blicke wurden gewechselt.

      „Welches Pony hat das Mädchen Annabel aus Deutschland geritten?“, fragte der Bürgermeister nach einer Weile.

      „Die Shetlandstute Peggy.“

      „Ist das Pony gefährlich?“

      „Hier sind alle Ponys gefährlich“, begehrte Pascal auf. „Ich habe dir schon oft gesagt, dass ich neue Ponys brauche. Aber du hörst nicht auf mich.“

      „Ich kann nicht jedes Jahr neue Ponys kaufen.“

      „Was heißt ich kann nicht jedes Jahr neue Ponys kaufen?“ Pascal äffte seinen Schwiegervater ironisch nach. „Dann werde ich mich selbst darum kümmern.“

      „Das wirst du mal schön bleibenlassen. Gerade jetzt müssen wir unauffällig bleiben.“

      Pascal wollte an seinem Schwiegervater vorbei das Büro verlassen. Doch der Alte war noch nicht