Warum auch? Jako, war viel kürzer. Jako war viel cooler. Jako passte einfach besser zu einem Kerl wie ihm.
Sein Blick schweifte weiter, glitt die Reihen an Verschlägen entlang, die seine Leute in der ehemaligen Produktionshalle einer insolventen Möbelfabrik errichtet hatten.
Gerade noch rechtzeitig, wie sich herausgestellt hatte. Die erste Lieferung würde zwei Tage früher als geplant bei ihnen eintreffen.
Is in Ordnung, dachte Jako. Je eher die Sache anläuft, desto früher wächst die Kohle rüber. War teuer genug, die ganze Scheiße hier.
Aus dem kleinen Handfunkgerät an seinem Hosengürtel krächzte die Stimme seines Stellvertreters. Sie klang aufgeregt, Tonis Nerven schienen vor Nervosität zu vibrieren. »Der Lkw hat gerade das Südtor passiert«, verkündete er, »in fünf Minuten sind sie da.«
Noch fünf Minuten. Jako schaute unbewusst auf seine Uhr, eine klotzige Rolex, mit der man überall, wirklich überall Eindruck schinden konnte.
Noch fünf Minuten, dachte er erneut, dann fängt meine Investition an, Früchte zu tragen.
»All right«, schnarrte eine zweite Stimme, Annas Stimme, aus dem Funkgerät. »Sie sollen zweimal hupen, wenn sie vor der Halle stehen, dann schieben wir das Tor auf.«
»Okay, ich geb’s weiter. Ist bei euch alles klar?«
»Klar ist alles klar. Könnte nicht besser sein«, drang Annas Stimme aus dem Funkgerät an Jakos Hüfte.
Ihre Stimme entlockte Jako ein Schmunzeln, als er sich vorstellte, wie sie bei ihren letzten Worten genervt die Augen rollte.
Anna hasste unnötige Fragen fast ebenso, wie sie Wichtigtuer hasste. Toni hatte wirklich keinen leichten Stand bei ihr.
Nicht mein Problem, dachte Jako, während er sich eine Pall Mall zwischen die Lippen schob und den ersten Zug, der war immer der beste, genussvoll inhalierte.
Toni war eben Toni. Den änderte niemand mehr.
Bis vor einem viertel Jahr hatten er und Toni noch mit gestohlenen Autos gehandelt. Edelkarossen und Sportwagen, was anderes war für sie nie infrage gekommen. Doch der Markt lief schleppend – Zoll, Polizei, und die verdammten Versicherungsdetektive hatten kräftig aufgerüstet, machten ihnen das Leben schwer und versauten ihnen so ein lukratives Geschäft nach dem anderen.
Jako hatte seine Fühler ausgestreckt, seine Kontakte genutzt und eine neue vielversprechende Einnahmequelle an Land gezogen.
Zugegeben, die Sparte war ihm noch ein wenig fremd, Toni auch, aber seine neuen Geschäftspartner hatten ihnen Anna beratend zur Seite gestellt.
»Nur für den Anfang«, hatten sie gesagt. Nur so lange, bis er und Toni alles unter Kontrolle hatten.
Jakos Blick suchte Anna. Er schürzte die Lippen. Eine tolle Frau. Gegen die sah jeder Sportwagen fad und altbacken aus.
Erneut ging sein Blick zur Uhr. Nur noch zwei Minuten, dann würden die ersten Immigrantinnen, alle jung, bei ihnen eintreffen. Zwischenlager nannten seine neuen Partner das. Von hier aus wurden die Frauen dann an Bordelle und andere Etablissements verkauft. Heilige Scheiße, er mochte sich gar nicht vorstellen, was für Gewinne die mit den Kameltreiber-Fotzen einfuhren.
Das Dröhnen einer Lkw-Fanfare riss ihn aus seinem Gedankenspiel. Jakos Blick flog zum Rolltor, während er genüsslich an seiner Zigarette zog.
Die ersten achtzig waren also da. Morgen würden noch einmal so viele kommen und übermorgen, übermorgen würden dann noch einmal fast zweihundert Frauen, hier eintreffen. Teufel, er konnte das Geld schon riechen, jeder dieser Schlampen brachte ihm einen Tausender ein.
»So habt ihr euch eure Zukunft bestimmt nicht vorgestellt, ihr morgenländischen Närrinnen.« Jako beobachtete gespannt, wie Anna mit zwei seiner Männer das große Rolltor aufschob. Sekunden später rollte der Lastwagen in die Halle. Jakos Herzschlag beschleunigte sich, während er mit ansah, wie die Ladeklappe des Lkw geöffnet wurde und die ersten Frauen – Hammer, sahen die klasse aus! – ängstlich um sich schauend von der Ladefläche kletterten.
