Das Gespenst der Karibik. Hans W. Schumacher. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hans W. Schumacher
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847660774
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du siehst zu komisch aus!" Er klopft ihr auf den Po und sie gibt ihm einen ungeschickten Jungfernstubs als Erwiderung zurück. Ohne Übung, gesellschaftsunfähig, Stubsen will gelernt sein. Er haut sie nochmal, daß es klatscht, unangenehme Festigkeit der elastischen Fläche.

      Das Wasser rauscht zornig unter den Planken, und sie schreit und ist beleidigt. Der Wind pfeift, und er hat, wie er sagt, keine Lust, auf das Ende ihrer Schmollerei zu warten und solange zu frieren und "Nun sei man wieder gut", da kommt sie hinter der Kabine hervor, wohin sie sich verzogen hat, und lächelt und sagt: "Große Brüder sind immer so roh."

      "Nein, das Wetter ist es," sagt er und springt einfach hinein. Das ist der Mut der Feigen, die übergangslos die Angst des Wartens verkürzen. Sofort ein anderer Zustand, eine Lawine von Empfindungen und ist doch plötzlich ganz gewöhnlich, halt frisches Wasser. Unter ihm ist es dunkelgrün und zum See hin braunschwarz. Muß ganz schön tief sein. Sie steht noch immer da oben, eine schlanker Schattenriß gegen den blauen, kalten Himmel, das Licht beißt ihm in die Augen, er bewundert sie.

      "Los, du Feigling, rein ins Wasser!" Sie verschlingt die Arme unter der Brust und kneift die Beine zusammen. "Mir ist kalt!"

      "Los, marsch ins Wasser! Hier ist's warm!"

      "Glaub ich nicht." Er spritzt.

      "Wenn du spritzt, geh' ich überhaupt nicht rein." Er spritzt wieder, sie zieht sich hinter die Hütte zurück, tritt vom einen Bein aufs andere.

      Er gleitet hinaus. Das ist nun der Abschied für immer, zu neuen Ufern lockt ein neuer Tag. Ganz dicht am Wasser, kaum mit dem Auge über der Fläche. Wellen schlagen an den Mund. Nur Leere, Einsamkeit, Freiheit um dich. Nur du und die Welt! Überwältigend ist das und befreiend. Er bietet die Brust den Gefahren, hängt über dem grausigen Abgrund, der erste, der einzige, der Siegreiche, Einsame, Tapfere. Er allein, der es gewagt hat.

      Es prustet hinter ihm, da ist sie, regelmäßige Schwimmstöße wie in der Schule. "Wehe, wenn du mich tauchst!"

      Er fährt mit dem Kopf unter Wasser und merkt, wie sie über ihm strampelnd zu entkommen sucht. Er legt sich auf den Rücken und sieht nach oben. Da liegt sie wie ein Frosch, der klappende Bewegungen ausführt. Die Gestalt ist von gekräuseltem Weiß umgeben, ringsum glasklares Grün. Die Luft geht ihm aus, er fährt brusthoch nach Atem schnappend aus dem Wasser und sieht erstaunt, daß er nur fünf Meter weit vom Badesteig entfernt ist. Er dreht sich um und da ist es: Ungeheures, Offenheit, Entzücken und Abenteuer. Er krault an ihr vorbei und nun ade, rechts und links weitet es sich um ihm, die Bucht öffnet sich in die Ferne, und weit hinter ihm weht eine dünne Stimme: "Mir ist zu kalt, ich geh mich abtrocknen."

      Ein riesiges, kühles Tier trägt ihn auf dem Rücken, er sinkt mit den Beinen hinein in das durchsichtige Fell, schwebt über dem Abgrund seines Magens, zieht die Beine vorsichtig wieder zurück und legt sie gestreckt hinter sich. Segeldreiecke schieben sich langsam wie Spielfiguren aneinander vorbei. Ein zarter Haarsaum von Tannen und winzig ausgeschnittenen Villen und Bootshäusern ist das gegenüberliegende Ufer. Alles schwamm auf dem Rücken des großen Tieres, das ruhig unter allen Kontinenten lag, grün, ultramarin oder auch schwarz, das Tier zog sanft und ausdauernd an dem, was sich auf seinem Rücken hielt und einmal zog es alles in sich hinab. War das schlimm?

      Eigentlich bedurfte es keiner großen Anstrengung, oben zu bleiben, wenn man ruhig war und seine Kräfte schonte. Aber langsam kroch ihm die Kälte unter die Haut, versteinte die Muskeln. Er wandte sich um und schwamm zurück. Seine Schwester, ein roter Punkt am Ende des Badestegs.

