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Frau für ihn war, sondern Jeannie. Oder Sharani, gleichviel. Aber sie ist bei Bhagwan. Morgen fährt sie nach Poona, um dort zu bleiben. Na und? Dann fuhr er eben auch nach Poona, zog sich rote Klamotten an und hängte sich die komische Kette mit dem Bild des Bärtigen um den Hals. Wenn er dann mit Jeannie zusammen sein konnte… Dann sprangen ihn wieder die Höllenhunde an. Ein Versprechen muss man halten, noch dazu, wenn es so weitreichend ist. Du kannst Gabi nicht einfach sitzen lassen. Oder? Klar war gar nichts mehr. War sein Leben nicht unerträglich spießig geworden? War er nicht überhaupt unerträglich spießig?

      Die Frau neben ihm, sie war die Liebe seines Lebens. Und musste er nicht dem Schicksal dankbar sein, dass es sie ihm in letzter Sekunde über den Weg geschickt hatte?

      Im Zwielicht des anbrechenden Morgens musterte er Jeannies Gesicht. Es war ihm vertraut wie sein eigenes und gleichzeitig unendlich fremd. Ja, das ist meine Frau. Ein völlig unpassendes Glücksgefühl überschwemmte ihn bei diesem Gedanken. Das ist die Frau, die mir bestimmt ist. Und er fasste einen jener nächtlichen Entschlüsse, die so oft am Morgen wieder verflogen sind wie ein Frühnebel, aber in dieser frühen Morgenstunde fühlte er sich ganz stimmig und richtig an. Sobald sie aufwachte, würde er Jeannie überreden, ihr Ticket zu verbrennen und bei ihm zu bleiben. Und wenn sie sich nicht abhalten ließ, würde er mit Gabi Schluss machen – das würde er sowieso tun, auf jeden Fall –, er würde seine Stelle kündigen, ein Ticket nach Indien kaufen und Jeannie folgen. Und er würde Swami Happy Deppi. Wenn das sein Weg war, war es sein Weg. Mit dieser ruhigen Gewissheit ergab er sich schließlich doch dem Schlaf.

      Als er aufwachte, war das Bett neben ihm leer. Er tastete nach der Kuhle, die Jeannies Körper hinterlassen hatte. Keine Spur von Schlafwärme. Er fuhr hoch. „Jeannie?“ Kein Geräusch außer den Autos, die draußen unter seinem Fenster vorbeirauschten. „Sharani?“ Sein Blick fiel auf den Boden vor dem Bett, wo sie gestern achtlos ihre roten Klamotten hatte fallen lassen. Nichts. Nicht ein einziger roter Fussel. Er fuhr hoch. Noch einmal rief er ihren Namen, den alten und den neuen, und wusste doch, dass es sinnlos war. Wahrscheinlich war sie schon in Riem am Flughafen.

      Im Flur keine Spur. Insgeheim hatte er gehofft, ihre Tasche da liegen zu sehen, ihre Fellweste. Vielleicht war sie ja nur Semmeln holen gegangen. Aber nichts. Es war, als hätte Jeannie-Sharani nie einen Fuß über seine Schwelle gesetzt, und für einen Moment glaubte er tatsächlich, er hätte das Ganze geträumt. Aber dann sah er das Blatt Papier auf dem Küchentisch liegen.

       Hannes, es hat keinen Sinn. Ich muss meinen Weg gehen und du deinen. Love and Peace, Sharani.

      Sie war tatsächlich weg. Und er heiratete sechs Wochen später Gabi, was erwartungsgemäß in ein Fiasko mündete, wenn auch ganz anders, als er es gedacht hätte.

      2

      Sharani fröstelte in der klaren, kalten Morgenluft. Du spinnst, Mädel, sagte es in ihrem Kopf immer wieder. Rennst mal wieder vor deinem Glück davon. Und dann die andere Stimme, die sie daran erinnerte, dass ihr Glück ganz woanders lag. Nicht in einem bürgerlichen, monotonen Alltag, vielleicht gar noch in einer Ehe, nein! Nicht mal mit Johnny, nicht mal mit ihm. Außerdem wollte sie dem jungen Glück mit dieser Gabi nicht im Wege stehen, fügte sie trotzig hinzu. Wie er dagelegen hatte, mit offenem Mund, ganz entspannt, so verletzlich. Sie wusste, dass sie ihm den Dolch in die Brust gestoßen hatte. Sie konnte sich genau ausrechnen, was in der schlaflosen Stunde in ihm vorgegangen war, sie kannte ihn so gut.

      Aber sie hatte keine Wahl. Ihr Weg war nicht sein Weg. Sie musste nach Poona, sie musste zu Bhagwan, musste die Freiheit wählen, das Leben im Hier und Jetzt, die Spontaneität, die Hingabe ans Leben – Sharani, Surrender to existence. Sie konnte sich keinen Klotz ans Bein binden, selbst wenn der Klotz Johnny hieß. Johnny, ja. Hannes ging ihr nicht in den Kopf, geschweige denn ins Herz.

      Sie hatte es nicht eilig. Kurz nach zehn fuhr der Zug nach Frankfurt, von wo aus sie den Flieger nach Bombay nehmen wollte. Vorher musste sie noch in der Kommune vorbei und ihren Rucksack holen, sich verabschieden von Harito und Nalini, Briefe für alle möglichen Sannyasins mitnehmen.