»Willkommen im Paradies«, knurrte Jako und lachte leise. Dann schnippte er die halbgerauchte Kippe achtlos zu Boden, holte sein Smartphone hervor und tippte eine Nachricht ein …
*
»Da sind Sie ja …«
Briegels Stuhlbeine schabten über das abgewetzte Holzparkett, als er seinen Stuhl nach hinten schob und sich feierlich erhob. Er eilte auf mich zu, schüttelte mir die Hand, ließ mich dabei wissen, welch ausgebuffter Teufelskerl ich seiner Meinung nach sei.
Ich ließ die Lobhudelei über mich ergehen, ertrug das viel zu lange Händeschütteln und musterte verstohlen die anwesenden Personen.
Zog man den Staatssekretär und mich einmal ab, befanden sich noch sieben weitere Personen im Raum. Zwei davon gehörten zu Briegels Leibgarde, was bedeutete, dass noch fünf übrig blieben, die für mich von Interesse waren.
»So, ich darf Ihnen nun Ihren neuen Teamleiter vorstellen«, sagte Briegel, seine Haltung straffte sich merklich. »Dies ist Oberleutnant Mark Feller.« Seine Rechte klopfte auf meiner Schulter herum, als wären wir beste Kumpels. Auch das ertrug ich stillschweigend.
»Nach seiner aktiven Zeit bei der Bundeswehr, er diente bei den KSK-Truppen, wechselte Oberleutnant Feller zum Bundesnachrichtendienst, wo er seit gut zwei Jahren als Ermittler, Schwerpunkt Terrorismus und länderübergreifende Kriminalität, seinem Land treue Dienste erweist.«
Seinem Land treue Dienste erweist …
Ich konnte es kaum glauben, der Staatssekretär zog hier wirklich die Patriotennummer durch. Unglaublich!
Verstehen Sie mich jetzt bitte nicht falsch. Natürlich bin ich Patriot. Und natürlich liebe ich mein Land. Sehr sogar! Dennoch oder vielleicht auch gerade deswegen rieb ich mich an Briegels Worten. Oder anders ausgedrückt: Briegel ging mir in diesem Moment gehörig gegen den Strich.
»Oberleutnant Feller hat darüber hinaus …«
»Danke Doktor Briegel.« Ich unterbrach den Staatssekretär und trat einen Schritt vor. »Ich denke, das reicht. Ich bin mir sicher …«, mein Blick glitt über die anwesenden Personen, »… dass jeder hier im Raum eine grobe Ahnung von meinem Werdegang hat.«
Einhelliges Nicken, hier und da ein verstecktes Schmunzeln.
»Nun, na gut, ääh … wenn Sie meinen. Ich wollte ja nur …« Der Staatssekretär sprach seinen Satz nicht zu Ende, stattdessen glotzte er mich irritiert an.
Ich ignorierte seinen Blick. Mein Interesse galt meinem neuen Team, das in einem Halbkreis vor mir am ovalen Tisch saß. Fünf Augenpaare starrten mir entgegen; ich konnte Neugierde lesen. Zwei Frauen, beide so um die dreißig, und drei Männer, deren Alter ich von Mitte zwanzig bis Ende vierzig, schätzte.
Interessante Mischung, dachte ich, während ich einen nach dem anderen musterte. Ich war gespannt, aus welchen Spezialisten sich die ›Soko Menschhandel‹ zusammensetzte.
Nüchtern betrachtet hängt der Erfolg einer Sonderkommission nämlich vom richtigen Mischungsverhältnis ab. Hat man zu viele Theoretiker im Team, also Analysten, Profiler und Cybercops, steht sich das Team irgendwann selbst im Weg. Die Ermittler kommen mit der Arbeit nicht mehr nach, was bedeutet, dass wichtige Spuren oder verdächtige Personen nicht zeitnah abgearbeitet werden können. Hat man hingegen zu viele Ermittler im Team, na ja, Sie ahnen sicher, auf was ich hinauswill. Logisch oder?
Das richtige Mischungsverhältnis macht also den Unterschied, entscheidet darüber, ob eine Soko erfolgreich arbeitet oder zum Scheitern verurteilt ist.
Scheitern war eine Option, die für mich nicht infrage kam. Ich würde Julias Mörder finden und mit