      "Du warst aber weit draußen," sagt sie bewundernd und gibt ihm das Handtuch, "du hast ganz blaue Lippen." Sie zieht den roten Bademantel aus und legt ihn noch warm von ihrem Leib über seine Schultern.

      "Ich bin eben dem Ungeheuer von Loch Ness begegnet," sagt er und reibt sich die Beine, bis wieder Blut in sie einkehrt.

      "Was ist das?" fragt sie.

      "Ein großes Tier. Seine Spezialität ist Männermord, es nimmt die Adepten zwischen die Beine und verzehrt sie wie einen Apfel, raps, raps mit Stumpf und Stiel."

      "Du kohlst mich wieder an," sagt sie schmollend, sie geht auf ihren langen, schlanken Beinen zur Bank unter der Hütte, wo sie sich niederläßt mit einem leichten Schwung sich eben rundender Hüften. Er fällt neben sie.

      "Ich hab gelogen, das Ungeheuer von Loch Ness ist die heruntergekommene Midgardschlange."

      "Mein Gott, was ist das denn nun schon wieder?"

      "Das ist die Prachtausgabe von Evas Schlange."

      "Die kenn ich."

      "Na, siehst du."

      "Du verkohlst mich immer. Ach, große Brüder sind gräßlich." Sie wippt mit dem Fuß und betrachtet neugierig einen Leberfleck auf ihrem Schenkel.

      "Sieh mal!" sagt er ablenkend und weist auf einen maschinegeschriebenen Zettel über sich an der Bretterwand. Er ist vergilbt, von Regenwasser aufgebeult, Rostflecken unter den Reißnägeln. "Suchmeldung" steht darauf. Jemand war in dieser Gegend ertrunken. Ein Student, 20 Jahre alt, mit dem Moped hergekommen, Brillenträger, seine Kleider hatte man gefunden, ihn nicht. Dem Finder wurden von den trauernden Eltern tausend Mark angeboten.

      "Schrecklich," sagt die Schwester.

      "Warum denn?" meint er achselzuckend.

      "Ach, du mußt immer sowas sagen," sie ist zornig, geht ans Wasser, setzt sich an den Rand und plätschert mit dem Fuß darin herum.

      "Tu das nicht," ruft er, "da liegt er drin."

      "Das war doch vor einem Jahr," ruft sie nüchtern.

      Verschluckt, verschwunden, verzehrt, aufgegangen in den Atomen.

      Er lehnt sich an die Wand, ein Sonnenfleck schießt über die Wasserfläche auf ihn zu. Licht und Wärme. Er schließt die Augen und über die Lider wabert rote Glut, alles kehrt sich nach außen, nur Haut sein, Oberfläche.

      Ein Jahr, ein Monat, ein Tag, was gilt das?

      Vor seinen Füßen taucht der Kopf seiner Schwester auf, sie hält sich mit den Händen an den Planken fest und paddelt mit den Füßen hinter sich.

      "Ertrinken muß scheußlich sein, was?" sagt sie.

      "Kann sein, ich hab's noch nicht ausprobiert."

      "Aber ich," ruft sie fröhlich, "ich war mal fast weg."

      "Wo? Wann?" fragt er ungläubig.

      "In der Badewanne, als ich klein war."

      "Daran kannst du dich doch gar nicht mehr erinnern, da warst du doch höchstens zwei Jahre alt."

      "Oh doch," sagt sie wichtig und versucht bedeutend auszusehen.

      "Wie war's denn? Erzähle."

      "Schrecklich," sie paddelt stärker.

      Es wird wieder finster. Wolkenbänke schieben sich zu einem graugeribbelten Vorhang zusammen.

      "Da liegt er nun zwischen Algen, Krebsen und Hechten und rollt hin und rollt her, oben gehen Sonne und Mond auf und unter und Gletscherwasser quirlt an seinen Knochen entlang."

      "Hör auf!" schreit sie und taucht unter, als sie sich die Ohren zuhalten will.

      Prustend kommt sie nach oben und hält sich an der Kante fest

      "Du bist schuld, wenn ich jetzt ertrinke."

      "Für Gesellschaft ist er bestimmt dankbar. Ich wette, das war ein Einsamer, ein Träumer, wer geht an solchen Orten auch allein schwimmen."

      Sie straft ihn mit Nichtachtung und bewegt sich rückenschwimmend vom Steg weg. Und sie hat doch schon Brüste! Unter dem straffen, nassen Badeanzug sieht er kleine, rührende Erhebungen.

      "Kommst du auch noch mal rein?" fragt sie lockend. Statt einer Antwort nimmt er Anlauf und stürzt im Hechtsprung auf sie zu. Sie dreht sich auf den Bauch und strebt kreischend davon. Aber nun hat er sie schon um die Taille gepackt und zieht sie an sich. Sie strampelt