      Immer noch sah sie Johnny vor dem inneren Auge, wie er da lag, halb auf der Seite, tief schlafend. Er schlief ja nicht nur in dieser Stunde. Er verschlief sein ganzes Leben, schlief den Schlaf der Unbewusstheit, aus dem sie erwacht war durch die Begegnung mit Ihrem Meister, mit Bhagwan. Hätte ich ihn ein bisschen bearbeiten sollen – ihm klar machen, dass er mit offenen Augen schlafwandelnd durchs Leben geht? Hätte ich ihn locken sollen, mitzugehen nach Poona? Sie schüttelte den Kopf, wie um diese Gedanken zu verscheuchen. Er wäre garantiert nicht mitgegangen. Er hatte sich in seinem spießigen Leben eingerichtet. Hatte einen Job, eine Wohnung, eine Verlobte, die er in sechs Wochen heiraten würde. Und er hatte nicht ihre Abenteuerlust, ihre Sehnsucht nach mehr, nach der Tiefe, nach dem Ganzen. Er war zufrieden mit der Aussicht, die nächsten vierzig Jahre jeden Morgen in sein Büro zu gehen, zwei oder drei Kinder großzuziehen, in den Ferien mit dem Wohnwagen nach Jugoslawien zu fahren und ab und zu seinen Stammtisch zu besuchen. Besuchen, das war der richtige Ausdruck. Er war überhaupt nur auf Besuch in diesem Leben, wie alle anderen auch.

      Nein. Sie wollte sich nicht fesseln lassen von einer Liebe, die sich als Illusion herausstellen würde, die auf Sand gebaut war, auf der Unbewusstheit. Sie war erwacht, wollte immer wacher werden, musste ihren Weg gehen.

      Die Straßenbahn kam, sie stieg ein.

      Wenige Stunden später saß sie im Intercity nach Frankfurt, in einem Abteil mit einem Paar um die fünfzig. Während die Frau sich sichtlich Mühe gab, sie zu ignorieren, starrte der Mann sie eine Zeit lang verstohlen, aber ungehemmt neugierig und eindeutig lüstern an, bevor er sich zuerst seiner Zeitung und später dem Leberwurstbrot zuwandte, das ihm die treusorgende Gattin reichte.

      Eine bleierne Müdigkeit überfiel sie. Sie hatte nicht mehr als anderthalb Stunden geschlafen. Kurz nach Nürnberg schlief sie ein. Träumte bunt und wild, sie schwimmt in einem See mit unendlich klarem Wasser, Johnny steht am Ufer und streckt sehnsüchtig die Hand nach ihr aus, ruft etwas, doch kein Laut ist zu hören. Sie taucht unter, in eine Welt voller seltsamer Wesen, findet sich plötzlich in hohen Straßenschluchten wieder, Manhattan oder Shanghai, aber alles menschenleer, der Wind weht ihr leere Plastiktüten um die Füße.

      Kurz vor Würzburg wachte sie wieder auf, als das ältere Paar geräuschvoll seine Sachen packte. Der Mann hob einen riesigen Koffer aus dem Gepäcknetz und stellte ihn auf den Boden, setzte sich dann noch einmal und starrte sie an, während seine Frau Taschenspiegel und Lippenstift herauszog. Sharani hatte das Gefühl, der Mann ziehe sie mit den Augen vollständig aus. Wahrscheinlich hatte er etwas über die freie Liebe in Poona gelesen und darüber, dass die hübschen jungen Bhagwan-Jüngerinnen ohne viel Federlesens mit jedem Mann ins Bett gingen. Einen Moment dachte sie daran, ihn zu provozieren, und seine Alte dazu. Aber dann fragte sie sich, wozu. Die waren für ihr trostloses Leben selbst verantwortlich. Sie wandte sich zum Fenster und sah hinaus, auf die unterfränkischen Hügel, die Weinberge, den Main, die Schnellstraße. Sie drehte sich den beiden nicht mehr zu, bis sie – grußlos – das Abteil verlassen hatten. Als sie draußen waren, fühlte Sharani sich gleichzeitig erleichtert und verlassen. Die beiden hatten ungefähr das Alter ihrer Eltern, die irgendwo da draußen ihr Kleinstadtleben lebten, keine fünfzig Kilometer entfernt. Nein, sie hatte die Eltern nicht besucht vor ihrer Abreise. Die verstanden ja gar nichts.

      In Würzburg stiegen jede Menge Leute in den Zug, die meisten schauten kurz in ihr Abteil und gingen dann weiter. Mit ihren roten Klamotten schien sie wohl gefährlich zu sein. Oder aussätzig? Jedenfalls so anders, dass niemand ihre Nähe suchte. Bis dann schließlich doch die Tür aufging. Sharani sah erst auf, als sich ein oranges Hosenbein in ihr Blickfeld schob, orange Socken in roten Wildlederschuhen… „Namaste, Ma“, sagte eine tiefe Stimme, dann ließ der Neuankömmling sich auf den Sitz ihr gegenüber plumpsen. „Auch unterwegs nach Hause?“

      Der Swami hatte einen riesigen Rucksack dabei. Die zerzausten Haare reichten ihm auf die Brust, das Gesicht verschwand fast vollständig hinter einem dichten Vollbart. „Nach Hause? Nee, ich bin